2. Cuttings
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VOrf
Theater, Kunst, Musik.
Dr. Paul Schlenther †.
In Berlin liegt ein Mann auf der Bahre, der fü
die Theaterstadt Wien einmal eine große Hoffnung be
deutet hat. Daß er sie nicht erfüllte, soll ihm heute un
so weniger vorgerechnet werden, als er vielleicht mi
guten, in die Weite und Tiefe strebenden Plänen nad
Wien gekommen ist. Was die Verhältnisse, denen er sid
allzu willfährig fügte, hier aus ihm machten, haben wir
alle mit Gefühlen angesehen, an die sich zu erinnern das
Andenken dieses Toten verunglimpfen hieße. Er war
eines der sinnfälligsten Beispiele dafür, daß, wer das
Wiener Hofburgtheater würdig verwalten will, eine
starke, eigenwillige, von einer klaren Absicht unerbitt¬
lich gelenkte Persönlichkeit sein muß. Vielleicht in keiner
zweiten Stadt fordert die jüdische Presse so schamlos
vom Theaterleiter, daß er ihre Lieblinge bevorzuge, ja,
sie allein berücksichtige, in keiner zweiten Stadt muß sich
das Theater so blind und bedingungslos diesem Diktate
fügen. Demgemäß ist der allgemeine Niedergang des
deutschen Theaters auch in keiner zweiten Stadt so rapid
vonstatten gegangen, als in unserem lieben Wien, der
einstmals führenden deutschen Theaterstadt. Darum
wollen wir mit Schlenther nicht allzu strenge ins Gericht
gehen. Vielleicht hat er — und es sprachen mancherlei
Anzeichen seiner ersten Direktionszeit für diese An¬
nahme — die ganze Hohlheit und Minderwertigkeit der
„Richtung“ richtig erkannt, in die er von der jüdischen
Wiener Presse gezwängt wurde, ohne die Kraft zu haben,
auf eigenen, reineren Wegen zu gehen. Vielleicht, fast
können wir es von ihm, einem erfahrenen, scharfblicken¬
den Theaterfachmanne annehmen, vielleicht hat er ge¬
nan vorausgesehen, wohin ein Theater treiben müsse,
das seine Hauptaufgabe in der Pflege von Plattheiten
und einfältigen Salonschwätzereien von der Art Schnitz¬
lerscher, Hoffmannsthalscher und Auernheimscher Dich¬
tungen findet. Vielleicht hat er das Ende mit Schrecken
vorausgeahnt, das sich, nur ein notwendiger Schlu߬
punkt zu einer langen Sündenreihe, gelegentlich der Auf¬
führung von „Hargudl am Bach“ einstellte. Doch konnte
er, in völlige Abhängigkeit von der Presse geraten, den
Ansturm ihrer Schütz. nge nicht abwehren und fügte sich
in sein Schicksal. Die revolutionären Theaterpläne seiner
Jugend wurden ihm allgemach mit dem Wohlwollen der
Händlerpresse abgekauft.
Dieselbe Presse hat ihn freilich dann ruhig fallen
lassen. Heute erinnert sie sich mit herablassender Dank¬
barkeit nochmals des Mannes, den sie aus einem stre¬
benden Künstler zu ihrer hilflosen Kreatur herab¬
würdigte, und schreibt: „Die Persönlichkeit Schlenthers
bleibt auf immer mit der Geschichte unserer Hofbühne
verknüpft.“ Wir aber müssen zu unserm Bedauern
richtigstellen: „... mit der Geschichte des Niederganges
unserer Hofbühne verknüpft.“ Einen Direktor, dessen
Name für immer mit ihrem neuerlichen Aufstiege ver¬
knüpft wäre, haben wir bis heute nicht. Baron Berger,
8
zu spät herberufen, wurde abberufen, ehe er sich recht
M
entfalten konnte. Und jetzt geht halt der gemächliche
Trab mühselig weiter und wir wahren die alte „Tra¬
K
e
dition", indem wir ihr ein paarmal im Jahr mit
9
einem neuen Schnitzler oder Auernheim oder Hans
Müller ins Gesicht schlagen. Flach wie ein Brett ist der
h
einst ragende Burgtheatergipfel geworden.
Folgerichtig stellen sich diese bitteren Gedanken
ein, wenn wir des Mannes gedenken, der, hingestreckt
von schmerzlichem Sterben, in Berlin auf der Bahre
liegt. Vielleicht war er besser als sein Werk. Vielleicht?
haben ihm in seine Jugendträume ganz andere Ziele
hineingeleuchtet als die, zu denen ihn schließlich diet
trübe Welle hinspülte. Als er in Berlin die „Freie d
Bühne“ gründete, horchte die deutsche Theaterwelt auf: §
1
Ein Revolutionär des Theaters! Er hat es dann viel,
viel billiger, allzu billig geben müssen! Stellen wir r
dieses sein offenkundig nach anderen Zielen gerichtetes
Streben heute ehrend an die Stelle seines mißlungenen
Lebenswerkes! Gedenken wir dankbar dessen, daß er
unserem Hofburgtheater ein paar gute Barsteller er¬
warb, deren wir uns heute noch erfveuen dürfen. Einen
1
anderen Dank vermögen wir diesem Toten nicht ins
Grab mitzugeben.
