VI, Allgemeine Besprechungen 2, Ausschnitte 1933, undatiert, Seite 118

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2. Cuttings
Das junge und jüngste Wien.
Dr. A. A. Hofer.
(Fortsetzung.)
Von diesem Tage an fanden wir uns oft
und gingen gerne in den Gärten, zwischen Aka¬
zien und Jasmin. Er konnte plaudern, leicht,
ungesucht, ohne daß er erst ein Thema brauchte.
Ich erkannte ihn jetzt deutlicher und tiefer.
Das nervöse Suchen, das Tasten, die Qual
um das fliehende Wort sind ihm fremd. Aber
das helle Gesicht seiner Nerven für die leifesten
Reize ist von einer unheimlichen Feinheit.
Das erste, was er schrieb, war eine Studie
über die physiologie de l’amour des Bourget.
Eine Studie über die „Mutter“ folgte. Das
waren für seine siebzehn Jahre wunderliche
Stoffe. Er wird aber nie kraß, nie brutal, und
die Grenzen der guten Gesellschaft sind immer
gewahrt. Er brauchte sich nicht erst auszutoben;
es gab keine Periode der Räuber, sondern der
Jüngling begann gleich wie ein Mann, der
sich gebändigt, geklärt und in der Gewalt hat.
Schöne Dinge, die funkeln, sind seine
Leidenschaft. Schmale weiße Hände, die prunken¬
den Betten der Borgia, Sänften, Fächer und
Pokale, die vollen Farben und die breiten Klänge
der Renaissance kommen immer wieder. Man
möchte ihn unter jene trunkene Apostel der
Schönheitstellen, wie die englischen Prärafaeliten,
die französischen Symbolisten, die vor der rauhen
und gemeinen Oede des täglichen Lebens in
blühende Träume der Vergangenheit entlaufen.
Aber er liebt es auch, mit dem Naturalismus
zu kokettiren.
Also: Epigone und Moderner, lyrisch und
kritisch, krank und gesund, pervers und rein,
Symbolist und Naturolist zugleich, — er scheint
ein unerschöpfliches Räthsel. Vielleicht ist es ge¬
rade diese Fülle unverträglicher Motive, die seinen
Reiz auf die Kenner ausübt. Und das Reizvollste
bei ihm ist, wie Lothar sagt, das durch alle
fremde Kunst die Wiener Grundstimmung auch
bei ihm zum Durchbruche kommt; Hoffmannsthal
ist ein Dichter des Wiener Barockstils.

W
S e ga

handelt und ausspinnt, kurz in der Technik zeig
Wesensverwandt mit Bahr und Hofmanns¬
sich als Schüler der japanischen Maler, dere
r
thal ist Peter Altenberg.
Farben und Töne er in Worte umsetzt.
Ihnen allen ist die Schönheit der Wieder¬
Auch wenn man ihn sieht und spricht, wir
gabe, also die Form, alles. Da schwirrt ein Ge¬
einem der ganze Mensch und Dichter klat
danke in ihnen auf, an den sie sich ergötzen, be¬
Freundliche und doch scharfe Augen, eine hel
rauschen, und in diesem Bacchanale der Sinne
Stimme und ein starker, buschiger Schnurrba
ranken sie sich um diesen einen Gedanken, immer
halb Mann, halb Kind, ein starker Geistm
neue Gedanken, wie der Gärtner Blume auf
einer weichen Kinderseele.
Blume zu einem Strauße häuft. Jeder Gedanke
Hinter Bahr, Hofmannsthal und Altenber
ist ein von der Vernunft erfaßtes Vibriren der
die doch schon ihre Gemeinden haben, sind no
Nerven= und Seelenstränge, eine aufgestiegene
ein paar geheime Größen.
Seelenwolke. Das Wort und die Stimmungen
Man kennt von ihnen höchstens Felix Dör
sind so spröde, sind zu schwerfällig, um diese
mann aus seiner Neurotico, ihn, der eifrig
Stimmungen zestzuhalten. Deshalb suchen diese
die Zeitungen Notizen über seine Werke verschick
Dichter ein Surrogat, und sie finden es in einer
die er nächstens schreiben wird. Er ist sicherli
fast raffinirt gesuchten und verfeinerten Hand¬
ein Talent — natürlich ein formales. Man hör
habung der Sprache. Hier muß eine stele Um¬
wie seine Gedanken, durch die Form gedrückt,
werthung sich vollziehen. Die Worte, die der
erstickt werden:
Seelenstimmung des Schaffenden entsprungen
Ich liebe die hektischen, bleichen
sind, müssen sich beim Lesen oder Anhören wieder
Narcissen mit blutrothem Mund;
in jene Stimmungswolken umwandeln, aus denen
Ich liebe die Qualengedanken — die Herzen zer
sie entstanden sind. Dazu gehört aber ein ebenso
stochen und wund;
zartnerviges Naturell, man muß selbst ein Stück
Ich liebe die Fahlen und Bleichen, die Fraue
Künstler, Träumer und Phantaft sein, um diese
mit müdem Gesicht,
Worte wieder in jene Stimmung umzubilden.
Aus welchen in flammenden Zeichen — Verzeh
Hinter den Worten und hinter den Gedanken
rende Sinnengluth spricht;
steht hier als der Kern des Ganzen: die Stim¬
Ich liebe die schillernden Schlangen,
mung. Das könt und braust und klingt und
schmiegsam und biegsam und kühl;
dröhnt in seinen Werken wie Orgeltöne und
Ich liebe die klagenden, bangen, — die Lieder vo
Posaunenruf. Das größte, reifste und bedeutendste
Todesgefühl;
der Werke Hofmannthal's in diesem Sinne ist
Ich liebe die herzlosen, grünen — Smaragde v#
der „Thor und der Tod“: die Klage des Jüng¬
jedem Gestein;
lings, der als weltabgewandter Thor gelebt und
Ich liebe die gelblichen Dünen — im bläuliche
nun dem Tode verfällt:
Mondenschein;
Weltabgewandt wie Hofmannsthal, ist auch
Ich liebe die Gluthendurchtränkten, — die Düf
Peter Altenberg. Er ist kein Dichter für die
berauschend und schwer;
thätigen Weltbürger, für jene mit der lauten
Die Wolken, die Blitze durchsengten — das grau
Stimme und den fertigen Idealen. Aber kluge,
wuthschäumende Meer;
adelige Frauen und einsame Künstlermenschen
Ich liebe, was niemand erlesen — was keiner
werden seine Bücher „Wie ich es sehe" und
zu lieben gelang,
„Was mir der Tag zuträgt“ immer gern in die
Mein eig'nes, urinnerstes Wesen — und alle
Hand nehmen. Es ist ein einzig hohes Lied auf
was seltsam und krank.
das Weib, gesungen in den süßesten, zarten Tö¬
Mit diesen Versen ist es wunderlich. Ma
nen! Ein demüthiger Ritter und stolzer Trou¬
badour ist Altenberg dem Weibe. In der Art, kann ihre glückliche Form nicht leugnen, und d
wie er sein Thema, die Anbetung der Frau, be= „hektischen schlanken Narcissen mit blutrothe