VI, Allgemeine Besprechungen 2, Ausschnitte 1933, undatiert, Seite 30

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Sonntagsblatt des Hannoverschen Conrier
M 541.
Schnitzler vermeidet hier alles Theatralische. Wir erfahren z. B. von
Mittelalters, kehrt nach langen Fahrten in seine Vaterstadt zurück. Er
dem Duell nur, daß es stattfinden wird und stattgefunden hat. Auch
beherrscht die geheimen Kräfte der Natur, Hypnose und Suggestion
daß die ehebrecherische Gattin nicht selbst auftritt, daß sie hinter der
weiß er für seine ärztlichen Zwecke zu verwenden. Im Hause eines ihm
Bühne bleibt, ist ein Zug wirksamster Einfachheit. Der Dialog ist
von früher her bekannten Waffenschmieds verweilend, suggerirt er dem
meisterhaft, immer gespannt. Wundervoll ist der alte Musikant,
Weibe desselben, daß sie einen Nachmittag lang wahr sprechen müsse.
Christines Vater, gezeichnet. Tief erschütternd wirken die letzten Szenen
Nach einigen anderen Erperimenten weiß er sie auch zu dem Geständniß
in ihre Wahrheit, — Christines bis zum Wahnsinn gesteigerter
zu bringen, daß sie einst ihn, „den Paracelsus“ geliebt habe. Das
Schmerz.
Stückchen ist nicht uninteressant, es hält Leser und Zuschauer in
Das Drama „Freiwild“ ist ebenfalls (wie Märchen) ein Thesen¬
Spannung; aber trotz der feinen, intimen Stimmung und lebendigen
stück. Es behandelt den Ehrbegriff und die Duellfrage. Ein öster¬
Szenerie wirkt es doch nur wie ein launiges Zauberspiel.
reichischer Offizier wird von einem Zivilisten geohrfeigt, weil er eine
In technischer Beziehung ist das zweite Stück: „Die Gefährtin“
Schauspielerin, die dieser liebt, beleidigt hat. Der Leutnant fordert
zu loben. Der Dialog in seiner Feinheit und Tiefe erinnert an den
den Maler. Dieser verweigert das Duell, er erklärt, daß er einen
Ibsenschen. Allein psychologisch ist das Stück kaum denkbar. Ein
Buben gezüchtigt habe. Der Offizier muß, falls er keine Genugthuung
Professor lebt lange Jahre neben seiner Gattin, obwohl er weiß, daß
erhält, den Dienst quittiren. In seiner Verzweiflung schießt er den
sie ihn mit einem anderen hintergeht, ruhig und friedlich, sich ganz seinen
Gegner auf offener Straße nieder. Prächtige, lebendige Menschen sehen
Arbeiten widmend.
Das ist an sich eine pfnchologische Unwahr¬
wir auch hier vor uns. Trotz des Tendenziösen ist kaum etwas von einer
scheinlichkeit, vergrößert wird dieselbe noch in unserem Falle dadurch.
Konstruktion zu merken. In den ersten Szenen wird das lustige Leben
daß der Professor nicht etwa als eine gänzlich passive oder vertrottelte
das Treiben einer kleinen Theatergesellschaft und der Verkehr derselben
Natur dargestellt ist, sondern als ein thatkräftiger, tüchtiger und energischer
mit Offizieren und Dandies geschildert. Noch hören wir das lustige Ge¬
Mann, allerdings mit resignirender Lebensanschauung. Auch dieses
plauder zwischen den Buschkaden an der Theaterthür, — da plötzlich
Stück ist mehr eine interessante Plauderei als eine psychologische dra¬
gerathen die beiden Männer aneinander, die grelle Lohe des Hasses und
matische Studie.
der Leidenschaft flammt auf, und nun konzentrirt sich die Handlung:
„Der grüne Kakadu“ ist das äußerlich wirksamste Stück von den
aus dem Getändel wächst ein Schicksal empor, das nicht mehr zu bannen
dreien. Es spielt in Paris am Abende des Sturmes auf die Bastille.
ist. Wie ein Dämon verfolgt die angethane Schmach den Offizier.
