VI, Allgemeine Besprechungen 2, Ausschnitte 1925–1929, Seite 1

2. Cuttings box 38/1
Dr. Max Goldschmidt
Büro für Zeitun gsausschnitte
BERLIN N 4
Telefon: Norden 3051
Husschnitt aus:
Neue Tägliche Rundschau, Berlin
28 Apr 1925
* Vortragsabend Friedrich Moest. Unter den bekannten
/Berliner Vortragskünstlern nimmt Friedrich Moest, der
Direktor der Reicherschen Hochschule für dramatische Kunst, eine
besondere Stellung ein. In dem Vierteljahrhundert seines bis¬
herigen Wirkens ist er niemals hinter der Sensation hergelaufen,
sondern hat in zielbewußtem Wirken seine große Fähigkeit,
dichterische Gebilde im Wort nachzuschaffen, in den höheren
Dienst literarischer Bildung gestellt. Seit vielen Jahren ver¬
sammelt er ein= bis zweimal im Monat im Vortragssaal seiner
Schule eine treuergebene Hörergemeinde, vor der er, in strenger
Begrenzung des für die Rezitationskunst Möglichen, die Schätze
der Erzählungskunst Deutschlands und aller großen Kulturvölker
ausbreitet. Wer Gelegenheit hatte, dem letzten dieser Vortrags¬
abende beizuwohnen, einem Artur=Schnitzler=Abend
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der hatte gerade angesichts dieses Wiener-Künstters das an¬
genehme Empfinden, epische Kunst nachgeschaffen zu sehen durch
einen Sprecher, der sich dem Dichter innerlich verwandt fühlen
muß. Die lächelnde Skepsis des Anatolpoeten, seine Zuspitzung
der Vorgänge und seelischen Zwiste in die feine „Nuance“ all
das erfordert einen S# er, dem das Wort in geschmeidiger
Biegsamkeit, die Kunst kluger Diajektik und überzeugender Stoff¬
gliederung gegeben ist. Das trifft für Friedrich Moest in hohem
Maße zu, und so war es denn ein geistiger Genuß hohen Grades.
sich durch seine Auswahl von vier Novelletten aus dem Gebiete
spannungsvoller Tragik und Tragikomödie allmählich hinüber¬
führen zu lassen zum leichten Sinn und Leichtsinn jenes wiene¬
rischen Junggesellentums, das Artur Schnitzler ebenso treffsicher
zu zeichnen weiß, wie das berühmte „liebe Mädel“. Es ist schwer,
Wortwirkungen festzuhalten, aber wenn man eines gegen das
andere abwägt, so dürfte wohl der stärkste Eindruck des Abends
die Geschichte vom Tod des Junggesellen gewesen sein, in welcher
satte Behaglichkeit schmerzhaft aufgerüttelt wird durch die
tronische Schadenfreude eines Skrupellosen, der in seinem Testa¬
ment am Philisterium posthume Rache nimmt
B. 2.—
Sonntag
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dramen) sozusagen eine Zeitlang das Repertoire, so weit
eben Ausländer in Japan fesseln können. Natürlich fehlt
auch nicht Sudermann mit seiner „Heimat" und
„Fritzchen“, Max Halbs „Jugend“ wurde bekannt und
Während
Wilhelm Meyer=Försters „Alt=Heidelberg“.
Wedekind durch seine Tragödie „Frühlingserwachen“ eigentlich nur
zu den absolut Sensationsgierigen sprach, vermochte Schnitzler der
erklärte Liebling Japans zu werden. Beinahe alle seine Werke
wurden übersetzt, nur gerade die größten nicht. Allerdings besaß
Schnitzler neben seiner Kunst auch Glück. Durch Zufall lernte er
als Student bereits den Japaner Rintaro Mori kennen, der bis
zu seinem Tod im Herbst 1922 selbstlos sich der Propagierung
Schnitzlers widmete. Dazu kam noch, daß die von Rintaro Mori
ins Japanische umgedichteten Werke Schnitzlers den japanischen
Lesern nicht „exotisch“ vorkamen. Die süßen Wiener Mädels des
letzten Jahrzehnts des 19. Jahrhunderts, die ganze absterbende
Wiener sentimentale, ein bißchen weinerliche Kultur, die in seinen
Dramen und Novellen festgehalten zu haben, ja Schnitzlers größtes
Verdienst beinhaltet, klangen leise an die Tranrigkeit des asiatischen
Buddhismus an und schusen Brücken zwischen den Hängen Wiens
und den blühenden Gärten Japans.
Von Wedekinds sexualpsychologischer Einstellung und Strind¬
bergs immer erneuten Erörterung des Mann=Weib=Problems
führte der Weg zum Expressionismus. Hauptsächlich war es
natürlich Georg Kaiser, den man dem japanischen Publikum vor¬
führte, so wurde sein „Gas“ bereits zweimal als Repertoirestück
geführt, auch die „Bürger von Calais“ fanden freundliche Auf¬
nahme. Reinhard Görings „Seeschlacht“ kam sogar zur Aufführung,
Ernst Tollers „Wandlung“ und „Maschinenstürmer“ kamen ebenfalls
bereits japanisch heraus.
Von der mehr sentimental-lyrischen Richtung deutscher Kunst
wurde Wilhelm Schmidtbonns „Mutter Landstraße“ übersetzt, von
Hugo v. Hofmannsthal „Der Tor und der Tod“, das sogar
einige Aufführungen erlebte.
Schnitzlers Popularität auf dramatischem Gebiet wird auf
lyrischem von einem anderen deusschen Dichter erreicht: von
Heinrich Heine, dessen Gedichte, insbesondere aber seine „Loreley“,
so bekannt und in aller Munde sind wie echt japanische Volks¬
lieder. Auch Hofmannsthals Gedichte finden sich in einzelnen
Nachdichtungen, ebenso die Werke Rilkes. Die Prosa steht aller¬
dings zurück. Alle guten deutschen Romane liegen zwar — deutsch
vor, aber japanisch findet man bloß Kasimir Edschmid. Heimrich
Mann; von den großen modernen Epikern wie Wassermann,
Thomas Mann usw. hört man nichts.
Und neben all diesen Uebersetzungen gibt es natürlich eine
Menge aus anderen Sprachen; vor allem fühlt sich
Japan mit den Russen verwandt und Tolstoi wurde,
namentlich mit seinen späteren Werken, die sich ganz in den Geist
des Urchristentums versenkten, den Japanern populär vertraut.
Tolstois schwärmerische Askese, verbunden mit der Formel, daß
uns Christus das Himmelreich bereits auf Erden gegeben habe
(oder wenigstens geben habe wollen), vertrug sich auffallend gut
mit den religiösen Gedankengängen der Japaner, die in ihrer
Einfachheit ja auch auf alles Jenseitige verzichtend, die Erfüllung
bereits vom Diesseits erhoffen oder doch wenistens verlangen.
Und außer den Russen marschieren die Engländer auf —
zahllos ist das Werk ihrer Uebersetzungen, marschieren die
Franzosen. Dennoch kann man ruhig behaupten, daß die deutsch¬
Literatur mindestens schon an zweiter Stelle steht nicht nur ihrer
Quantität nach, als auch nach dem Interesse, das man ihr
entgegenbringt.
Und das
freut mehr, als tausendsacher Erfolg in der
Heimat selber.
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