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2. Cuttings
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Die Jüngsten stehen noch ganz im Bühnenkampf. Paul vielleicht sehr deutlich begriffen. Kein bewußter Wille
Kornfeld, Alfred Wolfenstein, Hans José Rehfisch zum jüdischen Drama gab ihm einst die Schauspiele „Die
haben drei Elemente einzusetzen: einen tiefen Drang, ein hohes Mütter“, „Agnes Jordan“, „Nebeneinander“ ein. Er sagte
und schilderte, was er geschen und
Wollen und einen zähen Ehrgeiz —
erlitten. Er kultivierte nicht in sich,
jüdische Wege zum Erfolg.
was Sehmerz und Problem war. Er
Die Aelteren, noch nicht Alten,
ging dann auch immer mehr zum
kennen diese Wege und lächeln ein
Glück des Erzählers über, als sein
wenig, von Erinnerung beschwert,
wahrhaft jüdisches Drama „Hosea“ un¬
Hoffnung bis ans Ende nährend. Den
beachtet blieb. Starke und edie Kräfte
Ringenden draußen verwandter als
sieht er am Werk, doch keine von
Ludwig Fulda mag Georg Hirsch¬
ihnen scheint ihm den Beweis zu
feld sein. Fulda, der feine, vielseitige
liefern, daß das deutsche Drama der
Schriftsteller, der meisterliche Ueber¬
Zukunft notwendig der jüdischen
setzer, der orientalisch fabulierende
Seele entsteigen müsse, Noch einmal
Dramatiker vergangener Bürgerzeit,
steht“, der unsterbliche Zwiespalt
steht in einer sicheren Alterssphäre.
unseres Volkes da: Das Leben ist
Georg Hirschfeld wandert noch durch
unser, in Gewalten, die alles um¬
die neue Welt der Erscheinungen. Wenn
schließen, ertragen, errungen, erkannt
man ihn vergißt, wiegt ihm das nicht
aber der Ueber-Shakespeare, der es auf
viel, denn seine Art ist das Vergessen
die Bühne stellte, ist aus unseren
nicht. Er leidet nicht mehr um sein
Säften nicht denkbar, denn was ihn
„Volk“, aber er kommt aus dem Leiden
zeugen könnte, zerteilt sich in Traum
und hat ohne Anklage, ohne Propheten¬
und Kritik.
H. J. Rehfisch
wahn und ganz ohne Hohn die Situation
Die Megillah
Buch Esther, Kap. 6.1—8,17
war. Da sprachen zu ihm seine Weisen und Seresch,
In selbiger Nacht, da der Schlaf den König floh,
sein Weib: „Wenn dieser Mordechai, vor dem du zu
ließ dieser sich das Buch der Reichs-Annalen bringen
fallen begonnen hast, vom Geschlechte der Juden ist,
und daraus vorlesen. Nun fand sich darin geschrieben,
so vermagst du nichts wider ihn, sondern fällst ganz
daß Mordechai den Biglhana und den Theresch, die
und gar vor ihm.“
beiden Eunuchen des Königs, welche das Vorzimmer
bewachten, und welche Hand an den König Acha¬
Während sie noch redeten, kamen die Ver¬
schwerosch halten legen wollen, angezeigt halte. Da
schnittenen des Königs und führten den Haman eilig
fragte der König: „Was ist dem Mordechai dafür an
zu dem Mahle, das die Esther bereitet hafle. Und als
Die anwesenden
Lohn und Ehre erfeilt worden?“
der König mit Haman zum Mahle der Königin Esther
Diener antworteten: „Es ist ihm nichts dafür geworden.“
gekommen war, da sprach der König zu ihr auch an
Da sprach der König: „Wer isi im Hofe?“ (Nun war
diesem zweiten Tage, während sie Wein franken: „Was
gerade Hoinan in den äußeren Hof des Pelastes ge¬
wiinsches! du, Königin Esther? Es soll dir gewährt
kommen, um dem König zu sagen, er solle den Morde¬
werden. Was begehrsi du? Wär’s auch die Hälfle des
Glai an den Galgen hängen lassen, den er für ihn er¬
Reiches, es soll geschehen!“. Da nahm die Königin
richtet hatte.) Da sprachen die Diener: „Haman sieht
Esiher das Wort und sprach: „Wenn ich Gnade gefunden
im Hofe.“ Der König gebol: „Er kommel“. Als Haman
habe, o König, in deinen Augen, und du wohl willst, so
eingetreten war, sagie der König zu ihm: „Was soll
werde mir das Leben geschenkt, das ist mein Wunsch,
man dem Manne lun, den der König ehren will?“ Da
und mein Volk, das ist mein Begehr! Denn wir sind
dachte Haman: Wen könnte der König mehr ehren
verkauft, ich und mein Volk, und sollen vertilgt, er¬
wollen als mich? und anfworlete dem Könige: „Dem
