VI, Allgemeine Besprechungen 2, Ausschnitte 1933, undatiert, Seite 43

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2. Cuttings
Wilhelm Fischer, der der Altmeister der österreichischen Bergroman=g bis in die letzte Fiber — „Das Glückskind“, „Leben und Sterben“,
diese aus der Wiener Stadt; das sind vier Erzählungen
beide in Graz, noch Schön=
tiker ist. Er war es, der schon vor zwanzig Jahren das Leben
von einer Schärfe des Gesichtes, Umfassung ethischen In¬
en dieses ihnen gemeinsame,
als Fest der Kraft, Tat und des Schaffens besang; er war
haltes, Treffsicherheit der sozialen Satire, einem Griff der
ihres Schaffens so nach¬
es, der an die Schweizer Meister der gehämmerten, geschmiedeten ge¬
Gestaltung, die bewundernswürdig sind. Das blaue Licht
wie Bartsch. Noch stecken
härteten, getriebenen Wortkunst anknupfte. Keller und K. F. Meyer
der Romantik leuchtete hier nicht. Der Berge Ernst, der
rgends so Angst, ein „vater¬
sind die Ahnen unserer Bergsänger überhaupt. Der Satz Carlyles:
Millionenstadt Schmerz heult — man kann hek dieser Vehemenz nicht
in Österreich.
„Wer nicht auf das Unsichtbare seine sichtbare poetische Welt auf¬
anders sagen — aus diesem Verismus. Der Arzt Schnitzler schrieb
ischen Kleinstaat einer öster¬
baut, der hat keine Wirklichkeit zu erwarten, auch wenn er der erste
„Sterben“, der Arzt Schönherr „Caritas' zwei Bücher, aus gleichem
Roman der nicht mit der
Realist der Gegenwart heißt.“ — Der Satz erschließt restlos die
Punkt entspringend: unendlichem Schukerz mit der Kreatur, unend¬
ist! Nicht das Zinshaus,
dichterische Natur Fischers und all der jungeren alpenländischen
lichem Hohn wider die unsinnigen Verkettungen, die Schicksal ge¬
Ort der Handlung. .. Vater
Dichter. Realisten wie etwa die Steinmetze, die Eisenschmiede der
heißen werden.
ls er genug verdiente, mit
Gotik. Ihre Motive, ihre Stoffe wurzeln in der Erde, aber die
In Graz sitzt der Wiener Emil Ertl, der die zwei Romane
die Abhänge des Wiener
Seele, die eingehaucht wird, strebt ins unsichtbare, blaue Land der
„Das blaue Guguckshaus" und „Freiheit, die ich meine“
n wird ein „Heist=Haindl“
Phantasie, in Zeiten und Welten die gären und brodeln, wallen
schrieb. Diese eine Fortsetzung des ersten. Beide sind beste
äppter Dichter, der zweite
und dampfen. Und Meister Fischer steckt am tiefsten in der
Erzählungsliteratur. Eril hat wahrhaftig die heute sellene Gabe
flitisch Empfindender, ein Ab¬
Romantik. Sein Lebenswerk, der Roman „Die Freude am Licht“
des sich Zeitlassens. Rosegger rühmte ihm das sehr an. Man darf sich
iden Idealparlamentes; dem
ist in seinen besten Teilen eine Andacht germanischen Sonnenkultes.
mit beruhigtem, künstlerischem Gewissen der schönen Erzählung erfreuen,
I zu entwickeln: er läßt sich
Die Unruhe vor dem Rätsel der Welt ist seine dichterische Emotion.
wie es Anno 1802 den biederen Handwebern und Färber vom Neu¬
Wohlschmeckende, woher und
bau, als der Napoleon und seine Musjöhs in Wien einrückten,
Er schreibt einen gotischen Stil; er hat eine Spitzbogensyntax
frühzeitig Geld und die Gicht
erging. Ertl raffte an Kraft und Temperament zusammen, was ihm
und nach einer geheimen Bauhütten=Lehr' zurechtgeformte Worte.
