VI, Allgemeine Besprechungen 2, Ausschnitte 1933, undatiert, Seite 28

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Sonntagsblatt des Hannoverschen Conrier.
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„Laß Dir nicht einfallen, sie anzurühren,“ rief Beppo drohend.
Nie hatte Beppo so hinreißend gespielt; Publikum und Presse
nich würde Dich tödten!“
waren in den höchsten Lobeserhebungen einig, und wochenlang vor
Dann folgten Thränen, und Juanita bat ihn um Verzeihung;
Beppos Auftreten war zu seinen Konzerten der letzte Platz vergeben.
sie beschwor ihn, der Alte für sie zu werden. Diese Szenen wiederholten
Doch Beppo blieb auch bei dem Jauchzen der Menge gleichgiltig.
sich häufiger und häufiger, und eines Tages ergriff Juanita bei solchem
Wenn der letzte Strich seiner Bioline verklungen, so brachte ihn selbst das
Gespräch rasch, ehe Beppo sie daran hindern konnte, die Violine, und mit
Tosen der Menge nicht noch einmal vor die Rampe, und diese Eigenthüm¬
leidenschaftlicher Geberde schleuderte sie das Instrument zur Erde und
lichkeit Beppos steigerte noch seine Berühmtheit.
setzte den Fuß darauf.
Juanita litt schwerer und schwerer, denn Beppo hatte sich ihr fast
Ein Guarnerius!“ schrie Beppo auf und fiel bewußtlos auf den
vollständig entzogen.
Teppich.
Ein amerikanischer Impresario schlug Beppo unter den denkbar
Entsetzt rief Juanita den Diener zu Hilfe und suchte Beppo aus
günstigsten Bedingungen eine Tournée im Auslande vor. Beppo nahm
der Ohnmacht zu erwecken.
an und stellte nur die eine Bedingung, daß nie und unter keinen Um¬
Mit wirrem Blick, ohne ein Wort zu sprechen, kniete der Künstler
ständen eine fremde Hand seine Violine berühren dürfte.
dann auf der Erde, er hob die einzelnen Stücke der Violine auf und
Juanita wollte den Gatten begleiten, und Beppo erhob keinen Ein¬
sprach mit ihnen, er küßte sie, lachte und herzte mit dem todten Holz:
spruch dagegen. Die ganze Tournée war ein einziger Triumphzug, aber
Beppo hatte den Verstand verloren. Langsam war der Wahnsinn heran¬
in der Fremde ließen, wie in Paris, alle Ovationen den Künstler kalt.
geschlichen, seit dem Tage, da er die alte, italienische Violine sein nannte;
„Ein bescheidener Künstler,“ rief der Impresario, „das ist mir noch
die Nervenüberreizung, das angestrengte Studiren hatten die entsetzliche
Zerstörung seines Geistes im Verborgenen gefördert und niemand,
nicht vorgekommen!“
weder sein Weib, noch die näheren Freunde, die jubelnde Menge hatten
Aber dem Geschäftsmann konnte das nur recht sein; noch nie hatte
eine Ahnung davon gehabt.
er eine so glückliche Hand mit einer Künstlerreise gehabt.
Beppo wurde in eine Irrenanstalt gebracht, und berühmte Aerzte
Juanita folgte dem Manne traurig und resignirt. Vergebens ver¬
mühten sich um ihn.
Fuchte sie, ihm wieder näher zu treten; doch während der zwei Jahre.
die sie so zusammen durch die Welt zogen, wurde ihr keine Liebkosung,
Nach mehrmonatlichem Aufenthalt in der Anstalt wollte der leitende
kein zärtliches Wort zutheil. Beppo lebte nur für sein Instrument.
Arzt einen Rettungsversuch wagen. Er lud einige Freunde des Künstlers
In Paris änderte sich das Leben der Beiden nicht, nur daß Jua¬
ein; auf ein gegebenes Zeichen sollte Juanita aus einem Nebenzimmer
nitas Aufmerksamkeiten, ihr zärtliches Bemühen Beppo reizten und ihn
kommen. Als der kranke Künstler eintrat, benahm sich jeder der Ge¬
ladenen bei der Begrüßung so, als hätten sie sich erst am Tage zuvor
gegen seine Frau einnahmen.
mit Beppo gesehen. Der unglückliche Künstler war zerstreut, bedrückt
„Du langweilst mich mit Deiner Liebe,“ sagte er. „Hätte ich
in seinem Wesen und entzog sich den Bekannten.
Dich doch nie kennen gelernt. Wir Künstler müßten uns überhaupt
„Nun, verehrter Meister,“ sagte der Arzt plötzlich und klopfte ihm
nicht binden.“
freundschaftlich auf die Schulter, „nun müssen Sie uns aber wirklich
Vor der Welt suchte Juanita das Benehmen des Gatten zu ver¬
etwas von Ihrem wunderbaren Talent zum besten geben, hier ist Ihre
bergen. Verwandte und Freunde konnten das Glück der jungen Frau
Violine.“
nicht genug preisen!
