VI, Allgemeine Besprechungen 2, Ausschnitte 1920–1928, Seite 5

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2. Cuttings
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Rickerts suchen auf verschiedene Weise unter verschiedenen Vor¬
rückgehen auf den Unterstrom der Seele auf mystische Grund¬
aussetzungen und mit abweichenden Zielen im Erlebnis das
stimmung hin.
ungestaltete, unerkaltete Urphänomen von Bewegung, Aktivität,
Diese geistesgeschichtlichen Anklänge tönen in so mannig¬
Fülle, Dynamik, Konkretheit, Tiefe, Unmittelbarkeit, schöpferi¬
fachen Akkorden mit, und die Dichter, für welche diese Idee
scher Unerschöpflichkeit zu fassen und von hier aus die Grund¬
nach einem Hebbelschen Gleichnis dasselbe ist, was der Kontra¬
tatsachen der Kultur und des persönlichen Daseins, des Geistes:
punkt in der Musik: „Nichts an sich, aber Grundbedingung fün
und der Seele zu erhellen und zu begründen.
alles,“ greifen so verschiedene Elemente heraus und werden bei
ihrem Vordringen zum Lebensgrunde, durch Vertrauen und
Selbst das religiöse Fühlen und Vorstellen, das sich grund¬
Scheu, Ehrfurcht und Grauen, Standhaftigteit und Zweifel so
sätzlich über das Leben erhebt, hat diesen vertieften Begriff als
weit auseinandergetrieben, daß schon diese Unterschiede der Ge¬
entscheidendes Grundmotiv anjenommen und durch ihn eine Er¬
sinnung und des Temperaments für manchen zellgenössischen
neuerung alter Glaubensbegriffe und Symvole erreicht, die es
Beurteiler unüberwindliche Schwierigkeiten der Zusammen¬
ermöglichte, sie in die Provlematik der modernen Bildung ein¬
fassung ergeben und keine Aussicht eröffnen diese Mannigfaltig¬
zuführen. Wichtig ist in diesem Zusammenhang die eindrucks¬
keit der künstlerischen Ausdrucksweisen auf den gemeinsamen
volle und wirlungsreiche Persönlichteit Johannes Müllers.
Grund eines epochalen Stils zurnafüihren.
Seine Ethik, auf Erweckung des in jeber Seele schlummernden
Trotzdem wird auch hier das Gesetz der geschichtlichen Ein¬
zursprünglichen Wesens“ oder Gottesfunkens, sein Christusbild
heiten recht behalten, und noch tlarer, als es heute möglich ist.
des „quellenden, erfüllenden, wiederherstellenden, schöpferischen
werden kunftige Historiker sehen, daß gegenüber der allgemeinem
Lebens aus hintersinnlichen Tiefen“ knüpft an die deutsche
Ergriffenheit von der Dynamit des Levens die dantelerischen.
Mystik. an spiritualistische und andere außerkirchliche Vorstel¬
Verschiedenheiten zurücktreten. Die moderne Bewußtheit ver
lungskreise an, die auch von anderen Vertretern der Christlich¬
indimduellen Lebensführung treibt alle Unterschiede des Tem¬
keit, Artur Bonus, und im Nahmen der theologtschen
peraments und der geistigen Veranlagung stark heraus, aber das
Wissenschaft, Ernst Troeltsch, zur Belebung und Vertiefung
Gemeinsamé läßt sich schon heute nicht mehr verkennen es tritt
religiöser Erfahrung aufgesucht werden; aber vor der bewußt¬
nicht in Geste und Kostüm, sondern in der Stellungnahme zum
persönlichen Fühlungnahme und Ertenntnis liegt die allgemeine,
Gesamtgehalt der Welt zutage. Die einen suchen das Geheimnis
profangeschichtliche Wendung, die dichterisches, philosophisches
aufzureißen, die andern wollen das Unerforschliche still verehren;
und religiöses Vorstellen zur gegenseitigen Annäherung bringt
diese streben höchste Präzision des Ausdrucks an, jene können
und sie gemeinsam um das eine unfaßbare Zentralprobiem des
sich nur gleichnishaft aussprechen. Dehmel und Mombert
Lebendigen kreisen läßt.
verlieren sich in die Abgründigkeit des Daseins, George be¬
Diese Idee des Lebens, die sich heute noch einer historisch
hauptet sich am Gefühl des Wesenhaften. Für Ricarda Huch
sind Schönheit und Heldentum die Träger des Lebens, und
schärfer abgrenzenden Bezeichnung entzieht, scheint auf den
teratur.
Wedekind erhält in der Ironie der Berzweiflung seine tiefste
ersten Blick nichts anderes zu sein, als das Vermächlnis
Friedrich Nietzsches, der nun erst auf die dichterische Produktion
Lebensgewißheit. Den landschaftlich#ldingten Dichtern geht
tiefer zu wirken beginnt. Aber sie offenbart ihren Zusammen¬
das Lebendige an den beharrendenEigenschaften des Volkstums
neue Auflage
hang mit dem klassischen Ioealismus schon durch ihre Richtung
auf, Alten berg in der momentnen Stimmung, im Vorbei¬
ahrhunderts“
auf Totalität, obgleich sie in viel höherem Grade in sich selbst
rauschen des Augenblicks. Für Hofmannsthal offenbart es
. Die Kapitel
zentriert bleibt. Sie deutet mit ihrer Neigung zu Ursprüng¬
sich im Vorgefühl, für Schnitzler in der Resignation, für
ach des Ver¬
Thomas Mann im Verfäll, für Hermann Stehr in der
lichkeit und Naturhaftigkeit auf Rousseauisches Empfinden, mit
rieben; ihnen
ihrer Betonung der schaffenden Kraft, die in Recht, Sitte,
Transzendenz. Aber für alle hat es eine neue Dignität ge¬
D. Red.
Sprache, Religion, Kunst wirksam wird, auf die Anschauungs¬
wonnen, für alle bedeutet es nicht das höchste Gut, aber eine
ein Problem,
weise der historischen Schule, und wenn ihr Inhalt von vorn¬
letzte Instanz, die ihnen volle Realität des Seins erschließt und
Problem des
herein eine unbestreitbare Wahlverwandtschaft mit jedem Rea¬
zugleich einen geheimnisvollen Rückhalt bildet, in dem die ge¬
lismus bedingt, so weist dagegen ihr Ursprung aus dem Gegen¬
samte Vergangenheit ihre Kraft aufgespeichert bat und der die
Troce in Ita¬
sserls, selbst 1 satz zur ungeistigen Alltäglichkeit auf eine romantische, ihr Zu= Zukunft verbürgt.
Snern. pnengehng