2. Cuttings
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Auch Schnitzler hat sich, dem Beispiel seiner ärztlichen
Kollegen folgend, in der Literatur spezialisiert, wie jene
in der Medizin. Er hat eigentlich nur ein kleines Ge¬
biet. Aber auf diesem ist er schlechthin Meister.
Der Meister. Einige Jüngere streben ihm nach. Raoul
Auernheimer voran. Um aber Schnitzler mit einigem
Erfolg nachzustreben, muß man Wiener sein. Leicht¬
sinniger Melancholiker und Skeptiker vor allem, aber
unbedingt Wiener. Schnitzlers graziöse Linienführung
wird verständlich, wenn man sieht, wie diese Wiener
Mädel sich zu tragen wissen, mit welchem angebore¬
nen Geschmack und welcher wundervoller Anmut sie
bei Regenwetter mit zusammengerafften Röcken über
die Straße gehen. Und w un man die Linien kennt,
mit denen die rührenden, ziten Häuser, die man noch
manchmal mitten in der Stadt findet, ihre Giebel dem
leichten, blaßblauen Herbsthimmel entgegenstrecken.
Und Weltmann muß man sein. Schnitzler ist
Weltmann. Er hält auf die Form. Seine Dichtungen
haben niemals etwas von der Stimmung des Heurigen¬
schankes in sich, die manchmal auch „bessere Leute“
übertällt. In diesem Wien, wo man zu allen Jahres¬
zeiten irgend eine Art von Heurigem verschenkt. Statt
des Humors hat er den Witz, statt der Gemütlichkeit
nur manchmal eine Art leichter Gerührtheit in melancho¬
lischen Dämmerungen.
Aber er hat vor den Wienern eines voraus. Er
kann arbeiten, arbeiten, arbeiten. Was der Wiener in
der Regel nicht kann. Er ist von peinlichster Gewissen¬
haftigkeit gegen sich selbst. Ich weiß, daß er während
der Beschäftigung mit einer Prosaarbeit vermeidet,
fremde Prosa zu lesen, und daß er keine fremden Dra¬
men liest, wenn er selbst eine dramatische Arbeit vor hat.
So konnte er es wagen, ein Buch wie „Reigen“
zu schreiben und zu veröffentlichen. Ein Buch, das
immer an der Grenze des Möglichen voltigiert, eine
fabelhaft kühne Seiltänzerin, ein Looping the Loop
rund um das, was man in der Gesellschaft nur durch
Gedankenstriche andeutet. Er ist vielleicht der einzige,
der das in deutscher Sprache konnte und durfte.
„Liter. Echo“
ARTUR SCHRITZLEN.
NNFANG VOM ENDE.
Daß all das Schöne nun längst zu Ende,
Wie könntest du's versteh'n:
Ich hab’ ja die lieben, süßen Hände
Geküßt beim Kommen und Geh'n.
Und hab’ in deinem dämmrigen Zimmer
Mit dir gekost und gelucht —
Und hab auch geplaudert mit dir wie immer
Bis spüt, bis spät in die Nacht.
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Auch Schnitzler hat sich, dem Beispiel seiner ärztlichen
Kollegen folgend, in der Literatur spezialisiert, wie jene
in der Medizin. Er hat eigentlich nur ein kleines Ge¬
biet. Aber auf diesem ist er schlechthin Meister.
Der Meister. Einige Jüngere streben ihm nach. Raoul
Auernheimer voran. Um aber Schnitzler mit einigem
Erfolg nachzustreben, muß man Wiener sein. Leicht¬
sinniger Melancholiker und Skeptiker vor allem, aber
unbedingt Wiener. Schnitzlers graziöse Linienführung
wird verständlich, wenn man sieht, wie diese Wiener
Mädel sich zu tragen wissen, mit welchem angebore¬
nen Geschmack und welcher wundervoller Anmut sie
bei Regenwetter mit zusammengerafften Röcken über
die Straße gehen. Und w un man die Linien kennt,
mit denen die rührenden, ziten Häuser, die man noch
manchmal mitten in der Stadt findet, ihre Giebel dem
leichten, blaßblauen Herbsthimmel entgegenstrecken.
Und Weltmann muß man sein. Schnitzler ist
Weltmann. Er hält auf die Form. Seine Dichtungen
haben niemals etwas von der Stimmung des Heurigen¬
schankes in sich, die manchmal auch „bessere Leute“
übertällt. In diesem Wien, wo man zu allen Jahres¬
zeiten irgend eine Art von Heurigem verschenkt. Statt
des Humors hat er den Witz, statt der Gemütlichkeit
nur manchmal eine Art leichter Gerührtheit in melancho¬
lischen Dämmerungen.
Aber er hat vor den Wienern eines voraus. Er
kann arbeiten, arbeiten, arbeiten. Was der Wiener in
der Regel nicht kann. Er ist von peinlichster Gewissen¬
haftigkeit gegen sich selbst. Ich weiß, daß er während
der Beschäftigung mit einer Prosaarbeit vermeidet,
fremde Prosa zu lesen, und daß er keine fremden Dra¬
men liest, wenn er selbst eine dramatische Arbeit vor hat.
So konnte er es wagen, ein Buch wie „Reigen“
zu schreiben und zu veröffentlichen. Ein Buch, das
immer an der Grenze des Möglichen voltigiert, eine
fabelhaft kühne Seiltänzerin, ein Looping the Loop
rund um das, was man in der Gesellschaft nur durch
Gedankenstriche andeutet. Er ist vielleicht der einzige,
der das in deutscher Sprache konnte und durfte.
„Liter. Echo“
ARTUR SCHRITZLEN.
NNFANG VOM ENDE.
Daß all das Schöne nun längst zu Ende,
Wie könntest du's versteh'n:
Ich hab’ ja die lieben, süßen Hände
Geküßt beim Kommen und Geh'n.
Und hab’ in deinem dämmrigen Zimmer
Mit dir gekost und gelucht —
Und hab auch geplaudert mit dir wie immer
Bis spüt, bis spät in die Nacht.
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