VI, Allgemeine Besprechungen 2, Ausschnitte 1925–1929, Seite 20

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2. guttings
ein Vere
#er jener Personen, die über
50.000 Kronen Steuerrückstände haben, der
politischen Behörde geben wird mit dem
und ist es daher kein Wunder, daß Artur
nach Absolvierung des akademischen Gym¬
nasiums in Wien sich trotz seiner künst¬
lerischen Neigungen, unter denen die mu¬
sikalische Betätigung eine besondere Hervor¬
hebung verdient, dem Studium der Medizin
widmete, die er im Jahre 1885 beendete.
Studienreisen nach Berlin und London er¬
weiterten den Horizont des sich vorerst kli¬
nisch und auch wissenschaftlich betätigenden
jungen Arztes, der sich viel mit Hypnose
und Suggestion befaßte. Zahlreiche Gedichte
und Novellen, die seit 1889 in der längst
eingegangenen Zeitschrift „An der schönen
blauen Donau“ erschienen, wie auch ein
an Grillparzer erinnerndes Versstück „Al¬
kandis Lied“ kennzeichnen den Anfang seiner
literarischen Tätigkeit, wobei sich der Dichter
öfters des Pfeudonyms „Anatol“ bediente.
Es wurde in einzelnen Würdigungen,
welche wir Literarhistorikern wie Richard
Specht,
J. K. Ratislav, Georg Brandes,
Alfred Kerr usw. verdanken, noch viel zu
wenig hervorgehoben, daß das Verständnis
für alles Menschliche, die Tragödien und
Komödien des Lebens, die für des Dichters
Schaffen so bezeichnend sind, auf seiner
medizinischen Schulung beruhen. Man ver¬
gleiche in dieser Hinsicht nur die Meister¬
novelle „Sterben“ (1895), das Schauspiel
„Doktor Bernhardi“, die Erzählung „Dr.
Gräsler; Badearzt“ und den Verseinakter
„Paracelsus“ usw., um diese Seelenkunde
zu verstehen, wie auch in zahlreichen Stük¬
.0 —.

gierwerkes. Erst dann
L
den Pfeifen Wind verschiedener Stärke derwärts streng nach der Partitur ge¬
zuzuführen oder Pfeifen mit beliebiger sungen wird, kommt zur Ueberzeugung,
ken und Erzählungen der Arzt an und für
mit einer bisher unerreichten Vielseitigkeit
sich als Nebenperson mehr oder weniger
zutage trat. Die Grazie des ersten Aktes,
sympathisch gezeichnet wird.
in dessen leicht geschürzte Heiterkeit die
Richard Specht hebt in seinem Buche
düsteren Schlagschatten des „fremden Herrn“
über den Dichter und sein Werk (S. Fi¬
wie ein unheimliches Vorspiel der sich
scher, Berlin) mit Recht hervor, welches
entspinnenden Katastrophe hineinragen, bil¬
Verdienst der häufige Besuch des alten Wie¬
det einen wirksamen Hintergrund für die
ner Burgtheaters, in welchem Künstler wie
mitreißende Tragik und erschütternde Stim¬
Charlotte Wolter, Ernst Hartmann, Adolf
mungskraft des dritten. Die Klagen des
Sonnenthal u. v. a. wirkten, auf des Dich¬
um ihr Lebensglück betrogenen und ihres
ters oft einzigartige Sprachkraft und Ver¬
Geliebten beraubten schlichten Wiener Bür¬
innerlichung gehabt hat. Wer übrigens den
germädchens Christine greifen uns namen¬
Dichter in seiner Jugend kannte, dem wird
lo# beängstigend, unser tiefstes Mitgefühl
dieser herrliche Poetenkopf mit den gold¬
erweckend ans Herz. Es ist kein Wunder,
braunen Bart= und Kopfhaaren und den
wenn z. B. dieses Werk als gleichnamige
gütigen lebensvollen Augen unvergeßlich
Oper in der kongenialen Vertonung des
bleiben. Es zeigt sich schon aus des Dichters
gegenwärtig in Brünn lebenden Opernchefs
Gestalt die eigenartige Vornehmheit, welche
Franz Neumann (der seinerzeit in Frankfurt
viele seiner Werke zur Kammerkunst aus¬
am Main tätig war), uns nicht minder er¬
reifen ließ.
schüttert, ja selbst als novellistisch ergänztes
Im Jahre 1895 erschien sein „Anatol“,
und des dustigen Stimmungszaubers be¬
ein einzigartiger Einakter=Zyklus, dessen
raubtes Kinostuck noch immer auf den nai¬
funkelnder Dialog noch heute besticht, der
ven Zuschauer wirkt und eine Ahnung von
uns die Lebewelt Wiens um die Jahr¬
der Erhabenheit dieses wundervollen Stim¬
„Das Märchen“
hundertwende vorführt.
mungsbildes aus dem vorkriegsmäßigen
(1895), sein erstes abendfüllendes Bühnen¬
Wien vorgaukelt. Wer jemals Künstler wie
stück, bildet einen Protest gegen das Mär¬
Adolf Sonnenthal, Friedrich Mitterwurzer,
chen von den Gefallenen, den vielverlästerten
sowie Lotte und Hermine Medersky in den
Bühnen=Künstlerinnen. Ist auch vergleichs¬
tragenden Rollen dieses Kunstwerkes ge¬
weise Magda in Sudermann's weit bekann¬
sehen hat, der wird es verstehen, daß nam¬
terem Schauspiel „Heimat“ vielleicht schär¬
hafte Literarhistoriker die Gestalt der Chri¬
fer gezeichnet als Schnitzler's Erstlings¬
stine mit Goethes Gretchen aus „Faust“
verglichen haben.
Drama, so entschädigt dafür die umfassende
Seelenkenntnis, welche in „Liebelei“ (1896)
(Schluß folgt.)
Altecte