2. Cuttings
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HSSE
THEATER- UND
U
Nr. 16. MUSIKBLAT TER Jan- mn.
Kritisches Wochenblatt für Bühne, Musik und Literatur.
72.—
—.—
C #de
KARL HANS STROBL. (Brünn.)
½#/77
ARTHUR SCHNTTZLER.
Anatol: — „Ich bin ja auch ein Typus!“
Gabriele. „Und was für einer denn?“
Anatol: „ Leichtsinniger Melancholiker.“
Groß ist Schnitzlers typenbildende Kraft. Er hat
uns den leichtsinnigen Melancholiker gegeben. Aber
der Typ war vor Schnitzler da. Er fand ihn in seiner
Zeit und stellte ihn mit bildnerischer Kraft auf die
Bühne und zeichnete ihn in seine Bücher. Aber einen
andern Typus hat Schnitzler nicht entdeckt, sondern
erfunden. Das „süße Mädel“. Er erfand ihn als Ge¬
genstück zum leichtsinnigen Melancholiker. Als das
unbewußte, triebhafte Ersatzwesen für den bewußten,
mit Skepsis gesegneten Mann. Nachdem das süße
Mädel durch Schnitzler einmal vorbildlich geschaffen
war, tauchte es überall in der Wirklichkeit auf. Die
jungen Leute suchten und fanden es nun überall, und
wo der Fund dem Typus nicht genau entsprach, er¬
zogen sie ihn nach Schnitzlers Angaben. Das süße
Mädel ist auf dem Wiener Boden daheim. Hier gibt
es alle Ingredenzien, alle chemischen Bedingungen für
das köstliche Gewächs. Die heitere Verträumtheit des
jungen Mädchens, die Sehnsucht nach dem Leben, die
leichtsinnige Grazie im Genuß und Augenblick und die
melancholische Gewißheit eines Endes. Auch diese
Mädehen blühen aus dem Boden einer alten Kultur,
süße und köstliche Blüten aus einem Boden, in dem
sich der gelockerte Humus schon ein wenig mit Mo¬
derstoffen vermischt hat. Sie sind keine angestochenen
Früchte, sie sind durchaus gesund — sie fallen nur
ein wenig früh vom Baum. Der leichtsinnige Melan¬
choliker liebt zum Teil mit dem Kopf und zum andern
Teil mit dem Unterleib. Das süße Mädel aber liebt
ganz mit dem Herzen. Es denkt nicht nach und be¬
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THEATER- UND
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Nr. 16. MUSIKBLAT TER Jan- mn.
Kritisches Wochenblatt für Bühne, Musik und Literatur.
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C #de
KARL HANS STROBL. (Brünn.)
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ARTHUR SCHNTTZLER.
Anatol: — „Ich bin ja auch ein Typus!“
Gabriele. „Und was für einer denn?“
Anatol: „ Leichtsinniger Melancholiker.“
Groß ist Schnitzlers typenbildende Kraft. Er hat
uns den leichtsinnigen Melancholiker gegeben. Aber
der Typ war vor Schnitzler da. Er fand ihn in seiner
Zeit und stellte ihn mit bildnerischer Kraft auf die
Bühne und zeichnete ihn in seine Bücher. Aber einen
andern Typus hat Schnitzler nicht entdeckt, sondern
erfunden. Das „süße Mädel“. Er erfand ihn als Ge¬
genstück zum leichtsinnigen Melancholiker. Als das
unbewußte, triebhafte Ersatzwesen für den bewußten,
mit Skepsis gesegneten Mann. Nachdem das süße
Mädel durch Schnitzler einmal vorbildlich geschaffen
war, tauchte es überall in der Wirklichkeit auf. Die
jungen Leute suchten und fanden es nun überall, und
wo der Fund dem Typus nicht genau entsprach, er¬
zogen sie ihn nach Schnitzlers Angaben. Das süße
Mädel ist auf dem Wiener Boden daheim. Hier gibt
es alle Ingredenzien, alle chemischen Bedingungen für
das köstliche Gewächs. Die heitere Verträumtheit des
jungen Mädchens, die Sehnsucht nach dem Leben, die
leichtsinnige Grazie im Genuß und Augenblick und die
melancholische Gewißheit eines Endes. Auch diese
Mädehen blühen aus dem Boden einer alten Kultur,
süße und köstliche Blüten aus einem Boden, in dem
sich der gelockerte Humus schon ein wenig mit Mo¬
derstoffen vermischt hat. Sie sind keine angestochenen
Früchte, sie sind durchaus gesund — sie fallen nur
ein wenig früh vom Baum. Der leichtsinnige Melan¬
choliker liebt zum Teil mit dem Kopf und zum andern
Teil mit dem Unterleib. Das süße Mädel aber liebt
ganz mit dem Herzen. Es denkt nicht nach und be¬
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