2. Cuttings
box 38/1
Legende, von Mystik und Frömmigkeit durchwirkt ist.
So bearbeitete Max Mell das alte Halleiner Weih¬
nachtsspiel, ehe er es unternahm, selbst Dramen zu
schreiben, die demütig beim Volk in die Schule
gegangen sind; sein wundersames „Apostelspiel“ und
sein „Schutzengelspiel“ dem sich als eine ganz reife und
überzeitliche Dichtung das „Nachfolge=Christi=Spiel“
anfügte. Billinger, der in seinen Gedichten den bäueri¬
schen Jahreskreis besungen hatte, machte sich in seinem
„Perchtenspiel“ vollkommen dem bäuerischen Volks¬
brama untertan. Und Ortner endlich schuf eine Einheit
aus Legende und Anzengruberschem Bauernstück, die in
hohem Grade mustergültig für österreichisches Denken
und Schauen genannt werden muß.
So weit man schaut: man findet im Augenblick
keinen andern, der diesen drei Dichtern an die
Seite zu stellen wäre. Wien hat keinen Wiener
Romancier, keinen Wiener Dramatiker mehr. Und die
Provinz ihrerseits hat sich von der Tradition auch mehr
losgemacht, als ihr gut ist, was sogar von einem Manne
wie Schönherr gilt: sein „Weibsteufel“ ist nicht mehr
tirolisch, er könnte ganz ebenso aus plattdeutschem Geist
geboren sein, und es ist nicht belanglos, daß man ihm
im Ausland so sehr gerecht wird und daß etwas
italienische Bühnen ihn so eifrig spielen. Mell, Billinger
und Ortner aber werden zu allererst von Oesterreichern
begriffen werden können, wie ja auch nur dem Oester¬
reicher das tiefste Geheimnis Raimundscher Kunst sich
erschließt. Und indem sich ihre Werke dem Besitz der
Deutschen einfügen, erhebt wieder einmal der öster¬
reichische Stamm seine Stimme unter allen deutschen
Stämmen.
Man mußte also Billinger und Ortner vortreten
lassen und den abwesenden Max Mell nennen, wenn¬
man Gerhart Hauptmann zeigen wollte, welche unter
so vielen Dichtern heute die wahrhaft österreichischen
sind. Und es ist vielleicht gar nicht so wenig, wenn ein
Volk drei Männer nennen darf, die sich ganz und
demütig zu seiner Art mit aller ihrer Enge und allem
ihrem Reichtum bekennen.
Erwin H. Rainalter.
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Legende, von Mystik und Frömmigkeit durchwirkt ist.
So bearbeitete Max Mell das alte Halleiner Weih¬
nachtsspiel, ehe er es unternahm, selbst Dramen zu
schreiben, die demütig beim Volk in die Schule
gegangen sind; sein wundersames „Apostelspiel“ und
sein „Schutzengelspiel“ dem sich als eine ganz reife und
überzeitliche Dichtung das „Nachfolge=Christi=Spiel“
anfügte. Billinger, der in seinen Gedichten den bäueri¬
schen Jahreskreis besungen hatte, machte sich in seinem
„Perchtenspiel“ vollkommen dem bäuerischen Volks¬
brama untertan. Und Ortner endlich schuf eine Einheit
aus Legende und Anzengruberschem Bauernstück, die in
hohem Grade mustergültig für österreichisches Denken
und Schauen genannt werden muß.
So weit man schaut: man findet im Augenblick
keinen andern, der diesen drei Dichtern an die
Seite zu stellen wäre. Wien hat keinen Wiener
Romancier, keinen Wiener Dramatiker mehr. Und die
Provinz ihrerseits hat sich von der Tradition auch mehr
losgemacht, als ihr gut ist, was sogar von einem Manne
wie Schönherr gilt: sein „Weibsteufel“ ist nicht mehr
tirolisch, er könnte ganz ebenso aus plattdeutschem Geist
geboren sein, und es ist nicht belanglos, daß man ihm
im Ausland so sehr gerecht wird und daß etwas
italienische Bühnen ihn so eifrig spielen. Mell, Billinger
und Ortner aber werden zu allererst von Oesterreichern
begriffen werden können, wie ja auch nur dem Oester¬
reicher das tiefste Geheimnis Raimundscher Kunst sich
erschließt. Und indem sich ihre Werke dem Besitz der
Deutschen einfügen, erhebt wieder einmal der öster¬
reichische Stamm seine Stimme unter allen deutschen
Stämmen.
Man mußte also Billinger und Ortner vortreten
lassen und den abwesenden Max Mell nennen, wenn¬
man Gerhart Hauptmann zeigen wollte, welche unter
so vielen Dichtern heute die wahrhaft österreichischen
sind. Und es ist vielleicht gar nicht so wenig, wenn ein
Volk drei Männer nennen darf, die sich ganz und
demütig zu seiner Art mit aller ihrer Enge und allem
ihrem Reichtum bekennen.
Erwin H. Rainalter.