VI, Allgemeine Besprechungen 2, Ausschnitte 1933, undatiert, Seite 110

2. Cuttings
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III.
Macbeth ist (im Grunde) wie der
Schlesier sagt, ein gutter Kerl, aber
ein tummes Luder Süchtig, aber¬
gläubisch; beschränkt; ein Sie¬
manndl. Nicht sehr intelligent auf
kindische Macht gerichtet. Und so
erfolglos! (Schrecklich.) Damals er¬
wärmten sich die Leute wenigstens
für die historischen Anspielungen
(und glaubten an Gespenster). Für
uns ist blos der Genuß historisch...
Ich empfinde — bei nie vergäng¬
licher Bewunderung für diesen
doch den
dunklen William
einer Kri¬
Stumpfsinn einer
minaljambik mit Geniestrecken. Das
Ganze bleibt (wie sagt man?) ein
Symbol. Aber ja. Aber gewiß.
Damit kann man alles einrenken.
Es hilft mir doch über den Mi߬
stand nicht, daß etwas gespielt wird,
was mich für des Abends längsten
Teil wenig angeht ...
30. X. 1909
Hamlet
III.
„Das Werk scheint mir nicht ver¬
wickelt. Es ist: das Stück von des
Lebens Ungerechtigkeit. Von dem
Schmerz eines Menschen, der edel ist
und das Treiben rings ansieht.
Genauer. Das Stück von den
Zanderungen eines verseinerten
Menschen: aus Ursachen der Sitt¬
lichkeit. Zweitens das Stück von den
Zanderungen eines verfeinerten
Menschen. aus Ursachen der Skepsis,
der Unsicherheit. Drittens vielleicht
auch das Stück von den Zanderungen
eines verfeinerten Menschen: aus ...
physiologischen Ursachen. (Tatkraft
wird geschwächt, je entwickelter der
Geist. Siehe Heldentum.)
Hamlet ist einfach. Es beweist
seines Dichters Größe, daß er immer¬
hin heut erst einfach ist.
IV.
Aber seien wir ehrlich: dies Werk
hat uns, dies alles vorausgeschickt,
heute nichts mitzuteilen.
kundig von der Stirn bis zum Na¬
senloch massieren — und auch quer
vom Nasenrücken nach den Bäckchen
zu. Vierzehntausend Bewohner
sollen gegenwärtig die Influenza
haben, es wäre doch schön, wenn
ihre Heftigkeit wenigstens in der
Nasengegend kraft des hier beschrie¬
benen Verfahrens gemildert werden
könnte, und die uneigennützige
Urheberin der Heilung ware glück¬
Vor dem Professoren¬
lich .
streit wie vor dem Schnupfen gehn
uns die Augen über. Wir haben
von beiden jetzt genug. Jeden Tag
eine neue Auflage dieser Zwistig¬
keiten zu erleben und noch kein
Ende abzusehen, das geht über die
Kraft. Vor etlicher Zeit schien alles
glücklich eingesargt und begraben
aber in dem Sarge lag ein
Scheintoter, der sich wieder er¬
hebt, anfängt herumzulaufen, her¬
umzurasen, die Mitwelt zu beschäf¬
5. III. 1911
Nur der kleinste Teil eines Hun¬
dertmarkscheins braucht verwendet
zu werden, damit einer von Berlin
jetzt nach Dresden fahren kann und
zugleich das Erleben einer Rosen¬
kavalier=Aufführung verbürgt und
im Preise eingeschlossen genießt.
Wer von Berlin, nachdem er in
einen Opern=Sonderzug geklettert ist,
an die Elbe fährt und einen vor¬
dern Parkettplatz der Hofoper in Be¬
sitz nimmt, zahlt für dies alles zu¬
sammen bloß sechzehn Mark und eine
halbe. Wer aber ohne musikalische
Begierden auf natürlichem Wege
diese Reise macht, hat siebzehn Mark
zu zahlen, also fünfzig Pfennige
mehr, und sieht keine Oper, noch
hört er Straußsche Musik. Die pri¬
vate Tüchtigkeit irgend eines Ver¬
legers ist auf diese fast yankee=helle
Idee verfallen. Freilich sind die
Strapazen offenbar groß. Die
Leute fahren am Nachmittag hier
weg, haben allenfalls Zeit, sich die
Hände zu waschen, einen Schluck Elb¬
Atmosphäre einzusaugen, rennen
dann ins Hoftheater, machen die
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