VI, Allgemeine Besprechungen 2, Ausschnitte 1925–1929, Seite 19

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2. Guttings
Peie
M
Fertigfabrilarus
ursprünglich war der 1. Jänner 1928 Rollen begleiet.

Es ist für die Kulturzustände im zivilisierten und Schönherr, Salus und Halbe, Schnitzler
schlichen wir zwischen blühendem Korn und
Zentraleuropa sehr bezeichnend, daß daselbst und Hauptmann verhältnismäßig zu wenig
duftendem Flieder weit draußen auf dem
gespielt werden. Die Kultur der illustrierten
Jazz= Operetten und Revuen schlimmster
Feldweg mit klopfenden Herzen voll Ban¬
Sorte die ebenbürtigen Zuhörer begeistern,
Zeitungen gleicht einer Art geistiger Ver¬
gigkeit. Ein einsamer Wanderer kam uns
legenheitstätigkeit und hat der neuzeitliche
während im bolschewistischen Rußland ver¬
entgegen, du verbargst dein Antlitz vor ihm
Verkehrsrummel nicht in einem neuen Geiste
gleichsweise Schnitzlers bereits 1895 ent¬
in dem Strauß Margeriten, den du im
im öffentlichen Leben ein Gegenstück. Es
standenes Schauspiel „Das Märchen“ als
Arme hielist. Nur die Sterne verklärten den
genießen dieselben Menschen, die vor Ver¬
vollwertiges Tendenzwerk ebenso die Theater
holdseligen Wahn, der uns umfing und
kehrstürmen, neuen Radiomöglichkeiten usw.
ständig füllt, wie etwa Lecocgs musikalisch
begrub. Doch der nächste Tag fand uns
inerlich erschauern, in den Lichtspielhäu¬
wertvolle Operette „Mademoiselle Angot“,
zage und müd wie weinende Kinder am
sern und Revuen mit demselben Vergnügen
die bereits 1872 in Paris die Uraufführung
Weg, die Blumen pflücken für das Grab
den Kitsch, an dem sich unsere noch mit
erlebte.
ihrer Mutter...
der Pferdebahn reisenden Großväter erbaut
Es ist mit der Auffassung des Dramati¬
Heute ist draußen wieder alles, wie es
haben. Der Rückschritt auf allen künstleri¬
schen etwa wie mit der Deutung der Sitten.
einmal war: Kinder und Blumen und
schen Gebieten in der durch moderne Tänze
in
Schillers Gozzis „Turandot“. Länder,
Sonne und Jubel und Fahnen im Winde
noch nervöser gewordenen Nachkriegszeit be¬
Epochen, Moden verschieben fortwährend
und lachende Augen. Aber drinnen ist's
weist, daß die ganzen technischen großarti¬
Begriffe und Gesetze. Zu den Problemen
still geworden, so einsam und still wie der
gen Erfindungen der Neuzeit nicht imstande
der tragischen Schuld und der inneren
Raum, von dem ich hinunterschaue auf den
waren, die gemütslose Oberflächlichkeit der
Wandlung gesellen sich die Gemütszustände,
Zug, der eben vorüberwallt, bunt und ver¬
breiten Massen zu beheben.
welche Heroisches, Dämonisches, Romanti¬
gänglich wie alles: die Jugend, das Glück
sches, aber auch Alltägliches und Symboli¬
Bei Schnitzler entfaltet sich in seinen
und das Leben...
sches bedeuten. Kommi noch der Humor
reissten Werken der Hauptcharakter stets aus
und die Satire, Historisches und Philoso¬
dessen ganzem früheren Lebenslauf, aus den
Artur Schnitzler.
phisches hinzu, so ist der Umfang des Dra¬
inneren und äußeren Erlebnissen der Per¬
mas noch nicht erschöpft. Das Theater ist
Von Dr. Robert Reinhard (Prag).
sonen und indem wir denselben gleichsam
wie ein dargestelltes Feuilleton. Meist ist
ins Herz schauen, erfahren wir, was und
In möglichst kurzen Umrissen sei das
ein schlagendes Theaterstück nur schlechte
wie sie geworden sind. („Liebelei", „Der
Leben und Schaffen eines Dichters geschil¬
Literatur, dagegen ein literarisches Meister¬
grüne Kakadu“, „Literatur“ usw.).
dert, dessen Werke schon heute klassische Gel¬
werk oft ein schwaches Bühnenstück.
Artur Schnitzler wurde am 15. Mai 1862
tung besitzen, welche auch vielfach in die
als Sohn des bekannten Universitäts=Pro¬
Der Phrase und den äußerlichen Symp¬
meisten europäischen Sprachen, ja selbst ins
fessors u. Laryngologen Dr. Johann Schnitz¬
tomen erliegt leider heutzutage ein großer
Japanische übertragen worden sind. Die
ler in Wien geboren. Im Hause seiner
Teil des Publikums und es ist kein Wunder,
deutschen Bühnen greifen leider seit Jahren
Eltern gingen Bühnenkünstler aus und ein
viel zu selten auf diese Kammerkunst zurück. daß die wertvollen Stücke von Anzengruber
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