VI, Allgemeine Besprechungen 2, Ausschnitte 1933, undatiert, Seite 168

2. Cuttings

box 38/4
Der gründlich empfundene Rhythmus eines starken Dichters
schafft eben auch im Schüler nach seinem unentrinnbaren Gesetz
selbstätig weiter.) Der Adept Schopenhauers, der in einem Jäh¬
zornsanfall den störenden Papagei' erwürgt, weil er ihn bei Ab¬
fassung seiner Abhandlung über die Heilsordnung im Allgemeinen
und das grenzenlose Mitleid mit den Tieren im Besondern stört,
dieser Weltflüchtling, der so unsanft in den bürgerlichen Alltag hin¬
abstürzt; der Spieler, der immer verliert, weil er mit „Leidenschaft“
spielt; der kleine Bibliotheksbeamte, der seine Seele an den flim¬
mernden Schatten einer Filmdiva verausgabt: all das sind Ver¬
wandte des Tonio Kröger, sind verirrte Bürger, ebenso wie die
Klienten jenes phantastischen Instituts für Lebenslüge, das sich
„Der Himmel der Enttäuschten' nennt, oder wie selbst jener un¬
glückliche Schreiber, den der banale Schicksalsschlag eines großen
Loses entwurzelt. Ein Verwandter jener Halbkünstler ist schlie߬
lich auch der Held der Skizze La Buena Sombra'. Hier meldet
sich schon die Kraft, in der ich Bruno Franks Eigenstes und Bestes
spüre: ein ethischer Positivismus, ein Bekenntnis zur einfachen
Güte, wie es von Menschen geistiger Kultur heute selten so rein
und stark zu hören ist. In der außerordentlichen kleinen Dichtung
„Das Böse kommt das Negativ dieses Gefühls als eine großartige
Verzweiflung, in der schönen Skizze „Die Mutter einer ganzen
Stadt“ kommt die gleiche Leidenschaft positiv zum Ausdruck als
Huldigung vor der alles befruchtenden Kraft einer großen Seele.
Dieser ethische Grundzug gibt auch dem Roman Bruno Franks
„Die Fürstin Haltung und Rang. Die Geschichte ist glanzvoll ge¬
schrieben und in manchen Nebenfiguren (besonders in dem leicht
geschmeichelten Portrait einer bekannten seelenlos gescheiten ber¬
liner Schauspielerin) höchst amüsant. Aber sie handeli von einem
jungen Burschen, dessen grundschwache, zur Hörigkeit geborene
Natur so lange die Herrin, die „Fürstin' sucht, bis er aus einer
letzten Enttäuschung schließlich in den lautern Dienst der Natur
entläuft und Wärter der Seetiere in einer Station für Meeresfor¬
schung wird; und diese Geschichte könnte in ihrem ganzen Weg,
wenn auch nicht im Abschluß, so leicht ins peinlich Sexuelle ab¬
gleiten, wenn sie nicht ein unbeirrbarer Sinn für das sittliche
Rechtfertigungsbedürfnis, den grundreligiösen Vollkommenheits¬
willen einer lautern Seele aufrecht erhielte.
Vielleicht hängt es mit diesem bekennerhaften Zug seiner
Natur zusammen, daß Bruno Frank im Gegensatz zu Thomas
Mann auch ein Lyriker ist. Freilich ringt sich die eigentliche Melo¬
die auch bei ihm nur schwer aus einer gewissen epigrammatischen
Trockenheit los. Auch Thomas Mann würde, wenn er Lyrik
schriebe, sich sicherlich am meisten an Conrad Ferdinand Meyers
spiegelnd geschliffener Form schulen. Die Gedichte, in denen
Frank „Die Schatten der Dinge' nachzeichnet, haben, an der großen
Lyrik gemessen, alle einen Gran des Bewußten zu viel, sind mehr
Begriffs=Kristalle als lebendige Tropfen des heiligen Geistes. Aber
414
dies macht vielleicht grade ihren „sdh
Bis in das Wesen der Dinge aber füh
gefühls auch hier wieder schließlich e
Verlanget, Freunde, nicht, im
Denkt nicht, das Jetzt sei Sein
So hart die Rätselnuß auch en
Sie ist gewiß zuletzt trotz alle
Das ist gemeines Los und nin
Schaut froh den Weg zurück,
Das einzig Seiende in allem A
Ein bißchen Güte und ein biß
Dies hier nur formulierte =Ergel
lebendige Kraft Franks halb lyrische
Fluß. Bruno Frank hat aus einer phi
aus im Kriegsbeginn die schönsten W
Ruhm“ gefunden, der das alte, bunte
er hat im Verlauf einen noch eigenern
Ach, unser Leiden flammt
Den Bruder töten müsse
Es ist nicht Menschenamt!
Er hat das schöne Wort gefunden
der sich aus dem allzuharten Dienst d
Frank hat (schon einige Zeit vor dem
reifstes und schönstes Gedicht ein Requ
um eine verlorene Freundin gewinnt
willen, der mit der verhüllenden un
Worte selbst immer wieder ringt, eine
lich=künstlerischer Tiefe. Die edle Spi
Kultur des alten Goethe, aus den fehl
der Marienbader Elegie etwa, entwach
Erschütterung leidvoll gehaltenes, nie
müt hat auch hier keine durchaus neue
es heißt schon etwas, die Rüstung des
stand tragen können. Dies Requiem
vergeßlichem Klang:
Kein Ding, das ohne Wirkung
Aber Ein Herz ist weniger als
Und als äußerstes:
Kann ich dir nichts als feile 2
Es ist nicht recht! Ich sollte ni
Ein Dichter, dem seelische Wahr
schütternd zwingender Einfachheit gibt,
Theater zugewendet. In dieser Woche
auf eine berliner Bühne; da will ich
Wort fallen. Wenn Bruno Frank —
1