nis
box 38/2
2. Cuttings
näher stehen, und in denen er sich unmittelbarer durch den
Mund einer seiner Figuren aussprechen konnte, wogegen er
sich als Erzähler strengere Zurückhaltung auferlegte und seiner
guten Erziehung in der Schule Flauberts auch dadurch Ehre
machte, daß er Allgemeinheiten in den erzählenden Bericht
einzuflechten beinahe ängstlich vermied. Im Drama ergaben
sie sich von selbst überall dort, wo der in der Schule des
Wiener Burgtheaters, zumal des Burgtheaters der achtziger
Jahre des vorigen Jahrhundertes, mündig gewordene Geist
eines seiner Helden die Verwandtschaft mit dem Geist seines
Schöpfers einbekennen durfte. Dies geschah am häufigsten in
jenen Augenblicken des dramatischen Geschehens, in welchen
die Re##ion die Handlung ablöst, um aus dem Vor¬
gefallenen kluge Schlüsse zu ziehen und den Einzelfall zum
Axiom zu erweitern. Ein Vorgang, der dem Wiener sehr
geläufig ist und bei unseren größten Dichtern wiederkehrt,
von Raimund und Grillparzer bis auf die letzten Ausläufer
dieser bodenständigen Richtung, welche Schnitzlers „Jung¬
Wien“ zusammenfaßte. Der Wiener ist ein Philosoph — eine
Aehnlichkeit mehr mit dem Pariser — und auch Schnitzler ist
Phil oph, insofern er Wiener ist. In seinen ersten, leichten
Komödien, die fast wie die Proverbs von Musset plaudern,
begegnen wir diesem Zug, und bis in seine letzte Dichtung
„Der Gang zum Weiher“ läßt er sich verfolgen. Im
„Paracelsus“ beispielsweise, welcher Einakter aus den neun¬
ziger Jahren des vorigen Jahrhunderts, ebenso wie die
gleichaltrige „Frage an das Schicksal“ um das damals sehr
moderne (durch Charcots Forschungen aktuell gewordene)
Problem der Hypnose kreist, sagt der enigmatische Held am
Schlusse, nachdem er sich ein etwas gewagtes Spiel mit den
braven Baseler Bürgern erlaubt hat, beziehungsreich ab¬
schließend: „Wir spielen alle, wer es weiß, ist klug.“ Und
—
in „Frage an das Schicksal“ konkludiert ganz ähnlich, wenn äußerungen.“ Zu dieser
gebenen Falle auch die
auch noch mehr in der Richtung zum Gesellschafts=Witzigen,
Gabe, amüsant zu sein, das
ein junger Schwerenöter: „Also das eine wird mir jetzt klar:
derart zu formulieren, daß
daß die Weiber auch noch in der Hypnose lügen. Später
Alle Welt schreibt heute De
werden, wie bei jedem wahren Dichter, aus den „Weibern“
über diese Memoirenschreiber,
Frauen, aus dem Witz wird Weisheit, letzte schmerzliche
illustren Schar persönlich wi
Erkenntnis, traurig beglückend: So heißt es in Schnitzlers
in einem Aphorisma des gena#
letztem dramatischen Werk: „Der Gang zum Weiher“, dessen
Gesicht: „Man hat es
Aufführung am Wiener Burgtheater er noch erleben durfte, in
schreiben, wenn man ein sch
einem unsterblichen Vers: „Als lernte Leid sich leicht. Auch
sollte diesen lapidaren Satz
Leid ist Gnade.“ Hier wird die Philosophie lauterste Poesie.
aufnehmen. Denn das ist, w#
spielphilosophie.
Den Geist, den Schnitzler in seinem Dialog versprühte
Der Probestein für jede
doch immer im Dienste dramatischer Charakteristik -
zu Gott. Wie steht es dam
sublimierte er in seinen letzten Jahren zu einem köstlichen
Skeptiker, der seine Bekan
kleinen Werk: „Buch der Sprüche und Bedenken.“ Es ist
Gott!“, seine Freunde, noch
ein rein philosophisches Buch, aber ein von lebendigster
der Himmel!“ begrüßte, gal
Anschauung völlig durchdrungenes, von der Art etwa der
liche Unabhängigkeit seines
großen Moralisten des französischen siebzehnten und acht¬
nahmen, für einen sehr unsich
zehnten Jahrhunderts, eines La Bruyère, eines Chamfort.
sachen. Tartüff, der ihm der
Oder klingt es nicht wie von La Bruyère, wenn
verzeihen konnte, sagte zwar
Schnitzler notiert: „Mit dem Ohr der Menschheit ist es so
nicht verzeihen konnte — es
beschaffen, daß es den Schall zu verschlafen und erst durch
die Dinge so gerade heraus
das Echo zu erwachen pflegt“? Glaubt man nicht Chamfort
er mit Bedauern, daß Schnitzl
zu hören, wenn der Dichter äußert: „Wer deine bittersten
physische“ hinübergreife, da
Feinde sind? Unbekannte, die ahnen, wie sehr du sie ver¬
man einem deutschen Dichter
achten würdest, wenn du sie kenntest.“ Dennoch atmet jeder
heimnis leugnet, wird in
dieser Sätze etwas vom Wesen Schnitzlers, in ihrem Gefüge
„Geheimer Rat“, und auch
webt das Geheimnis der Persönlichkeit, das er selbst einmal
wollte es auch gar nicht wer
mit den Worten vorbildlich umschreibt: „Was als Per¬
seines Urteils um keinen Pr.
