VI, Allgemeine Besprechungen 2, Ausschnitte 1933, undatiert, Seite 41

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2. Cuttings
und wird ein ganzer Erfolg. Den „Zwölf aus der Steiermark“
haben. Tief in den arbeitenden Menschen versteckt ist Osterreich.“
folgte vor einigen Monaten der Roman „Die Haindlkinder“.
Man muß daran erinnern, daß Bahr es war, der etwa vor zehn
Ein übereinstimmender Jubelruf, so viele der Chorus der deutschen
oder zwölf Jahren die österreichische Provinz literarisch entdeckte.
Mit seiner flammenden, mitfortreißenden Propagandagabe zog er
Kritik auch umfassen mag, scholl diesen Büchern entgegen. Der
terfrühling.
plötzlich zehn oder zwölf Literaten aus den entlegensten Provinz¬
„Jörn Uhl“ wurde nicht in so hohen Tönen a#sgerufen! Beim
nestern. Einige von ihnen waren sogar Dichter. Alle aus alpen¬
Titel „Zwölf aus der Steiermark“ begann das Enczücken; man lobte
er=Wien.
ländischen Gebieten. Die nie unterbrochene Fühlung mit der Natur
seine liedhafte, treuherzige, frische Stimmung. Waren einige Seiten
in das Leben und die Tat,
gab Bahr, dem Häuptling der nervischen Kultur, die Notwendigkeit
gelesen, fühlten sich Kritiker und Publikum herzenswarm und ge¬
Nacht einen Dichterfrühling in
neuer Blutzufuhr ein. Aus den Alpenländern kam damals schon
mütlich angestrahlt, heimatlich und erdtren eingesponnen. Nach¬
der Fügung, gar etwa tieferer
denklich und doch lebensfrisch nimmt hier einer alle Lebenschwere
ein frisches deutsches Dichterleben. Bahr aber, der die Heimat¬
fülle, eine Höhe literarischen
literatur Österreichs nicht schuf, aber in den Kreislauf unseres
auf leichte Achseln und lehrt als jeglicher Weisheit besten Sinn: die
Bau wirklich ein göttlicher
Tat. Alle die vielen, die dies Buch schon rühmten, schrieben vom inneren
Geisteslebens einbezog, muß Hugo von Hofmannsthal nicht um
Weister geweckt, seine müde
Reichtum seiner menschlichen Charaktere, der Fülle seiner dichterischen
Erlaubnis gefragt haben, als er versuchte, Jung=Wien von der
der einen Genius Austriae?
Gefühle, fühlten sich am Ende von seiner Musik betört. Oder sie
Provinz aus zu regenerieren. Es kam auch nicht zu stande. Der
Kraft wenn es mit Mutter
gerieten in die Gefahr, sich in ein Phantom ernstlich zu verlieben:
geistige Hochmut der Wiener Dichter mit den Infantenseelen war
isch ist aber der rechte Öster¬
in die unsäglich süße, unsäglich weibliche Frau v. Karminell. Ach
viel zu groß!
hein Zeichen, daß der deutsche
— man wird sie einst zur Muse der ganzen literarischen Strömung
Bahr, der Provinzler, gab der „Provinzliteratur“ die leider nicht
d Kraft zum Leben besitzt?
ausrufen! In ihr ruhen alle Sehnsucht, alle Ideale, alle Wonnen
durchgedrungene, dichterisch aber wertvolle dramatische Lebens¬
Blut dieses neuen Frühlings
des nacht der Sonne, nach der Freude, nach der Höhe strebenden
geschichte des Dialektdichters Franz Stelzhamer. Aus Bahrs agita¬
und mag er ästhetisch noch
jungen=Osterreichers; sie ist durchaus ein Symbol. Um die Welt,
torischen Auregungen gingen Vorläufer der jetzt ohne „Programm“
erecht? Vielleicht ist's Über¬
die zwischen der Schnitzlerschen Christine aus der „Liebelei“ und
ohne Schlagwort, ohne Führer blühenden Literatur in Österreich
es Gefühl, in all den letzten
der Frau v. Karminell liegt, sind wir älter ernsthafter, tiefer,
hervor. Diese Nachfolger der Bahrschen Entdeckungen, verstärkt
ßer nationalen Außerung und
reiner, strebender geworden. Sind die „Zwölf aus der Steier¬
um Schriftsteller, die damals zwar schon Buch um Buch schrieben,
märk“ gleich nach dem Grillparzerschen „Armen Spielmann“
dennoch aber unbekannt blieben, sie bilden heute eine aus dem
das Buch mit der echtesten Seele des armen, von nationalem Un¬
Boden und der Seele Österreichs quellende Literatur
nberg, Schaukgl Salten sind
frieden heimgesuchten Österreichs, so versucht Bartsch' zweiter Roman
ihre=Kreise und Wertung.