B
Neue M
trachen
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Theater, Kunst, Musik.
Dr. Paul Schlenther †.
In Berlin liegt ein Mann auf der Bahre, der fü
die Theaterstadt Wien einmal eine große Hoffnung be
deutet hat. Daß er sie nicht erfüllte, soll ihm heute un
so weniger vorgerechnet werden, als er vielleicht mi
guten, in die Weite und Tiefe strebenden Plänen nad
Wien gekommen ist. Was die Verhältnisse, denen er sid
allzu willfährig fügte, hier aus ihm machten, haben wir
alle mit Gefühlen angesehen, an die sich zu erinnern das
Andenken dieses Toten verunglimpfen hieße. Er war
eines der sinnfälligsten Beispiele dafür, daß, wer das
Wiener Hofburgtheater würdig verwalten will, eine
starke, eigenwillige, von einer klaren Absicht unerbitt¬
lich gelenkte Persönlichkeit sein muß. Vielleicht in keiner
zweiten Stadt fordert die jüdische Presse so schamlos
vom Theaterleiter, daß er ihre Lieblinge bevorzuge, ja,
sie allein berücksichtige, in keiner zweiten Stadt muß sich
das Theater so blind und bedingungslos diesem Diktate
fügen. Demgemäß ist der allgemeine Niedergang des
deutschen Theaters auch in keiner zweiten Stadt so rapid
vonstatten gegangen, als in unserem lieben Wien, der
einstmals führenden deutschen Theaterstadt. Darum
wollen wir mit Schlenther nicht allzu strenge ins Gericht
gehen. Vielleicht hat er — und es sprachen mancherlei
Anzeichen seiner ersten Direktionszeit für diese An¬
nahme — die ganze Hohlheit und Minderwertigkeit der
„Richtung“ richtig erkannt, in die er von der jüdischen
Wiener Presse gezwängt wurde, ohne die Kraft zu haben,
auf eigenen, reineren Wegen zu gehen. Vielleicht, fast
können wir es von ihm, einem erfahrenen, scharfblicken¬
den Theaterfachmanne annehmen, vielleicht hat er ge¬
nan vorausgesehen, wohin ein Theater treiben müsse,
das seine Hauptaufgabe in der Pflege von Plattheiten
und einfältigen Salonschwätzereien von der Art Schnitz¬
lerscher, Hoffmannsthalscher und Auernheimscher Dich¬
tungen findet. Vielleicht hat er das Ende mit Schrecken
vorausgeahnt, das sich, nur ein notwendiger Schlu߬
punkt zu einer langen Sündenreihe, gelegentlich der Auf¬
führung von „Hargudl am Bach“ einstellte. Doch konnte
er, in völlige Abhängigkeit von der Presse geraten, den
Ansturm ihrer Schütz. nge nicht abwehren und fügte sich
in sein Schicksal. Die revolutionären Theaterpläne seiner
Jugend wurden ihm allgemach mit dem Wohlwollen der
Händlerpresse abgekauft.
Dieselbe Presse hat ihn freilich dann ruhig fallen
lassen. Heute erinnert sie sich mit herablassender Dank¬
barkeit nochmals des Mannes, den sie aus einem stre¬
benden Künstler zu ihrer hilflosen Kreatur herab¬
würdigte, und schreibt: „Die Persönlichkeit Schlenthers
bleibt auf immer mit der Geschichte unserer Hofbühne
verknüpft.“ Wir aber müssen zu unserm Bedauern
richtigstellen: „... mit der Geschichte des Niederganges
unserer Hofbühne verknüpft.“ Einen Direktor, dessen
Name für immer mit ihrem neuerlichen Aufstiege ver¬
knüpft wäre, haben wir bis heute nicht. Baron Berger,
8
zu spät herberufen, wurde abberufen, ehe er sich recht
M
entfalten konnte. Und jetzt geht halt der gemächliche
Trab mühselig weiter und wir wahren die alte „Tra¬
K
e
dition", indem wir ihr ein paarmal im Jahr mit
9
einem neuen Schnitzler oder Auernheim oder Hans
Müller ins Gesicht schlagen. Flach wie ein Brett ist der
h
einst ragende Burgtheatergipfel geworden.
Folgerichtig stellen sich diese bitteren Gedanken
ein, wenn wir des Mannes gedenken, der, hingestreckt
von schmerzlichem Sterben, in Berlin auf der Bahre
liegt. Vielleicht war er besser als sein Werk. Vielleicht?
haben ihm in seine Jugendträume ganz andere Ziele
hineingeleuchtet als die, zu denen ihn schließlich diet
trübe Welle hinspülte. Als er in Berlin die „Freie d
Bühne“ gründete, horchte die deutsche Theaterwelt auf: §
1
Ein Revolutionär des Theaters! Er hat es dann viel,
viel billiger, allzu billig geben müssen! Stellen wir r
dieses sein offenkundig nach anderen Zielen gerichtetes
Streben heute ehrend an die Stelle seines mißlungenen
Lebenswerkes! Gedenken wir dankbar dessen, daß er
unserem Hofburgtheater ein paar gute Barsteller er¬
warb, deren wir uns heute noch erfveuen dürfen. Einen
1
anderen Dank vermögen wir diesem Toten nicht ins
Grab mitzugeben.
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trachen