Heruntergekommene Schauspieler, degenerirte Adlige versammeln sich
Seltsam, daß dieser feste Charakter, Rönning, der Gegner des Offiziers,
täglich in einer Spelunke „Der grüne Kakadu“. Die Schauspieler unter¬
keinen Ausweg fand. Er hatte beschlossen, mit der Geliebten den Ort
halten die Gäste mit der Aufführung von Verbrecherszenen. Aus dem
zu verlassen, da hört er, daß der Gegner ihm au auere. Sein Trotz
Scherz wird Ernst. Der Schauspieler Henry spielt soeben die Komödie
erwacht, er will nicht feige sein — er bleibt und lauft dem Feinde vor
vor, wie er seine Frau ermordet habe, weil sie untreu gewesen sei. Da
die Pistole. Dieser allzu feste und darum brüchige Charakter ist dem
hört er, daß sie in der That untreu gewesen sei, nun ersticht er sie wirklich.
Dichter besser gelungen, wie der inkonsequente Felir Denner. Man hat
Auch hier wird aus Spiel Ernst, mischt sich Leben und Dichtung.
die Auseinandersetzuno über das Duell zwischen Rönning und einem
Ein Meisterstück der Seelenschilderungskunst, ein stilistisches Kunst¬
seiner Freunde ge'delt. Sie gehört aber in dieses zeitgemäße Tendenz¬
werk ersten Ranges ist die Novelle: „Sterben“. Es giebt nur ein Prob¬
stück hinein, auch war sie wichtig für die letzte Entwickelung der Hand¬
lem: das Sterben! Das ist das furchtbare Räthsel, das letzte Unge¬
lung. Erst durch sie erhalten wir ein vollkommen klares Bild von dem
heure, die unbegreifliche Unnatürlichkeit, die Menschen von Menschen,
Charakter und Wesen Rönnings.
Liebe von Liebe trennt. ... Wir empfinden allmählich, wenn wir an
Schnitzlers im Jahre 1898 erschienene Schauspiel: „Das Ver¬
dem Bette eines dem Tode Verfallenden weilen, wie dieser mehr und
mächtniß“ ist eine etwas gröbere Arbeit wie die bisherigen. Trotz der
mehr aus unserer Empfindungswelt weicht. Aus unserer Liebe wird
psychologischen Feinheiten in einzelnen Szenen scheinen mir die Charal¬
Mitleid und Schmerz, und Mitleid und Schmerz erkalten, und stärker und
tere und ihre Handlungen hier nicht so glaubwürdig, so psychologisch fein
stärker erwacht in uns wieder der Drang zu den Lebendigen, in das
und wahr entwickelt zu sein wie in den früheren. Schnitzler hat die
Leben.
Und das liegt auch an dem Sterbenden, an seiner wachsen¬
Farben zu stark aufgetragen um des äußeren Effektes wegen. Das feine
den Feindseligkeit den Gesunden gegenüber, an seinem Egoismus:
Milieu wird zerrissen durch einige karrikaturenhaft grob gezeichnete
er möchte das Liebste mitnehmen.
Diese Psychologie eines Sterben¬
Charaktere (Professor Losatti, Dr. Ferdinand Schmidt). Ueber andere
den und des Lebenden am Krankenbette giebt Schnitzler in seiner Novelle
Charaktere wird man sich nicht klar. Wenn dies auch sogar nicht nur
„Sterben“. Felix sagt der Geliebten, daß er sterben müsse — an der
nebenbei handelnde Personen betrifft, wie die Frau Professor Losatti,
Schwindsucht. Da schwört sie ihm, mit ihm sterben zu wellen; er.
so ist das ein schlimmer Fehler. Man weiß woyl, aus welchen psycho¬
logischen Gründen ein so schwankender, unklarer und unselbständiger
kommen sieht, desto öfter erinnert er sie an ihren Schwur, — desto nach¬
Charakter wie Betty Losatti entstehen konnte. Hier hat aber eine viel¬
denklicher wird Marie, und sie sehnt sich schließlich mit aller Inbrunst
leicht allzu große Feinheit fehl gegriffen, und jedenfalls nichts Lebendiges
wieder ins volle blühende Leben. ... Als er plötzlich stirbt, flieht
geschaffen. Das „Vermächtniß“ des jungen Dr. Losatti, der beim
sie aus dem Sterbezimmer. ... Dies ist der schlichte Inhalt. Aber
Reiten verunglückt ist, ist seine Geliebte Toni und sein kleiner Sohn,
die ganzen Seelenkämpfe zwischen zwei Menschen bis zur Entfremdung,
die er sterbend seinen Eltern ans Herz legt. Die Eltern und Ver¬
bis zum Haß, bis zum Wahnsinn bei beiden fliehen an uns vorüber ....
