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2. Cuttings
Feuilleton.
Alpenkändischer Dichterfrühling.
Von Rudolf Holzer=Wien.
Ein paar rechte Singvögel, verliebt in das Leben und die Tat,
sind bei uns aufgeflogen, haben über Nacht einen Dichterfrühling in
deutsches Land gebracht. Ist's Zufall oder Fügung, gar etwa tieferer
Sinn, daß Österreich jetzt über eine Fülle, eine Höhe literarischen
Lebens gebietet? Hat durch den alten Bau wirklich ein göttlicher
Strahl gezuckt, seine schlummernden Geister geweckt, seine müde
Lebenskraft galvanisiert? Gibt es wieder einen Genius Austriae?
Oft ruht auch in Sterbendem eherne Kraft, wenn es mit Mutter
Erde recht verwachsen ist. Schollenmensch ist aber der rechte Öster¬
reicher. Ist diese Literatur wirklich auch ein Zeichen, daß der deutsche
Österreicher einstweilen noch Willen und Kraft zum Leben besitzt?
Die innerste Natur und das rote Blut dieses neuen Frühlings
sind eigenartig. Wird der „Rezensent“ und mag er ästhetisch noch
so sicher treffen, diesen Büchern ganz gerecht? Vielleicht ist's Über¬
schätzung, vielleicht doch richtig tastendes Gefühl, in all den letzten
Büchern aus Österreich Dokumente einer nationalen Außerung und
Lebensregung zu sehen?
Hofmannsthal„Schnitzler. Bahr, Altenberg, Schaukgl Salten sind
in Dentschland #ngstanerkannt, haben ihre Keeise und Wertung.
9
Sie umschlosfen den Begriff „Jung=Wien“, sind einge¬
zogen und beigesetzt in der Geschichte der modernen Lite¬
Ihr Anreger und Agitator nun, der vielgeliebte,
ratur.
vielgescholtene Hermann Bahr, ist — wenn man ihn nur einmal erst
wirklich nicht verkennen wird — am wenigsten Artist innerhalb der
künstlichen und künstlerischen Astheten und Dichter Wiens.
Schnitzler schrieb die Liebelei; er erfand das „süße Mädel“. Gewiß:
er# wienerisch aber es ist ein engbegrenzter und bestimmter Bezirk
der Wiener Seele, den er umschreibt. Hermann Bahr hat sich seiner
Urnatur, unbeschadet aller literarischen Häutungen und Überwindungen,
reiner erhalten, und diese Natur ist nicht wienerisch, — ist gut linze¬
risch, allewege österreichisch. Alle Dekadenz brachte diese frische
— er heißt
Land= und Erdnatur nicht um. In seinem letzten Buch
es „Buch der Jugend“ — steht in der Vorrede: „Mich aber quält's,
wenn ich im Auslande dem nachsichtigen Lächeln begegue, das jedem
erscheint, der sich als Österreicher bekennt; es wird mir heiß
vor Wut und Scham, und ich möchte weinen, daß wir
ihnen nicht zeigen können, wer wir sind und was wir
haben. Tief in den arbeitenden Menschen versteckt ist Österreich.“ und wird ein ganzer
Ma
folgte vor
in
Man muß daran erinnern, daß Bahr es war, der etwa vor zehn
Ein
oder zwölf Jahren die österreichische Provinz literarisch entdeckte.
Kritt
Mit seiner flammenden, mitfortreißenden Propagandagabe zog er
„J5
plötzlich zehn oder zwölf Literaten aus den entlegensten Provinz¬
Tit
nestern. Einige von ihnen waren sogar Dichter. Alle aus alpen¬
sein
ländischen Gebieten. Die nie unterbrochene Fühlung mit der Natur
gele
gab Bahr, dem Häuptling der nervischen Kultur, die Notwendigkeit
müt
neuer Blutzufuhr ein. Aus den Alpenländern kam damals schon
de
ein frisches, deutsches Dichterleben. Bahr aber, der die Heimat¬
auf
literatur Österreichs nicht schuf, aber in den Kreislauf unseres
Tat
Geisteslebens einbezog, muß Hugo von Hofmannsthal nicht um
Rei
Erlaubnis gefragt haben, als er versuchte, Jung=Wien von der
Ge
Provinz aus zu regenerieren. Es kam auch nicht zu stande. Der
ger
geistige Hochmut der Wiener Dichter mit den Infantenseelen war
in di
viel zu groß!
