VI, Allgemeine Besprechungen 2, Ausschnitte 1931–1933, Seite 41

2. Cuttings
box 38/3
Ausschnitt aus:
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Eche, Wien
vom:
17 AUG. P936
Das Theater im 20. Jahrhundert
Von Hans Georg Marek
Wir bringen in zwei Fortsetzun¬
peinliche Milieuschilderung und photo¬
gen einen grundlegenden Artikel aus
graphisch treue Abbildung des wirklichen
der Feder Hans Georg Marels, des
Lebens zielte (Emile Zola war hier der
Sohnes des österreichischen Gesandten in
Bahnbrecher), erreichte in Rußland durch
Prag. Hans Georg Marek hat schon
in kurzer Zeit als Schauspieler und
Stanislawsky
Moskauer
im
Regisseur die Aufmerksamkeieit auf sich
Künstlertheater seinen Höhepunkt.
gelenkt und war in der letzten Saison
In Deutschland wurde er trotz des
im Burgtheater als Regieassistent
Eintretens Otto Brahms, vor allem
tätig.
in der „Freien Bühne“ in Berlin, bald
Für das Theater bedeutet das zwan¬
überwunden. Seine dichterischen Haupt¬
zigste Jahrhundert, so wie für die meisten
vertreter waren hier der junge Gerhart
anderen Kunstgattungen, ein Zeitalter
Hauptmann, Arno Holz, Johannes
der Experimente. Nachdem gegen Ende
Schlaf und, ins Wienerische umge¬
des vorigen Säkulums die Theater teils
bogen, Artur Schnitzler.
im Virtuosentum der Schauspieler, teils
fogted Intermezzo der
in der Konvention der Dichtung und des
Neuromantik, die hinter der Wirk¬
Bühnenbildes erstarrt waren, drängte
lichkeit die Seele der Menschen und Dinge
sich seither stärker als je die Erkenntnis
sehen wollte. Ausgehend vom „Théatre
durch: Das Theater ist im Wesen und
d'Oenvre“ des Lugne=Poé in Paris,
Inhalt unsterblich, doch seine Form ist
der vor allem Maeterlinck zum
veraltet.
Siege verhalf, fand diese Strömung in
Nicht mit dem 1. Jänner 1900 beginnt
Deutschland im jungen Max Reinhardt
die neue Zeit, sondern ungefähr um 1870,
ihren Fahnenträger und den formen¬
damals, als wie ein Flammenzeichen der
gewandten Dichter Hugo von Hof¬
Naturalismus erschien. Frankreich
mannsthal.
wurde, wie so oft, die Geburtsstätte des
Die neue Richtung wirkte auf das
Neuen, doch ward es in anderen Ländern,
Bühnenbild völlig umstürzlerisch. Der
so vor allem in Deutschland und Ru߬
Engländer Gordon Craig wurde in
land, zu seiner höchsten Entfaltung ge¬
seinem Kampf gegen den Naturalismus
bracht. Hand in Hand mit den Dichtern
der eigentliche Begründer der Stilbühne
der neuen Strömungen gingen Regisseure
und das Ringen um ihre Gestalung füllt
und Bühnenbildner, die in unserem Jahr¬
den Beginn des 20. Jahrhunderts aus.
hundert große Bedeutung erlangten und
Man wollte einerseits die „Guckkasten¬
bestimmend wurden für die vollkommene
bühne“ unseres Rangtheaters beseitigen,
Neugestaltung des Theaters.
aderseits eine Bühne schaffen, die ohne
Der Naturalismus, der in Frankreich
Verzicht auf malerische Wirkungen
vom „Theatre libre“ des André An¬
schnelle, pausenlose Verwandlungen bei
toine seinen Ausgang nahm und auf
bilderreichen Stücken ermöglichte. Der
letzte der unzähligen Versuche seit der
ersten Münchner Shakespeare=Bühne von
1884 ist die große Tat Alfred Rollers
mit Hilfe der nach ihm benannten Türme.
In das äußerste Extrem schlug der
Kampf gegen den Naturalismus um in
einer Richtung, die nur die Seele hinter
den Dingen aufweisen wollte: dem Ex¬
pressionismus. Seine Anhänger
verneinten jedwede Grenze zwischen
Traum und Wirklichkeit. Sie bemühten
sich, anstatt der Schilderung von Ge¬
schehnissen nur um die Heraushebung
von einzelnen wichtigen Momenten in
kurzer, prägnanter Sprache. Bahnbrecher
war Frank Wedekind; sie gipfelte in
Walter Hasenclever, Karl Stern¬
heim, Ernst Toller und Georg
Kaiser. Ihr großer Regisseur war
Leopold Jeßner (Treppe).
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