wandten nehmen sich, wenn auch mit sichtbarem Widerstreben, der von
Und wie fein ist dieser der Christine ähnlich geartete Mädchencharakter
Schmerz gebrochenen Toni und ihres Söhnchens an. Als das Kind,
geschildert.
Wien im Schmucke des Frühlings und Sommers
dessen Tod uns der kluge Dichter vorausahnen läßt, da er jenes schon
bilden den stimmungsvollen Hintergrund.
als krankes und schwächliches Kind einführt, gestorben ist, lösen sich
Auch in seinen übrigen Novellen in dem Buche „Die Frau des
wieder die schnell geknüpften Bande. Der geschwätzig egoistische und
Weisen“ beschäftigt sich der Dichter viel mit dem Problem des Sterbens.
brutale Professor (Vater Losatti) und der grobe, plumpe Schwiegersohn
Die Menschentypen sind hier dieselben wie in den Schnitzlerschen
in spe desselben jagen das arme Mödchen aus dem Hause. — Gerade
Dramen: der leichtlebig=melancholische Liebhaber, das süße Wiener
diese beiden Männer hat der Dichter zu stark gezeichnet, trotzdem verrathen
Mädl und die liebenswürdige und keiner Sünde sich bewußte ehebreche¬
diese beiden Typen das geschulte Beobachtungstalent des Dichters. Das
rische Frau. Die erste Novelle, die dem Buche den Namen giebt, ist
Milieu ist ungemein fein und sicher der Wirklichkeit entnommen. Hier
trotz des Stimmungsgehaltes schwach, weil sie mit einer feuilletonistischen
und dort hätte der Dialog kürzer sein können.
Pomte endet. Die Novelle „Ein Abschied“, „Der Ehrentag“. „Blumen“.
Die drei Einakter „Paracelsus“, „Die Gefährtin“ und „Der grüne
„Die Todten schweigen“ sind Seelengemälde voll erschütternder Tragik
und tiefer Stimmung. „Die Blumen“ erinnern an Theodor Storms
Kakadu“ hängen innerlich, — also etwa durch eine Idee, die sie in
verschiedener Fassung darstellen könnten — kaum zusammen. Ich habe
stille, lyrische Erzählungen, „Die Todten schweigen“ an gewisse, das
dennoch hier und dort in allen drei Stücken ähnliche Sentenzen gefunden,
Grausige und Unheimliche mit Vorliebe schildernde slavische Novellisten.
etwa des Sinnes, daß das Leben so flüchtig ist, daß unsere Sinne uns
Schnitzler wird kaum von seinem ursprünglichen Wege abirren
dürfen. Nur allmählich darf er Fremdes mehr und mehr in seine Kreise
so täuschen, so daß wir nur den Augenblick als unser ansehen können,
hineinziehen. So wächst er und bleibt doch immer der Gleiche: der
so daß Traum und Sinnesspiel, Illusion und Vorstellung ebenso wirklich
feine und ehrliche Künstler, der gewisse Zeitstimmungen und Menschen¬
zu sein scheinen, wie die vom Willen bestimmte Handlung. Paracelsus
spricht dieseIdeen ziemlich deutlich aus. Dieses Stück gewährt uns einen
typen der Großstadt Wien, der Hauptstadt Oesterreichs mit Meisterschaft
flüchtigen Einblick in die Seele eines Menschen, der halb Dichter und
darzustellen vermag, der, hingegeben dem modernen Leben, auch dem
Feinde alles Lebens, dem Tode, tiefe, empfindungsvolle Dichtungen ge¬
Denker, halb Abenteurer ist. Theophrastus Bombastus von Hohenheim,
genannt Paracelsus einer der aufgeklärtesten Menschen des späteren! weiht hat.