VI, Allgemeine Besprechungen 2, Ausschnitte 1933, undatiert, Seite 121





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2. Cuttings
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Mgn Mamur Vollzogen, dann werde 29 Aüf¬
Van. Bühie 1300 eie Zun
gabe anderer Factoren sein, darüber schlüssig zu
Diese Verlangsamung der Bevölkerungere
werden, was auf Kreta zu geschehen habe.
tung ist eine Folgs der im Jahre 1901 ein¬
Der Typus, dem schon der Dithmarsche Fried¬
braucht, der Wiener, der sich ärgert, aber nicht
Der Traum vom Weide! Den träumen
rich Hebbel den Boden bereitet hatte, blieb. Nach
empört, dessen unverwüstlichen Optimismus alle
auch die jungen wirklich Modernen. Einer von
Anzengruber's Scharlänter im Vierten Gebot
schlimmen Erfahrungen nicht zerstören können,
ihnet nennt seinen ersten großen Roman schlang¬
kam Eduard Pötzls „Herr von Nigerl“ und
fand in Karlweis seinen Verkünder. In seinen
weg: Der Traum vom Weibe. Es ist Maxk
Vincenz Chiavacci's „Frau Sopheil vom Nasch¬
Geschichten aus Stadt und Dorf ist sein Blick
Miser. Er und Stephan Großmann waren beide
markte“ und Tann=Bergler's Herr von Pomeisl,
noch nicht geweitet, aber bald überwand er das
zu ihrem Glücke noch zu jung, al“ Bahr's Ein¬
diese behäbigen, humorvollen, liebenswürdigen
kleinbürgerliche Milieu und begann das moderne
fluß am nachhaltigsten wor. Sie repräsentiren
Typen des heutigen Wien. Der Humor aller
Wien zu erkennen. Sein Beruf — er war Eisen¬
den Typus des philosophirenden Schriftstellers:
drei ist darum so wirkungsvoll und schlagkräftig,
bahnbeamter — führte ihm das moderne Leben
scharfe Beobachtung und feingeschliffener Stil,
weil er der Humor nicht eines Wieners, son¬
vor Augen, er erkennt es, greift heran, entnimmt
sowie selbständiges Denken charakterisirt ihre No¬
dern der Wiener ist. Pötzl's Humor ist schärfer,
ihm seine Gestalten und Stoffe. So findet er
vellen und Essays. Was ihnen abgeht, ist starke
kantiger, bissiger, aber in all seinen Werken kehrt
seine eigentliche Domäne: das satirische Drama.
Empfindung — Temperawent. Freilich hat sich
der gleiche Typus wieder. Viel weicher, viel
Man nannte ihn den „Wiener Aristophanes“.
Messer bereits zu prächtigen lyrischen Stimmun¬
milder, aber auch viel mannigfaltiger ist Chia¬
Aber sein Witz ist wienerisch, das heißt gut¬
gen durchgerungen, und lagert sich über seinem
vacci, dessen „Wiener vom Grund“, „Klein¬
müthig, weichlich, sanft, und aus der beißenden
letzten Roman, den ich oben citirte, bereits
bürger von Groß=Wien“ eine Fülle prächtigen
Satire wird bei ihm eine harmlose Frozzelei.
Frühlingsduft und Frühlingslyrik in überreichem
Humors mit oft wirklich rührenden Untertönen
Den gleichen Weg wie Karlweis sind auch
Maße.
bergen. Von seinen Geschöpfen gilt, was Karl¬
die beiden Schönthans gewandert. Beide haben
Bereits Schnitzler leitete zu einer anderen
weis von seinen Wiener Kindern sagt: „Seht
obgleich Nichtwiener die Wiener Eigenart rasch
Gruppe von Wiener Dichtern über. Bereits er
doch, es sind noch immer dieselben Menschen¬
erfaßt und sich ihr angepaßt, freilich nur der so¬
verarbeitete, was die Fremde gebracht hat. Alle
kinder, die da unten leiden und jubeln, grollen
genannten großen Gesellschaft. Beide haben sich
Kunst bei uns strebt zur Heimalkunst. Das
und küssen ... Dieselben unruhigen Geschöpfchen
von ihrem Bespöttler langsam zu ihrem Schil¬
Heimliche, Liebliche, die sanfte, schwermüthige
mit ihrem wunderlichen Jagen nach Genuß ohne
derer aufgeschwungen, so in dem Roman Frau
Weise Schnitzler's, die oft verträumte Resigna¬
Glück, nach Lohn ohne Mühe. Wie vor hundirt
Loth und in den „braven und schlimmen Frauen“,
tion, welche die eigentliche Poesie Wiens aus¬
Jahren sind sie noch heute und werden es wol
die beide Paul v. Schönthan, den rascher Accli¬
macht, das Volksliedartige erbie Schnitzler von
auch in aller Zukunft bleiben: Kinder, große
matisirten zum Verfasser haben.
der Muttererde. Trotz und Auflehnung, Sturm
Kinder!“
Auch Philipp Langmann und Mox Burck¬
1 und Drang sind dem Wiener Sänger fremd.
Der lustigste jedoch von den Dreien ist
hard suchen in richtiger Erkenntniß ihres Talentes
Ebenso wienerisch, doch männlicher, ja fast brutal
Tann=Bergler.
ihre Kraft im Heimatboden. Der Litztere geberdet
ist das Talent Ludassy's, der in der Technik und
Abseits vom eigentlichen Jung=Wien steht
sich besonders gern als echter Urwiener.
Mechanik des dramatischen Aufbaues alle Wiener
J. J. David, der einer etwas älteren Generation
Dieses Element des Urwienerthums hat
Bühnenschriftsteller übertrifft.
angehört. Von unendlichem Schmerze, der seine
seine eigenen Poeten, die nie fremden Einfluß
Zu diesen Dichtern, die auf dem Umwege
Jünglingsjahre umdüsterte und nun auch vom
auf sich wirken ließen, und die wahre Meister
über fremde Technik sich zum Wienerthum durch¬
Manne nicht lassen will, zum Dichter und Mär¬
ihrer Technik sind, so naiv diese zuweilen auch
gearbeitet haben, gehört auch der jüngst verstor¬
tyrer gekrönt, kennt er nur einen Ton — den
sein mag.
bene Karlweis. Das Schimpfen, Poltern und
Tod des Leidens, das Grau der Nebel, die be¬
Schon Anzengruber hatte den Typus des
Raisoniren des Wieners, der es dabei gar nicht
böse meint, so drastische Ausdrücke er auch ge¬ Kleinbürgers in die Wiener Literatur eingeführt.' ängstigend auf die Seele drücken, über dem Flach¬

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