würgt und umgebracht werden. Wären wir als Sklaven
Manne, den der König ehren will, soll man ein könig¬
und Sklavinnen verkauff worden, so hälte ich ge¬
liches Gewand bringen, das der König selbsi getragen
schiwiegen; aber der Feind ist nicht imslande, den
hat, und ein Pferd, das der König gerillen hat und
Schaden des Königs zu erselzen.“ Da sprach der König
welches die königliche Krone getragen hat. Und dies
Achaschwerosch zu der Königin Esiher: Wer ist der,
Gewand und Pferd soll man einem der vornehmsien
und wo ist der, welcher solches im Schilde führt?“
Herren am Hofe übergeben, damit er den Mann, den
Esther anfwortele: „Der Feind und Widersacher ist
der König ehren will, damit bekleide und ihn zu Pferde
dieser böse Haman dal“ Da erschrak Haman vor dem
durch die Straßen der Siadt führe, indem er ausruft:
König und der Königin; der König aber stand vom
So fut man dem Manne, den der König ehren willl“ Da
Mahle auf im Zorne und ging in den Gerten des
sprach der König zu Haman: „Eile, nimm das Gewand
Palasies. Haman aber blieb zurück und bat die
und das Pferd, wi du gesagt hast, und iu' so mit dem
Königin Esther um sein Leben; denn er soh wohl ein,
Juden Mordechai, der an der Pforte des Palastes sitzt,
daß von seiten des Königs sein Unglück eine
und unterlasse nichis von dem, was du gesagt hast.“
beschlossne Sache sei. Als aber der König aus dem
Darauf nahm Haman das Pferd und das Gewand
Garten zurückkam in den Speisesaal und den Haman
und bekleidete damit den Mordechai und führte ihn zu
auf dem Polster liegen sah, wo die Esther sich befand,
Pferd durch die Straßen der Stadl, indem er vor ihm
rief er aus: „Will er gar der Königin Gewall antun in
ausrief: „So jut man dem Manne, den der König ehren
meiner Gegenwart, in meinem Hause?“ Sofort gab er
willl“ Nachher kehrie Mordechei an die Pforte des
Befehl, und man verhüllle das Gesicht Hamans. Und
Palasies zurück, Haman aber eille nach Hause, fraurig
Charbona, einer der Verschniltenen des Königs, sprach
und mit verhülltem Haupte, und erzählte seinem Weibe
Seresch und all seinen Freunden, was ihm begegnet zu diesem: „Da siehl ja der Galgen im Hause Hamans,
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Die Jüngsten stehen noch ganz im Bühnenkampf. Paul vielleicht sehr deutlich begriffen. Kein bewußter Wille
Kornfeld, Alfred Wolfenstein, Hans José Rehfisch zum jüdischen Drama gab ihm einst die Schauspiele „Die
haben drei Elemente einzusetzen: einen tiefen Drang, ein hohes Mütter“, „Agnes Jordan“, „Nebeneinander“ ein. Er sagte
und schilderte, was er geschen und
Wollen und einen zähen Ehrgeiz —
erlitten. Er kultivierte nicht in sich,
jüdische Wege zum Erfolg.
was Sehmerz und Problem war. Er
Die Aelteren, noch nicht Alten,
ging dann auch immer mehr zum
kennen diese Wege und lächeln ein
Glück des Erzählers über, als sein
wenig, von Erinnerung beschwert,
wahrhaft jüdisches Drama „Hosea“ un¬
Hoffnung bis ans Ende nährend. Den
beachtet blieb. Starke und edie Kräfte
Ringenden draußen verwandter als
sieht er am Werk, doch keine von
Ludwig Fulda mag Georg Hirsch¬
ihnen scheint ihm den Beweis zu
feld sein. Fulda, der feine, vielseitige
liefern, daß das deutsche Drama der
Schriftsteller, der meisterliche Ueber¬
Zukunft notwendig der jüdischen
setzer, der orientalisch fabulierende
Seele entsteigen müsse, Noch einmal
Dramatiker vergangener Bürgerzeit,
steht“, der unsterbliche Zwiespalt
steht in einer sicheren Alterssphäre.
unseres Volkes da: Das Leben ist
Georg Hirschfeld wandert noch durch
unser, in Gewalten, die alles um¬
die neue Welt der Erscheinungen. Wenn
schließen, ertragen, errungen, erkannt
man ihn vergißt, wiegt ihm das nicht
aber der Ueber-Shakespeare, der es auf
viel, denn seine Art ist das Vergessen
die Bühne stellte, ist aus unseren
nicht. Er leidet nicht mehr um sein
Säften nicht denkbar, denn was ihn
„Volk“, aber er kommt aus dem Leiden
zeugen könnte, zerteilt sich in Traum
und hat ohne Anklage, ohne Propheten¬
und Kritik.
