VI, Allgemeine Besprechungen 2, Ausschnitte 1928–1931, Seite 17

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2. Cuttings
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Bürgertums wieder
unserm ererbten Ge¬
ins Licht zu setzen.
fühl: der schaffende
Carl Sternheim als
Jude kann nicht sehr
Jude der Dekadenz
glücklich sein. Jetzt
konnte und mußte
noch nicht. Wenn er
preisgeben, was er
es ist, kommt kultur¬
als wurmstichig er¬
bewußte Absicht hin¬
kannt hatte. Ist er
zu — das eben ist
ein Dichter, dieser
Oesterreich. Diese Er¬
Gellende, dieser
wägung mindert nicht
Peitschenschläger,
Beer-Hofmanns Ver¬
fern vom Lyrismus
dienst, den gesunden
des Schmerzes, fern
und rassestolzen
von den Träumen
Juden herausgestellt
der Vorfahren? Die
zu haben, den posi¬
in
Frage erstirbt
tiven Erben positiver
seiner eisigen Region.
Herrlichkeit. An
Aber man weiß, daß
weicher Klage hätten
„Bürger Schippel“ und
wir wahrlich genug.
„1913“ Zeichender Un¬
Franz Werfel
Aufrecht geht endlich
Lion Feuchtwanger
sterblichkeit tragen.
ein Erbe zwischen
Chaotisene Entladung war des jüdischen Dramatikers
den Schleppenden. Nur — an der Zeit ist es noch nicht,
Tat vor allem. Ihr gegenüber steht ein edles Maß, die Selbst¬
wenn und weil es aus dem leichteren Oesterreich kommt.
zucht der Unzerrissenen. Sie haben sich zum Geist gerettet,
Wir müssen auf den Beer-Hofmann Deutschlands warten.
der über alle Leiden reicht, von Urzeiten bis zum letzten
Das zwanzigste Jahrhundert sandte eine Fülle jüdischer
schweren Traum nach 1918. Hier steht Stefan Zweig, der
Landsmann Schnitzlers und Hofmannsthals, an erster Stelle.
Talente auf den dramatischen Plan. Hohe, ernste, edie Be¬
Seine originelle Kraft erreicht die beiden Aelteren nicht,
gabungen, und alles wäre gut, zum mindesten voll Ver¬
aber seine Künstlerschaft hat er sich noch makelloser erzogen.
heißung, wenn nicht die zuvor schon erwachte Beweglichkeit
„Tersites“, „Jeremias“, „Volpone“, „Legende eines Lebens“
jüdischen Geistes den Boden der Kritik für die Dichter be¬
sind reife Früchte einer jüdischen Dramatik. Strenge Form¬
reitet, das Langsame und Schwere, das nun einmal im
wahl, tiefe Seelenkenntnis, schriftstellerische Kultur, die am
deutschen Poeten leben muß, zeitlich, ja modern beschleunigt
Ende ihres langen Weges nicht erschöpft und trauervoll, auch
hätte. In diesem Gefühl liegt, sub specie aeterni, noch ein
nicht böse geworden, sondern gewillt, die Bildkraft eines
Verdacht gegen unsere neuen deutschen Dramatiker jüdischer
deutschen Juden zu erweisen
Seeie.
Ausschließlicher jüdisch noch bestrebt im Ringen um das
Der merkwürdigste und echteste unter ihnen mag Ernst
Drama sind Max Brod und Arnold Zweig. Sie fühlen
Toller sein. Er hat den Beweis, nicht nur den Traum der
sich als nationale Kämpfer und Zukunftsträger, sie sehen ein
Tat geliefert. Diese eine große Notwendigkeit erfüllte seinen
beladenes, aber aufwärtsschreitendes Volk. Stärker bekunden
Instinkt. Der entfesselte Jude kehrte allzu oft sogleich in
sich ihre Begabungen freilich im Epos als im Drama. Es
Literatur ein, und Literatur ist Glanz, Reichtum, Schönheit,
hätte nicht ihrer Beispiele bedurft, wohin die jüdische Be¬
aber am wenigsten Verantwortung. Nur wer Gefahr besteht,
gabung eigentlich zielt — das Lebenswerk Jakob Wasser¬
kann geliebt werden. Durch die Schule seines Volkes war
manns, der dem Drama fern geblieben, zeigt ein Dichterglück,
Ernst Toller gegangen — im Weltkriege vollzog sich vieles,
dem auch Max Brod und Arnold Zweig immer wieder zu¬
was sich am Judentum vollzog. Der politische Mann wurde
neigen: der orientalische Erzähler baut sich die Welt, reicher
gebraucht, nicht der schweifende Literat. Man mag von den
und größer jetzt als ehedem. Ihm lauschen alle, und die
Wirren der Nachkriegszeit denken wie man will — wer
Bühne ist ihm gering gegen den Teppich, auf dem er sitzt
damals ins Feuer kam und handelte, nicht nur schrieb, hatte
und den großen Kindern Märchen gibt.
Mut. So erschien, viel umstritten, Ernst Toller. Im Gefängnis
erlöste er sich dann als Dichter. „Wandlung“, „Masse Mensch“
Diese Ruhe eines großen Temperaments, die eigentlich
„Maschinenstürmer“, „Hinkemann“ haben wir von ihm, An¬
epische Ruhe, hält Lion Feuchtwanger nicht fest, ob¬
klagen des Schmerzes, der Empörung, der Begeisterung mehr
wohl seine Kraft im abwägenden Kunst¬
als plastische Künstlertaten, aber von
verstande wirkt. Zeitgedanken auffassend
besonderem Wert doch durch den Boden
und deutend, gibt er auf der Bühne aus
des Erlebnisses. Die Verantwortung im
seiner jüdischen Begabung, ohne spezi¬
fisch jüdisch zu schaffen. Das Drama
Wort — sie tat dem Juden bitter not —
gewann dichterische Wirkungen durch
Ernst Toller kennt sie.
ihn aus den Schauspielen „Thomas
Neben den Ekstatiker den Zyniker zu
Wendt“, einem kühnen Zeitgemälde der
stellen, neben den Ankläger der Zeit
Nachkriegszeit, „Jud Süß“, einer Vor¬
ihren Verhöhner — das erweist die un¬
stufe des bekannten Romans, „Kalkutta
geheure Spanne jüdischer Möglichkeiten.
4. Mai“ und „Die Kriegsgefangenen“,
Der Fremdeste vor Ernst Toller mag
Franz Werfel, der bedeutende
Carl Sternheim sein. — auch er ein
Lyriker, mag nach starken dramatischen
Könner, wie er notwendig wurde. Das
Leistungen („Spiegelmensch“, „Bocks¬
deutsche Bürgertum entblößt zu haben an
gesang“, „Juarez und Maximilian“,
einer wilden Zeitwende, unbarmherzig,
„Paulus unter den Juden“) doch am
kalt und unbeirrt, ist so sehr Verdienst,
schönen
reifsten in die Stille seines
wie es das eines kommenden Dichters
Stefan Zweig
Musikantenromans einkehren.
(Phot.: Atelier Hintner, Salzburg)
sein wird, die ewigen Kräfte diesce