mt
Bahr, der Provinzler, gab der „Provinzliteratur“ die leider nicht
ausru
durchgedrungene, dichterisch aber wertvolle dramatische Lebens¬
des na
geschichte des Dialektdichters Franz Stelzhamer. Aus Bahrs agita¬
jungen
torischen Auregungen gingen Vorläufer der jetzt ohne „Programm“.
die zu
ohne Schlagwort, ohne Führer blühenden Literatur in Österreich
der Fr
hervor. Diese Nachfolger der Bahrschen Entdeckungen, verstärkt
reithr,
um Schriftsteller, die damals zwar schon Buch um Buch schrieben,
dennoch aber unbekannt blieben, sie bilden heute eine aus dem I mark
Boden und der Seele Österreichs quellende Literatur
Dieses neue literarische Leben fand aber Wiege, Schule und Be¬
tätigung in unseren Bergen. In den Höhen der Alpen gedieb sie;
unbedingt aber — fern von Wien. Dort, wo schon ewiges Eis an
den Himmel grenzt, fanden sich die Tiroler Lyriker zusammen, und
K
ein Stündchen von Wien, an den beiden Abhängen des Paraplui¬
berges bei Petersdorf, schrieb der leider zu jung verstorbene Gustav
leben
Macasy den an Zola gemahnenden, grandiosen realistischen Charakter¬
Dich
roman. „Die Chronik von Dirnau“.
Gewit hätten die schönen zahlreichen Talente Österreichs noch
lange nicht die Aufmerksamkeit und Anerkennung des deutschen
Reiches — die für jeden österreichischen Literaten das wertvolle erk
und erstrebenswerte Kriterium biloet — gefunden, wenn da nicht
ein junger Poet aufgetaucht wäre, der nicht bloß die würdige Kritik,
sondern auch das Publikum, ja die Masse des deutschen „lieben
Lesers“ eroberte, bezwang, bezauberte. Der Sänger war ein kurz¬
gewachsener Oberleutnant des k. u. k. Heeres, Herr Rudolf Haus
lben, er
Schw¬
Bartsch. Ein Roman, nicht zu langatmig und nicht zu schmal, voll
Herzenswärme und zugreifendem Temperamente, war sein Erstling! reichischen Völkergeh
—2
2. Cuttings
Feuilleton.
Alpenkändischer Dichterfrühling.
Von Rudolf Holzer=Wien.
Ein paar rechte Singvögel, verliebt in das Leben und die Tat,
sind bei uns aufgeflogen, haben über Nacht einen Dichterfrühling in
deutsches Land gebracht. Ist's Zufall oder Fügung, gar etwa tieferer
Sinn, daß Österreich jetzt über eine Fülle, eine Höhe literarischen
Lebens gebietet? Hat durch den alten Bau wirklich ein göttlicher
Strahl gezuckt, seine schlummernden Geister geweckt, seine müde
Lebenskraft galvanisiert? Gibt es wieder einen Genius Austriae?
Oft ruht auch in Sterbendem eherne Kraft, wenn es mit Mutter
Erde recht verwachsen ist. Schollenmensch ist aber der rechte Öster¬
reicher. Ist diese Literatur wirklich auch ein Zeichen, daß der deutsche
Österreicher einstweilen noch Willen und Kraft zum Leben besitzt?
Die innerste Natur und das rote Blut dieses neuen Frühlings
sind eigenartig. Wird der „Rezensent“ und mag er ästhetisch noch
so sicher treffen, diesen Büchern ganz gerecht? Vielleicht ist's Über¬
schätzung, vielleicht doch richtig tastendes Gefühl, in all den letzten
Büchern aus Österreich Dokumente einer nationalen Außerung und
Lebensregung zu sehen?
Hofmannsthal„Schnitzler. Bahr, Altenberg, Schaukgl Salten sind
in Dentschland #ngstanerkannt, haben ihre Keeise und Wertung.
9
Sie umschlosfen den Begriff „Jung=Wien“, sind einge¬
zogen und beigesetzt in der Geschichte der modernen Lite¬
Ihr Anreger und Agitator nun, der vielgeliebte,
ratur.
vielgescholtene Hermann Bahr, ist — wenn man ihn nur einmal erst
wirklich nicht verkennen wird — am wenigsten Artist innerhalb der
künstlichen und künstlerischen Astheten und Dichter Wiens.