sönlichkeit wirkt, ist das Leuchten aller Möglichkeiten eines
Charakters hinter seinen wirklichen und zufälligen Lebens= abkaufen ließ. Ihn darum
et ceeer 1.2
box 38/2
2. Cuttings
näher stehen, und in denen er sich unmittelbarer durch den
Mund einer seiner Figuren aussprechen konnte, wogegen er
sich als Erzähler strengere Zurückhaltung auferlegte und seiner
guten Erziehung in der Schule Flauberts auch dadurch Ehre
machte, daß er Allgemeinheiten in den erzählenden Bericht
einzuflechten beinahe ängstlich vermied. Im Drama ergaben
sie sich von selbst überall dort, wo der in der Schule des
Wiener Burgtheaters, zumal des Burgtheaters der achtziger
Jahre des vorigen Jahrhundertes, mündig gewordene Geist
eines seiner Helden die Verwandtschaft mit dem Geist seines
Schöpfers einbekennen durfte. Dies geschah am häufigsten in
jenen Augenblicken des dramatischen Geschehens, in welchen
die Re##ion die Handlung ablöst, um aus dem Vor¬
gefallenen kluge Schlüsse zu ziehen und den Einzelfall zum
Axiom zu erweitern. Ein Vorgang, der dem Wiener sehr
geläufig ist und bei unseren größten Dichtern wiederkehrt,
von Raimund und Grillparzer bis auf die letzten Ausläufer
dieser bodenständigen Richtung, welche Schnitzlers „Jung¬
Wien“ zusammenfaßte. Der Wiener ist ein Philosoph — eine
Aehnlichkeit mehr mit dem Pariser — und auch Schnitzler ist
Phil oph, insofern er Wiener ist. In seinen ersten, leichten
Komödien, die fast wie die Proverbs von Musset plaudern,
begegnen wir diesem Zug, und bis in seine letzte Dichtung
„Der Gang zum Weiher“ läßt er sich verfolgen. Im
„Paracelsus“ beispielsweise, welcher Einakter aus den neun¬
ziger Jahren des vorigen Jahrhunderts, ebenso wie die
gleichaltrige „Frage an das Schicksal“ um das damals sehr
moderne (durch Charcots Forschungen aktuell gewordene)
Problem der Hypnose kreist, sagt der enigmatische Held am
Schlusse, nachdem er sich ein etwas gewagtes Spiel mit den
braven Baseler Bürgern erlaubt hat, beziehungsreich ab¬
schließend: „Wir spielen alle, wer es weiß, ist klug.“ Und
—
in „Frage an das Schicksal“ konkludiert ganz ähnlich, wenn äußerungen.“ Zu dieser
gebenen Falle auch die
auch noch mehr in der Richtung zum Gesellschafts=Witzigen,
Gabe, amüsant zu sein, das
ein junger Schwerenöter: „Also das eine wird mir jetzt klar:
derart zu formulieren, daß
daß die Weiber auch noch in der Hypnose lügen. Später
Alle Welt schreibt heute De
werden, wie bei jedem wahren Dichter, aus den „Weibern“
über diese Memoirenschreiber,
Frauen, aus dem Witz wird Weisheit, letzte schmerzliche
illustren Schar persönlich wi
Erkenntnis, traurig beglückend: So heißt es in Schnitzlers
in einem Aphorisma des gena#
letztem dramatischen Werk: „Der Gang zum Weiher“, dessen
Gesicht: „Man hat es
Aufführung am Wiener Burgtheater er noch erleben durfte, in
schreiben, wenn man ein sch
einem unsterblichen Vers: „Als lernte Leid sich leicht. Auch
sollte diesen lapidaren Satz
Leid ist Gnade.“ Hier wird die Philosophie lauterste Poesie.
aufnehmen. Denn das ist, w#
spielphilosophie.
Den Geist, den Schnitzler in seinem Dialog versprühte
Der Probestein für jede
doch immer im Dienste dramatischer Charakteristik -
zu Gott. Wie steht es dam
sublimierte er in seinen letzten Jahren zu einem köstlichen
Skeptiker, der seine Bekan
kleinen Werk: „Buch der Sprüche und Bedenken.“ Es ist
Gott!“, seine Freunde, noch
ein rein philosophisches Buch, aber ein von lebendigster
der Himmel!“ begrüßte, gal
Anschauung völlig durchdrungenes, von der Art etwa der
liche Unabhängigkeit seines
großen Moralisten des französischen siebzehnten und acht¬
nahmen, für einen sehr unsich
zehnten Jahrhunderts, eines La Bruyère, eines Chamfort.
sachen. Tartüff, der ihm der
Oder klingt es nicht wie von La Bruyère, wenn
verzeihen konnte, sagte zwar
Schnitzler notiert: „Mit dem Ohr der Menschheit ist es so
nicht verzeihen konnte — es
beschaffen, daß es den Schall zu verschlafen und erst durch
die Dinge so gerade heraus
das Echo zu erwachen pflegt“? Glaubt man nicht Chamfort
er mit Bedauern, daß Schnitzl
zu hören, wenn der Dichter äußert: „Wer deine bittersten
physische“ hinübergreife, da
Feinde sind? Unbekannte, die ahnen, wie sehr du sie ver¬
man einem deutschen Dichter
achten würdest, wenn du sie kenntest.“ Dennoch atmet jeder
heimnis leugnet, wird in
dieser Sätze etwas vom Wesen Schnitzlers, in ihrem Gefüge
„Geheimer Rat“, und auch
webt das Geheimnis der Persönlichkeit, das er selbst einmal
wollte es auch gar nicht wer
mit den Worten vorbildlich umschreibt: „Was als Per¬
seines Urteils um keinen Pr.
sönlichkeit wirkt, ist das Leuchten aller Möglichkeiten eines
Charakters hinter seinen wirklichen und zufälligen Lebens= abkaufen ließ. Ihn darum
et ceeer 1.2