VI, Allgemeine Besprechungen 2, Ausschnitte 1933, undatiert, Seite 142

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2. Cuttings
Professor Bernhardi erweist. Wer jedoch genauer zusieht, swurde, eine dem Stücke nicht ganz günstige Zersplitterung des
wird finden, daß Schnitzler auch im Problemstuck, wo kirchliches Problems herauskam. So sehen wir nun neben den Angriffenig
Dogma und wienschaftlich=menschliche Dentungsart zusammen=auf das Judentum von seiten antisemitischer Kollegen, wie sich
prallen, der melancholisch Lächelnde geblieben ist, der nach einigen
um das schuldlose Wissenschaftlerhaupt Bernhardis das Netz feind¬
Gefühlsaufwallungen das Gleichgewicht der Weltweisen wieder=licher Vernichtungsmanöver dichter und dichter zusammenzieht.
erlangt. So wirten auch seine Auseinandersetzungen der beiden
Namentlich der Schurke Dr. Ebenwald, ein tückischer Neidhammel
Professoren=Lager — hie die reaktionär=nationalen Gesinnungs¬
erster Ordnung, arbeitet fieberhaft an Bernhardis Sturz, und
lumpen, hie die human=fortschrittlichen Freigeister — mehr wie ein da auch der allmächtige Minister den einstigen Jugendfreund
Flirten in der Ruhe und Delikatesse ihres geschliffenen Stils, als! Bernhardi in der Entscheidungsstunde erbärmlich im Stiche läßt,
wie sittliche Temperamentsausbrüche. Wo Schnitzler uns nicht in
ist das Ende der fünf Akte, daß nach glänzend gefeilten Reder#
seine Anatolwelt führt, beschwört er gern die klinische Atmosphäre
herüber und hinüber Professor Bernhardi von seiner Stelle an
herauf. Der Dichter wär Arzt, und der medizinische Beruf, das
leitender Direktor des Elisabethinums suspendiert, und weiterhi
Krankenhaus, das Sterbebett, die Krankenschwester spielt in Ab¬
in einer gerichtlichen Untersuchung wegen Religionsstörung z
ständen immer wieder in seine Pocsie herein. In „Professor Bern¬
zwei Monaten Gesängnis verurteilt wird. Auf diese Niederträchtig
hardi“ will es zu Anfang des ersten Aktes scheinen, als ob wir es
keit steuert das Stück in brillant pointierten Gesprächen zu, di
mit einem reinen Milieustück zu tun hätten; Aerzte, klinische
nicht im wilden Protestgeschrei kulminieren, sondern ihre stilistischer
Utensilien, Krankenstandgespräche, alles recht interessant wie stets,
Leuchtkugeln schillernd aufsteigen lassen. Es wird zu einem kleinen
wenn das Auditorium ein intimes Standesleben auf der Bühne
Ingrimm gegen die klerikalen und verdummten, gegen die schein
beobachten kann. Doch bald setzt die „Vergeistigung“ des Milieus,
heiligen und selbstsüchtigen Elemente unsrer paragraphierten und
oder das sogenannte Problem ein. Ein süßes Mädel (diesmal er=oogmatisierten Gesellschaft mit flammenden Worten eingeheizt,
scheint es nicht auf den Brettern, es wird nur von ihr gesprochen;
dann aber wird das Feuer wieder gelöscht mit der Schnitzlerschen
das einzige weibliche Wesen inmitten der Professorenschar ist eine
ironisierenden Art des ruhigen Weltmannes, der den Standpunkti#
Krankenschwester) liegt an den Folgen ihrer Liebe danieder; nur
jenseits von gut und böse einnimmt und mit der traurigen Un¬
noch nach Minuten zählt ihr junges Leben, aber sie ahnt die
versöhnlichkeit zweier Lebensformen als milder, nicht als wilder
Todesnähe nicht, sie wiegt sich in Hoffnungsgedanken, träumt in
Mann — theselt. Wir wissen es ja, bei Schnitzler liebeln die
seligem Trug, daß der Geliebte kommen und sie gesund nach Hause
Menschen und sterbeln was wäre logischer, als daß sie auch nur
holen werde. Ludmilla, die fromme Krankenschwester, hat in ihres
theseln? Um sein Thesenstück vielleicht nicht allzusehr in Gefahr zu
einfältigen Herzens Drange nach dem Priester geschickt, damit die
bringen, hat Schnitzler nach Gelingen des Bubenstreichs, nach Ver¬
Sündige nicht ohne kirchliche Absolution vor Gott erscheine. Der
urteilung seines rechtschaffenen Bernhardi, eine kompromißlerische
Mann mit der für die Gläubigen Verzeihung spendenden, irdische
Arabeske eingeflochten: der vom Sterbebett verwiesene Hochwürden
Schuld hinwegnehmenden Kraft tritt ein, jedoch Professor Bern¬
erscheint in Person beim „Religionsstörer“ und bekennt ihm, daß
hardi wehrt dem Abgesandten der Kirche den Zutritt zu der Kranken.
er, Hochwürden, Bernhardi für einen Ehrenmann halte dem jede
Die Todgeweihte soll nicht durch den Anblick des Priesters aus ihrem
demonstrative Absicht fern gelegen. Es gibt auch hier im Zusammen¬
Traume von Glück und Leben gerissen und der traurigen Wahr¬
stoß zweier Ueberzeugungen Gelegenheit zu einem funkelnden
heit innewerden, daß ihr Ende gekommen. Professor Bernhardi
Wortduell, in dem die Kirche mit dem Individualisten die Klinge
tat die Weigerung nicht aus irgendwelchen konfessionellen Gründen,
kreuzt. Zuletzt verläuft die Geschichte ins Humorvolle. Schnitzler
aus irgendeiner Demonstration gegen traditionelle Gebräuche,
ist wieder in seinem Element mit der Zeichnung eines Wiener
einzig sein humanes Gefühl, seine Menschenliebe trieben ihn dazu,
Gigerls, das in salopper Liebenswürdigkeit das leichtlebige
der Sterbenden nicht die letzte Stunde mit Schreck und Aengsten
wurschtige höhere Wiener Beamtentum symbolisiert. Der Indi¬
zu erschweren. Doch dieses Menschentum soll Bernhardi schlecht
vidualist Bernhardi hat seine Strafe abgesessen und zieht sich voll¬
bekommen. Die ganze Gilde der Mucker und der Streber machen Ekel in sich selbst zurück. Mein Gott, lußt doch die Leute sich raufens
daraus eine Affäre. Schnitzler verschärft den Konflikt noch da¬
um Anschauungen und Prinzipien, ich hab die Sache satt und will
durch, daß er seinen Menschlichkeitsprofessor Jude sein läßt und
in erster Linie Mensch, ich selbst, nur kein Thesenmann sein. Des¬
in dem heuchlerischen Kesseltreiben den Ring christlicher Professoren
halb hole ich das bekannte melancholische Lächeln hervor und emp¬
gegen die im gleichen Institut amtierenden jüdischen Koryphäen
fahle mich. Adien, meine Herrschaften, hoffentlich habt's euch gut
hett. Warum diese Ueberspannung einer These: Ja mir scheint,
amüsiert? Und von Herzen wird das Publikum antworten: „Ge¬
daß gerade dadurch, daß in einer Gewissensfrage noch die Juden=iwiß, Herr Professor Bernhardi, es war sehr schön, es hat mich sehr?
frage angeschnitten, quasi wie ein Keil in den Konflikt getriebenlgefreut.“
Asmodi. 1
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