Schnitzler schrieb die Liebelei; er erfand das „süße Mädel“. Gewiß:
er# wienerisch aber es ist ein engbegrenzter und bestimmter Bezirk
der Wiener Seele, den er umschreibt. Hermann Bahr hat sich seiner
Urnatur, unbeschadet aller literarischen Häutungen und Überwindungen,
reiner erhalten, und diese Natur ist nicht wienerisch, — ist gut linze¬
risch, allewege österreichisch. Alle Dekadenz brachte diese frische
— er heißt
Land= und Erdnatur nicht um. In seinem letzten Buch
es „Buch der Jugend“ — steht in der Vorrede: „Mich aber quält's,
wenn ich im Auslande dem nachsichtigen Lächeln begegue, das jedem
erscheint, der sich als Österreicher bekennt; es wird mir heiß
vor Wut und Scham, und ich möchte weinen, daß wir
ihnen nicht zeigen können, wer wir sind und was wir
haben. Tief in den arbeitenden Menschen versteckt ist Österreich.“ und wird ein ganzer
Ma
folgte vor
in
Man muß daran erinnern, daß Bahr es war, der etwa vor zehn
Ein
oder zwölf Jahren die österreichische Provinz literarisch entdeckte.
Kritt
Mit seiner flammenden, mitfortreißenden Propagandagabe zog er
„J5
plötzlich zehn oder zwölf Literaten aus den entlegensten Provinz¬
Tit
nestern. Einige von ihnen waren sogar Dichter. Alle aus alpen¬
sein
ländischen Gebieten. Die nie unterbrochene Fühlung mit der Natur
gele
gab Bahr, dem Häuptling der nervischen Kultur, die Notwendigkeit
müt
neuer Blutzufuhr ein. Aus den Alpenländern kam damals schon
de
ein frisches, deutsches Dichterleben. Bahr aber, der die Heimat¬
auf
literatur Österreichs nicht schuf, aber in den Kreislauf unseres
Tat
Geisteslebens einbezog, muß Hugo von Hofmannsthal nicht um
Rei
Erlaubnis gefragt haben, als er versuchte, Jung=Wien von der
Ge
Provinz aus zu regenerieren. Es kam auch nicht zu stande. Der
ger
geistige Hochmut der Wiener Dichter mit den Infantenseelen war
in di
viel zu groß!
mt
Bahr, der Provinzler, gab der „Provinzliteratur“ die leider nicht
ausru
durchgedrungene, dichterisch aber wertvolle dramatische Lebens¬
des na
geschichte des Dialektdichters Franz Stelzhamer. Aus Bahrs agita¬
jungen
torischen Auregungen gingen Vorläufer der jetzt ohne „Programm“.
die zu
ohne Schlagwort, ohne Führer blühenden Literatur in Österreich
der Fr
hervor. Diese Nachfolger der Bahrschen Entdeckungen, verstärkt
reithr,
um Schriftsteller, die damals zwar schon Buch um Buch schrieben,
dennoch aber unbekannt blieben, sie bilden heute eine aus dem I mark
Boden und der Seele Österreichs quellende Literatur
Dieses neue literarische Leben fand aber Wiege, Schule und Be¬
tätigung in unseren Bergen. In den Höhen der Alpen gedieb sie;
unbedingt aber — fern von Wien. Dort, wo schon ewiges Eis an
den Himmel grenzt, fanden sich die Tiroler Lyriker zusammen, und
K
ein Stündchen von Wien, an den beiden Abhängen des Paraplui¬
berges bei Petersdorf, schrieb der leider zu jung verstorbene Gustav
leben
Macasy den an Zola gemahnenden, grandiosen realistischen Charakter¬
Dich
roman. „Die Chronik von Dirnau“.
Gewit hätten die schönen zahlreichen Talente Österreichs noch
lange nicht die Aufmerksamkeit und Anerkennung des deutschen
Reiches — die für jeden österreichischen Literaten das wertvolle erk
und erstrebenswerte Kriterium biloet — gefunden, wenn da nicht
ein junger Poet aufgetaucht wäre, der nicht bloß die würdige Kritik,
sondern auch das Publikum, ja die Masse des deutschen „lieben
Lesers“ eroberte, bezwang, bezauberte. Der Sänger war ein kurz¬
gewachsener Oberleutnant des k. u. k. Heeres, Herr Rudolf Haus
lben, er
Schw¬
Bartsch. Ein Roman, nicht zu langatmig und nicht zu schmal, voll
Herzenswärme und zugreifendem Temperamente, war sein Erstling! reichischen Völkergeh
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