H. J. Rehfisch
wahn und ganz ohne Hohn die Situation
Die Megillah
Buch Esther, Kap. 6.1—8,17
war. Da sprachen zu ihm seine Weisen und Seresch,
In selbiger Nacht, da der Schlaf den König floh,
sein Weib: „Wenn dieser Mordechai, vor dem du zu
ließ dieser sich das Buch der Reichs-Annalen bringen
fallen begonnen hast, vom Geschlechte der Juden ist,
und daraus vorlesen. Nun fand sich darin geschrieben,
so vermagst du nichts wider ihn, sondern fällst ganz
daß Mordechai den Biglhana und den Theresch, die
und gar vor ihm.“
beiden Eunuchen des Königs, welche das Vorzimmer
bewachten, und welche Hand an den König Acha¬
Während sie noch redeten, kamen die Ver¬
schwerosch halten legen wollen, angezeigt halte. Da
schnittenen des Königs und führten den Haman eilig
fragte der König: „Was ist dem Mordechai dafür an
zu dem Mahle, das die Esther bereitet hafle. Und als
Die anwesenden
Lohn und Ehre erfeilt worden?“
der König mit Haman zum Mahle der Königin Esther
Diener antworteten: „Es ist ihm nichts dafür geworden.“
gekommen war, da sprach der König zu ihr auch an
Da sprach der König: „Wer isi im Hofe?“ (Nun war
diesem zweiten Tage, während sie Wein franken: „Was
gerade Hoinan in den äußeren Hof des Pelastes ge¬
wiinsches! du, Königin Esther? Es soll dir gewährt
kommen, um dem König zu sagen, er solle den Morde¬
werden. Was begehrsi du? Wär’s auch die Hälfle des
Glai an den Galgen hängen lassen, den er für ihn er¬
Reiches, es soll geschehen!“. Da nahm die Königin
richtet hatte.) Da sprachen die Diener: „Haman sieht
Esiher das Wort und sprach: „Wenn ich Gnade gefunden
im Hofe.“ Der König gebol: „Er kommel“. Als Haman
habe, o König, in deinen Augen, und du wohl willst, so
eingetreten war, sagie der König zu ihm: „Was soll
werde mir das Leben geschenkt, das ist mein Wunsch,
man dem Manne lun, den der König ehren will?“ Da
und mein Volk, das ist mein Begehr! Denn wir sind
dachte Haman: Wen könnte der König mehr ehren
verkauft, ich und mein Volk, und sollen vertilgt, er¬
wollen als mich? und anfworlete dem Könige: „Dem
würgt und umgebracht werden. Wären wir als Sklaven
Manne, den der König ehren will, soll man ein könig¬
und Sklavinnen verkauff worden, so hälte ich ge¬
liches Gewand bringen, das der König selbsi getragen
schiwiegen; aber der Feind ist nicht imslande, den
hat, und ein Pferd, das der König gerillen hat und
Schaden des Königs zu erselzen.“ Da sprach der König
welches die königliche Krone getragen hat. Und dies
Achaschwerosch zu der Königin Esiher: Wer ist der,
Gewand und Pferd soll man einem der vornehmsien
und wo ist der, welcher solches im Schilde führt?“
Herren am Hofe übergeben, damit er den Mann, den
Esther anfwortele: „Der Feind und Widersacher ist
der König ehren will, damit bekleide und ihn zu Pferde
dieser böse Haman dal“ Da erschrak Haman vor dem
durch die Straßen der Siadt führe, indem er ausruft:
König und der Königin; der König aber stand vom
So fut man dem Manne, den der König ehren willl“ Da
Mahle auf im Zorne und ging in den Gerten des
sprach der König zu Haman: „Eile, nimm das Gewand
Palasies. Haman aber blieb zurück und bat die
und das Pferd, wi du gesagt hast, und iu' so mit dem
Königin Esther um sein Leben; denn er soh wohl ein,
Juden Mordechai, der an der Pforte des Palastes sitzt,
daß von seiten des Königs sein Unglück eine
und unterlasse nichis von dem, was du gesagt hast.“
beschlossne Sache sei. Als aber der König aus dem
Darauf nahm Haman das Pferd und das Gewand
Garten zurückkam in den Speisesaal und den Haman
und bekleidete damit den Mordechai und führte ihn zu
auf dem Polster liegen sah, wo die Esther sich befand,
Pferd durch die Straßen der Stadl, indem er vor ihm
rief er aus: „Will er gar der Königin Gewall antun in
ausrief: „So jut man dem Manne, den der König ehren
meiner Gegenwart, in meinem Hause?“ Sofort gab er
willl“ Nachher kehrie Mordechei an die Pforte des
Befehl, und man verhüllle das Gesicht Hamans. Und
Palasies zurück, Haman aber eille nach Hause, fraurig
Charbona, einer der Verschniltenen des Königs, sprach
und mit verhülltem Haupte, und erzählte seinem Weibe
Seresch und all seinen Freunden, was ihm begegnet zu diesem: „Da siehl ja der Galgen im Hause Hamans,