VI, Allgemeine Besprechungen 2, Ausschnitte 1914–1920, Seite 2

Senn i i e. Tetg, mntt Arsertuch binaus¬
schmeißen, — mit Verlaub, das ist auch pervers.
Das kommt von der Judenriecherei. Immer, wenn
man Autodafés veranstaltet, kommt auch hier und dort
ein gläubiger Christ mit auf den Scheiterhaufen,
wozu die Brennerei, wenn man ohne sie sauber machen
kann. Hätte sich nur die „Reichspost“ und ihre Literatur¬
papstei gegen diese Uebergriffe des Wiener Schrifttums
gestellt so lange es Zeit war. Ich hab's gewagt und bin
darob nicht schlecht angefeindet gewesen. Wenn aber die
Piaristengasse jetzt, während der Kriegszeit plötzlich das
Saubermachen kriegt und das ihr unrein dünkende
Wasser wegschütten will, ohne sauberes dafür zu bieten,
so muß man sie dumm schelten.
Oder hat die „Reichspost“ für Lessing dem Theater
etwas Besseres zu bieten? Am Ende den Herrn Kralik?
Auch ihre eigenen Redakteure haben sich ja bühnentechnisch
versucht, Gott sei bei uns, was dabei herausgekommen ist.
Es sitzen ja in der Redaktion noch ein paar von diesen
Tausendfassa herum, da ist mir, weiß Gott, noch der
Zweig lieber. Mit Lessing ist das Burgtheater ein Men¬
schenalter hindurch oder auch länger, nicht schlecht ge¬
fahren, warum soll sie ihn jetzt durchaus als Antichrist
verwerfen? Weil er ein allzu menschliches Werk ge¬
schrieben, ohne zu ahnen, daß einmal ein Dr. Funder¬
auf die Welt kommen wird, der eine neue Parole aus
gibt? Sein Nathan ist ein von aller Welt angestaunten
Edelmensch, warum soll er jetzt meuchlings umgebracht
werden?
Und weshalb sollen Auernheimer, Schnitzler alle
ihre Trabanten und Monde von der Bühne hinweggefegt
werden? Ihre Vorherrschaft liegt mir längst im Magen,
aber so viel haben sie sich doch um die deutsche Bühne
verdient, daß man ihnen ihr Plätzchen an der Sonne
gönnt. Die Schaubühne hat ihre Wandlungen durch¬
gemacht, wie wir während der Kriegszeit. Nur hat sie
länger gebraucht, was ja begreiflich ist. Wenn die Fran¬
zosen und die Engländer und vielleicht auch die Russen
von der deutschen Bühne verbannt werden, vielleicht wer¬
den die bisherigen Erfolgreichen erst den Nachwuchs
schaffen müssen. Schließlich sind Hauptmann, Suder¬
mann, Ernst, Halbe usw. usw. auch noch da, den nach
der „Reichspost“ vollständig verjudeten Literaturwald
mit arischen Tannen zu durchschießen, — man muß nur
nicht überall Juden sehen wollen . . . Das ist auch ins¬
besondere nicht schön in einer Zeit, wo jüdisches Blut
genau so rot fließt, wie arisches ... Gewiß hat der
Patriotismus auf dem Schlachtfelde nichts mit der
Schaubühne zu tun, aber ein wenig daran denken müssen
doch die Christen, die sich herausnehmen, ein jüdisches
Blutbad auf der Schaubühne anzurichten. Und die Ab¬
sicht leuchtet aus den Artikeln der „Reichspost“ heraus.
Wo sie recht hat, hat sie recht. Sie treiben es ein
wenig bunt, die Herren, die infolge verschiedener Neben¬
umstände sozusagen im Besitz der Wiener Bühne sind.
Diese Umstände hier zu wiederholen, wäre überflüssig,
denn meine Leser kennen ja seit Jahren meinen Stand¬
punkt. Der predigt seit Jahren, etwas bescheidener zu
sein und auch den anderen etwas Platz zu lassen. Aber
schließlich können die Fähigeren nicht für die Unfähigeren
und gerade diese sind es, die den Generalpacht für sich in
Anspruch nehmen. Die oben Genannten sind die Be¬
scheidensten, die Unbescheidenen, die uns „Hargudel am
Bach“ und andere Nuditäten bescheren, die finden andere
Wege, um dem Strafgericht der „Reichspost“ zu ent¬
gehen, auch wenn es über sie wirklich hereinbrechen
könnte. Mit denen aber rechtet die Kunstwacht der
„Reichspost“ nicht und das ist der Fehler.
Ich bin, weiß Gott, nicht der Anwalt der Unnatur
„auf der Bühne. Ich meine die Unnatur, wie sie der Geist
des letzten Jahrzehntes geschaffen hat. Ich halte dafür,
daß die vollkommene Täuschung auf der Bühne die wahre
Aufgare derselben ist, und daß die Spiegelung der wider¬
lichsten Leidenschaften und angeblich wahrsten Laster ein¬
fach nicht auf die Bildungsstätte gehört, welche die Bühne
därstellt. Wenn aber die „Reichspost“ eine Verzerrung
der Armut von Wildgans als vollendetes Meisterwerk
empfindet, dann muß sie auch die Wahrheit der Auern¬
heimer'schen Ehegeschichten und der Schnitzler'schen Plau¬
dereien ertragen kernen. Die Konfession kann doch wirk¬
lichauf die Dauer nicht Zensur sein, wehin kän#e die
Schaubühne dann!