Dieses neue literarische Leben fand aber Wiege, Schule und Be¬
„Die Haindlkinder“ die Seele einer Wiener Familie zu symbolisieren.
Jung=Wien“, sind einge¬
tätigung in unseren Bergen. In den Höhen der Alpen gedieh sie;
Denn dies ist ja das Geheimnis seiner Kunst, daß er nicht Be¬
schichte der modernen Lite¬
unbedingt aber — fern von Wien. Dort, wo schon ewiges Eis an
gebnisse oder Geschehnisse erzählt, sondern seelische Komplexe und
tor nun, der vielgeliebte,
den Himmel grenzt, fanden sich die Tiroler Lyriker zusammen, und
Anlagen gestaltet. Er schafft Ausdruckstypen für Treue, Liebe,
venn man ihn nur einmal erst
ein Stündchen von Wien, an den beiden Abhängen des Paraplui¬
Lebenslust, Weisheit, „schildert“ aber nicht Menschen, die treu,
wenigsten Artist innerhalb der
berges bei Petersdorf, schrieb der leider zu jung verstorbene Gustav
lebenslustig, liebreich, weise „sind“. Daher strömte die Intensität
eten und Dichter Wiens.
Macasy den an Zola gemahnenden, grandiosen realistischen Charakter¬
seiner inneren Welt. Und dies führt zum Wesen der alpenländischen
d das „süße Mädel“. Gewiß:
roman, „Die Chronik von Dirnau“.
Dichter.
grenzter und bestimmter Bezirk
Gewiß hätten die schönen zahlreichen Talente Österreichs noch
Hermann Bahr hat sich seiner
Der Deutsche in Österreich will und braucht eine positive, eine
lange nicht die Aufmerksamkeit und Anerkennung des deutschen
Häutungen und Überwindungen,
ieses Tönen vater¬
erhebende Literatur. Das Heimatsgefühl,
Reiches — die für jeden österreichischen Literaten das wertvolle
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cht wienerisch, — ist gut linze¬
landsvoller Seelen, es ist der Drang des jungen Österreichs zu
gefunden, wenn da nicht!
und erstrebenswerte Kriterium bildet —
Dekadenz brachte diese frische
neuem Leben, zu neuem Ruhm. Die „Zwölf aus der Steiermark“ sind
ein junger Poet aufgetaucht wäre, der nicht bloß die würdige Kritik,
kinem letzten Buch — er heißt
ein poetisch=politisches Bekenntnis. Die seelischen Ereignisse zwischen
sondern auch das Publikum ja die Masse des deutschen „lieben
Vorrede: Mich aber quält's,
den zwölf Jünglingen: einem Alldeutschen, Südslaven, indifferenten
Lesers“ eroberte, bezwang, bezauberte. Der Sänger war ein kurz¬
sen Lächeln begegne, das jedem
Zuuftmenschen, Juden, einem nach Erziehung und Beruf unbedingten
gewachsener Oberleutnant des k. u. k. Heeres, Herr Rudolf Haus
bekennt; es wird mir heiß
Schwarzgelben, entrollen die Zerrissenheit, Gegensätzlichkeit des öster¬
Bartsch. Ein Roman, nicht zu langatmig und nicht zu schmal, voll
möchte weinen, daß wir
wir sind und was wir! Herzenswärme und zugreifendem Temperamente, war sein Erstling! reichischen Völkergebildes.