Bei diesen Worten fuhr Bepvo zusammen. Seit er in der Anstalt
Eines Tages, als Beppo sich wieder in seinem Studierzimmer ein¬
war, hatte er kein Instrument gesehen. Der Arzt reichte ihm mit freund¬
geschlössen hatte, trieb Juanita die Neugierde, durch das Schluffettoch
lichem Gesicht eine Violine, die äußerlich vollkommen der einst besessenen
zu spähen.
glich.
Wer beschreibt ihr Erstaunen, als sie den Gatten vor einem Stuhl
Ein Zittern überfiel Beppo, er riß dem Doktor das Instrument aus
knieen sieht, auf dem die Violine liegt, und als sie bemerkt, daß er das
der Hand, sah es mißtrauisch von allen Seiten an, und dann griff er
Instrument mit leidenschaftlichen Küssen bedeckt.
mit zitternden Fingern nach dem Bogen...
Da fiel Inuanita ein, daß, seit Beppo diese Violine in Händen, er
Aber nach dem ersten Ton schleuderte er die Violine fort.
gegen sie kalt und unfreundlich geworden, und ein ohnmächtiger Zorn,
mit Eifersucht gemischt, erfüllte sie gegen das Instrument.
„Das ist nicht meine.“ rief er, „das ist nicht meine Violine!“
Jetzt weiß ich endlich, wen Du liebst,“ sagte Juanita ihm schlie߬
In diesem Augenblick kam Juanita aus dem Nebenzimmer auf ihn
lich. „Deie Violine ist es! Ihretwegen bist Du schlecht zu mir, ihret¬
zugestürzt und umschlang ihn mit dem Ruf:
wegen stehe ich Qualen aus; es ist Wahnsinn von Dir!“
„Beppo, Beppo! Ich bin es ja, Deine Juanita, die Dich lieb hat,
„Ja.“ antwortete Beppo, „ich liebe meine Violine, ich liebe nur
kennst Du mich denn nicht?“
sie, und Dich hasse ich, denn Du vergällst mir das Leben!“
„Elendes Weib.“ schrie Beppo heiser auf. Und von plötzlicher Tob¬
„ Einer Violine wegen muß ich das hören!“ rief Juanita, „wenn es
sucht befallen, stürzte er sich auf die Unglückliche ... die er erwürgte,
noch ein Weib wäre, so könnte ich mich rächen, ihre Schönheit zerstören!
bevor es noch den Anwesenden gelungen war, den Rasenden zu fesseln.
Aber eine Violine ... oh! Ich werde sie zerbrechen!“
Arthur Schnitzler.
Von Bans Benzmann.
den anmuthigeren Reiz unserer dichterischen Gestaltungen, das rascher
Nirgends habe ich eine bessere Charakteristik der österreichischen.
beflügelte und witzig betonte Wort, die satteren Farben, in die wir mit
Litteratur gelesen, als jüngst in der in Linz erscheinenden deutsch=natio¬
Vorliebe unsere Gedanken und Gefühle kleiden, kurz: unser österreichi¬
nalen Zeitschrift „Der Kyffhäuser“. Ein norddeutscher Litterat hatte
sches Wesen in Licht und Duft und Glanz und Gestalten, die unsere
vor Kurzem die Frage aufgeworfen: „Giebt es eine österreichische Litte¬
klaren Spuren tragen, wollen wir auch in der Kunst wiederfinden. Wir
ratur?“ und hatte selbst mit einem „Nein !“ geantwortet. Max Mo¬
glauben, damit die Kunst selbst zu suchen.“ Morold weist auf Grill¬
rold antwortet ihm gründlich anders im „Kyffhäuser“ (Heft 4, Jahrg.2).
parzers echt österreichische Kunst hin: „Ihm war es nicht anders mög¬
Er giebt zu, daß die österreichischeKunst gern am blinkenden Scheine der
lich, als hold und wienerisch zu reden, ihm mochte das Leben noch so
Welt hafte, sich so gern von ihm berücken lasse. Aus dem, dem Leben und
trübe lächeln, eine „frischere Daseinsempfindung“ pulst in allen seinen
der Gegenwart zugewandten Wesen der österreichischen Kunst sprächen
Werken, und so tritt uns bei ihm freilich keine griechische Hero, sondern
aber andererseits eine kräftige nationale Eigenart und hätte sich eine
ein echtes Wiener Kind entgegen, ein „süßes Mädel“, das unser Herz ge¬
Entwickelung ergeben, die für die gesammte deutsche Litteratur von Be¬
winnt, mit dem wir lachen und weinen, statt es bloß zu bewundern, da
deutung gewesen sei. Die klassische Kunst sei von den bedeutendsten
es in unserer Muttersprache zu uns spricht.“ Das Leben der Heimath
älteren österreichischen Dichtern nicht nachgeahmt, sondern in nationaler
ist in die Sphäre reiner Kunst erhoben. Ebenso setzt Schubert das
Art fortgebildet worden. Morold zitirt ein Wort des Professors Laurenz
Müllner: „Unsere frischere Daseins=, unsere vollere Naturempfindung, Werk der Klassiker fort. Richard Wagner nennt die Raimundschen Zauber¬