VI, Allgemeine Besprechungen 2, Ausschnitte 1933, undatiert, Seite 109

RLLE
box 38/4
2. Cuttings
Carl Busse spricht im „Deutschen
Wochenblatt“ (No.43) von Arthur Schnitz¬
ler und fällt dabei folgendes vernichtende
Urteil über das litterarische Wien: „Schnitz¬
ler ist der interessante Wiener. Und der
interessante Wiener ist eigentlich entsetzlich.
Ich kenne viele von der Gilde, aber ich
habe nie ein so trauriges Pack gesehen.
Eine Gesellschaft, die in der Litteratur er¬
stickt, die keine Ahnung hat vom Gesamt¬
leben ihres Volkes, denen die neue Rolle
einer Sandrock tausendmal interessanter ist,
als der ganze Kampf des deutschen Oester¬
reichs, die keine Begeisterung, keine Gro߬
herzigkeit, kein Feuer aufbringen, sondern
durch den ewigen Klatsch, durch die Kaffce¬
haussitzerei, die „geistreiche" Thesenwirtschaft
zu Ennuchen geworden sind.“ — Aber ist
das wirklich alles, was sich von Leuten vom
Schlage eines Schnitzler, Peter Altenberg,
Hofmannsthal sagen läßt?!
Zwei bemerkenswerte Aufsätze über
Stéphane Mallarmé lesen wir in der

Harakiri
Das Harakiri ist eine eigentümliche Art des Selbstmördes. Der Verurteilte — in
diesem Falle Herr Alfred Kerr — erhält einen Dolch, um sich
10) selber den Bauch durch einen Querschnitt von links nach rechts zu öffnen, sich dann
2) selber die Kehle zu durchstechen, worauf ihm
3) von einem Danebenstehenden der Kopf mit einem einzigen Schlage vom Rumpf getrennt
wird.
1. Der Stilwechsler
Königsberger
Der Tag
Allgemeine Zeitung
„Den Denkerblick gesenkt nach innen,
Welch ein Mitleid wird wachgerufen.
Sprach unser Freund in tiefem Sinnen:
Was machen Menschen alles, um Geld
Ich schreibe auf den verschiedensten
zu verdienen. Wie verrenken sie ihre
Stufen,
Glieder, wie verstellen sie ihre Stimme,
Doch immer talentvoll, unberufen.
wie hopfen sie auf allen Vieren herum
Ich bin aus der Schar der Lächelnden,
einem Dachshund und sprechen:
gleich
Sonnigen,
wenn du nur guter Lanne bist, mein
Betulich und neckisch wie ein Ponychen ...
Käuferchen! Ein Affe will ich sein,
Meine Plauderbriefe sind reich an
einem Mänslein will ich gleichen, wie
Charme!
ein Kakadu will ich mich benehmen, wenn
..! Sonnen¬
Voll plätschernder Grazie
du nur guter Lanne bist.“
warm!“
21. I. 1910
Berliner Plauderbrief 19. II. 1911
Macbeth
II.
„Das Stück ist auf den Brettern oft
„Kein Tag ohne Professoren¬
langweilig und höchst unwirksam.
streit — und kein Tag ohne In.
Dazwischen Leuchtpunkte; schwer ver¬
fluenza. Jeder Zeitgenosse, Mit¬
geßbare Szenen. Dieser Mensch aus
bürger, Steuerzahler redet ein
Stratford gibt schon Beispiele von
bischen durch die Nase, zückt sein
seltner Einprägsamkeit für den einen
Schnupftuch mit peinlicher Häufig¬
und den andern seelischen Fall. Er
keit und ist von einem schweren
gab sie, damals. Und hinter allem
Müdesein befallen.
steht, heute noch: die Verderberin.
Die Damenschaft ist besser dran
Die Frau. Dies Stück Elend und
die weiß schlauere Mittel; eine
dieses Stück Seligkeit unsrer Bahn.
hat mir anvertraut, daß sie vor
Ich erkenne bei Shakespeare nicht ge¬
dem Beginn ihrer Nachtruhe ihre
uug, wie Maebeth hinterdrein auf sie
kleine Stumpfnase von oben bis
blickt. Man hört von seinem Schmerz
unten massiert, nachdem sie die
über ihren Tod. Dann hat er selber
Finger in eine heilkräftige Salbe
keine Zeit . . . und muß hinab. Hin¬
Sie ist fest überzeugt
getaucht.
ter allem die Verderberin. Elend
und will es erprobt haben, daß diese
und Seligkeit. Schwache Männer
edle Salbe von außen nach innen
werden sie anklagen, begreinen, be¬
eindringt und die Heilung mit ra¬
schimpfen. Die starken werden von
sender Geschwindigkeit bewirkt. Der
ihr loskommen. Und hernach —
Erfolg sei großartig. Ein wie nie¬
aufrecht, gelöst, frei — ihr Andenken
dertrachtiger Mensch müßte man
vergöttern. Bis aus Ende dieser
sein, wenn man ein so gutes Mittel
Tage hinüberwinkend mit unaus¬
den Lesern verschwiege. Die Salbe
sprechbarem Dank. Ewig verbunden,
kann von Vaseline und Lanolin bis
für immer entfernt. Macbeth hat
hinauf zu Eubomenth und wie die
hierzu keine Zeit. Er muß gleich
Sachen heißen ganz nach Belieben
verrecken. Der Blödian. Der Fallot.
gewählt werden. Nur fest und sach¬
Der Tolpatsch.