Kindl aber ist doch eigentlich
gegeben ist, zum Entrollen der Schicksale der Nachkommen jener
Manchem mag er drum „maniriert“ erscheinen. Ist aber nur „die
lle drei Buben in sich. Und
Handweber, der Fabrikanten vom Brillantengrund und Schottenfeld
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eigene Seelen=Weis'“, die ja auch bei Bartsch sehr kräftig aus der
Palische Welt des guten Kaisers
im Sturmjahre 1848. Hier wie dort bietet er kein trockenes Kultur¬
Tiefe klingt. Er liebt es seinem Stil Kolorit zu geben, und seine
den die gewiß an Originalen
bild. So wienerisch diese beiden Romane sein mögen sie fesseln
besten Arbeiten sind nachgedunkelt wie alte Familienbilder unbe¬
saß. Haindl sen. ist Patriot
auch den Fernstehenden durch ein wahrhaftiges Innenleben. Wenn
kannter Meister. Fischers Poesie ist jene des Geheimnisvollen.
berüchtigte Genußsucht des
Ertl das künstlerisch weniger scharfe Profil aufweist, wird dies seine
Keiner hat die Kunst so weg, die alten Zeiten, den alten Geist!
ische Verklärung, keine so fast
Wirkung auf das Publikum nicht mindern, vielleicht sogar erhöhen.
raunen und tönen zu lassen. Unser alter Märchenerzähler ist Fischer.
ßt den königlichen Fasau ver¬
Er ist der Schriftsteller mit gewandter Technik und fließendem Stil.
Die Geschichten im Buche „Lebensmorgen“ sind märchengoldene
kuntergleiten in euch! Weihe!
.. Diese und ein paar Tiroler Lyriker, von denen vielleicht ein
Wunderträume eines späteren Bruders Friedrich v. Hardenbergs.
sen Waldherbst, die Poesie der
andermal gesprochen wird, sind unsere Dichter des Lebens. Formalen,
Wie Wilhelm Fischer ja überhaupt der großte Formalist des öster¬
traum eines Sommers mit
artistisch=literarischen Realismus vermeiden sie ebenso, wie seelische
die Sprache Bartsch' auf der
reichischen Romans jetzt ist.
Subtilitäten oder Übertriebenheiten. Ihnen ist das Leben keine
Er hat einige wesenlose („Der Mediceer"), einige hübsche
Form des Todes, oder bloß Gegenstand der Erkenntnis über die
„Sonnenopfer“) und zwei pracht¬
risch gewertet, keineswegs auf
(„Unter dem Himmel“
Relativität der Lebenswerte. Sie wollen einfach sein, zum Gegen¬
er soll nicht klassifiziert, sondern
volle Bücher geschrieben. Im Roman „Die Freude am Licht“
satze des Hofmannsthalschen Bekenntnisses: „Und einfach hab' ich
ntwicklung betrachtet werden.
und in der Erzählung „Hans Heinzlin“ ruhte Fischers Wissenschaft:
In verlernt zu fühlen.“ Oder im Gegensatz zu Schnitzler im
eines Wesenzuges der ganzen
geradliniger und doch reich verzierter Vortrag, eine Deutschheit
Weg ins Freie": „Wir spielen alle; wer es weiß, ist klug.“
in eine romantische Lokalfarbe
wie jene der kunstvollen, weitläufigen stählernen Schlösser in alten
Dies ist der Unterschied: die von den Bergen kamen, „spielen“ nicht
Burgen, so grünend, blühend, mannhaft wie die Linden in den
erscheinen zu lassen, das die
Literatur, sind auch nicht „klug". Sie haben nicht wie die
icht umgibt.
Höhen einer zeitzermürbten Feste.
färtistischen Stilisten den Weg ins Freie verloren. Die Literatur
Siegeskränze zu, um die ein
Es sei gestattet, ein Buch des jetzt vielgenannten Karl
des Österreichers hat sich mit der Sehnsucht nach einem wunder¬
rosigen Poctenweg schreiten,
Schönherr aus der Vergessenheit zu ziehen das vielleicht wertvoller
baren Licht, zur Sonne aufgemacht und träumt, singt, tirilliert.
schungen, an Zurücksetzung hin¬
ist als seine Dramen. „Caritas“ enthält sieben Geschichten „Gottes
in
sies Los Wilhelm Fischer -
kamen hinzusetzte — beschieden; Schwiegermutter“, „Fuhrmanns=Engeln“, — in Tirol spielend, echt
GRR