VI, Allgemeine Besprechungen 2, Ausschnitte 1933, undatiert, Seite 9

2. Cuttings
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Arthur Schnitzler, auf den wir so grosse Hoffnungen und Erwartungen
setzen, ist ein Wiener Kind. Er hatte, 1862 geboren, von seinem Vater,
der ein bedeutender Mediciner war, einen bekannten Namen geerbt. Ob
auch etwas von dem Talente des Vaters auf den Sohn, der ebenfalls die
ärztliche Praxis ausübt, übergegangen, können wir hier nicht untersuchen.
Wir haben nur dem Dichter einige Worte zu widmen.
Er begann mit seinem „Anatol“ (1892). J. V. Widmann, der geist¬
reiche Redacteur des „Berner Bund“, den man nicht gerade einen stimm¬
führenden „Jungen“ nennen kann, sagte über diese dramatischen Skizzen:
„Etwas so Pikantes und zugleich Geistreiches wie diesen „Anatol“ sollte
man gar nicht mit Tinte recensiren, man; üsste die Feder vielmehr in
Champagner tauchen. Es ist so etwas darin von dem infernalischen Witz
der französischen Sittenromane des vorigen Jahrhunderts.“
Auf „Anatol“ folgte das Schauspiel „Märchen“, in welchem menschliche
Eifersucht ihr Wesen treibt, im Deutschen Volksthcater mit mässigem
Erfolge aufgeführt. Die Bühne eroberte sich Schnitzler erst sozusagen mit
der „Liebelei“. Die Aufführung dieses feingeformten Stückes war für das
nicht eben novitätenreiche Burgtheater ein Erfolg.
Christine, eines armen Vorstadtmusikers Tochter, gab in überquellender
Liebe ihr ganzes Herz einem jungen Manne, der gewohnt ist, an keiner
Blume, der er begegnet, vorüberzugehen. Er liebt das „süsse Mädel“, ist
es doch eine Abwechslung in seinem Verkehr mit einem „dämonischen
Weibe“. Der Mann dieser Letzteren tödtet ihn im Duell. Man begräbt
ihn, verständigt hievon natürlich seine Bekannten; an das arme Ding,
für das er das Leben war, aller Inbegrift von Glück, denkt Niemand.
Gebrochen an Seele und Leib, am Leben verzweifelnd, geht Christine
zum Grabe des Geliebten, um zu sterben. Der Vorwurf ist einfach und
doch wie weittragend in seinen Consequenzen! Wir thun Einblick in eine
Welt, die wir täglich sehen, die um uns ist, in der der Eine oder Andere
wohl selbst flüchtige Stunden verlebte: die Welt der armen Mädchen.
die ihr Herz ihrem Triebe folgend verschenken und die für die jungen
Männer der gebildeten Kreise nichts sind als — eine Liebelei.
Während die „Liebelei“ sich am Repertoire erhält, fanden zwei andere
Stücke Schnitzler's, „Freiwild“ (aufgeführt im Carltheater) und das „Ver¬
mächtnis“ nur mehr vorübergehendes Interesse.
Einen nennenswertheren Erfolg hatte Schnitzler erst wieder mit seinem
Einacterabend im Burgtheater erzielt. Von den kleinen Stücken ist wohl
„Der grüne Kakadu“ das interessanteste. Man ist auch bei der Lectüre
angenehm überrascht und gefangen genommen, wie in dieser dramatischen
Kleinigkeit, die uns mit kühnem Muthe einen Blick in die unglaubliche
Verderbtheit des französischen Adels vor Anbruch der ersten Revolution
thun lässt, fortwährend Schein und Wirklichkeit ineinander fliessen. Es ist
Komödie auf dem Welttheater.
Den dramatischen Arbeiten Schnitzler’s haftet vielfach etwas Novel¬
listisches an. Das, was ihm als Dramatiker etwa zum Vorwurf gemacht
werden könnte, dass er seine Menschen auf der Bühne als Seelenarzt
förmlich secirt, muss ihm als Erzähler als grösster Vorzug angerechnet
werden. Freilich sind die Stoffe, die sich der Novellist Schnitzler wählt,
nicht immer erquickliche zu nennen.
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