VI, Allgemeine Besprechungen 2, Ausschnitte 1933, undatiert, Seite 186


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2. Guttings
Karl Hans Strobl, Arthur Schnitzler
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Ganz wie ein Arzt. Dann sind seine Gestalten die
sauber ausgearbeitet und mit ungemeiner Sorgsam¬
keit in allen wichtigen Partien bloßgelegt. Aber
Vatienten und wir sind die Kollegen, die wissen
anatomische Präparate sind totes Fleisch. Und
dürfen, wie es um jene steht. Oder aber umgekehrt:
Schnitzlers Menschen sind ganze Menschen und leben.
wir sind die Patienten und Schnitzler beruhigt uns,
So könnte man eher sagen, sie sind Menschen mit
während er den Kollegen auf der Bühne seine
Klappen, die plötzlich aufgehen und eine Stelle des
Meinung über uns sagt.
Arzte erfahren gemeinhin alle Familiengeheim¬
lebenden, pulsenden, zuckenden Inneren sehen lassen.
Eine sehr saubere Arbeit.
nisse. Wir sind gezwungen, uns ihnen anzuvertrauen.
Der Dichter drückt auf einen verborgenen Knopf,
Ob nicht Schnitzler auf diesem Weg zu einigen
und die Klappe geht auf. Während die Menschen
Stoffen kam, nicht direkt vielleicht, aber auf den
weiterreden und gehen und lachen, sehen wir in sie
Umwegen der Anregungen? Manchmal scheint es,
hinein. An den unglaublichsten Stellen öffnen sich
als hätte er seine Stoffe nicht aus dem Leben,
diese Klappen. Auch der Uterus des Weibes ist vor
sondern aus Gesprächen über das Leben, aus Däm¬
Tageslicht nicht sicher. Man merkt dann ein wenig
merungsstunden mit Frauen, die vieles zu erzählen
von den realen Bedingungen seines Mysteriums.
wissen. Wie der Arzt im Leben steht, so stellt Schnitz¬
Diese Klappengeschichte sieht manchmal sehr grausam
ler mit Vorliebe Arzte auf die Bühne, als Ver¬
aus. Aber sie ist immer amüsant. Und wenn man
trauenspersonen für die übrigen. Ihre Zahl ist groß.
erst einige solcher Blicke getan hat, glaubt man den
Auf sie wird die Handlung bisweilen bezogen, bis¬
ganzen Menschen zu kennen. In= und auswendig.
weilen erfahren wir durch sie, was der Dichter denkt.
Sie sind nicht eben mitten im Gewühl, sie stehen
etwas beiseite, aber alle Ereignisse und alle Ge¬
Die Doktores medicinae universae sinb heut¬
fühle fluten bei ihnen vorbei. Es ist, als stammten
zutage sehr selten. Weit häufiger sind die Spezia¬
die Vorgänge da oben aus ihrer Beobachtung. Sie
listen. Auch Schnitzler hat sich, dem Beispiel seiner
erzählen uns davon und stehen doch auch gleichzeitig
ärztlichen Kollegen folgend, in der Literatur spezia¬
mittei darin. Wie es im Traum gescheyen mag.
lisiert, wie jene in der Medizin. Er hat eigentlich
Schnitzler scheint sie auf eben den Posten hingestellt
nur ein ganz kleines Gebiet. Aber auf diesem ist er
zu haben, wo er selbst den Ereignissen zugesehen hat.
schlechthin Meister. Der Meister. Einige Jüngere
Manchmal bedient er sich ihrer als Räsoneure. Nicht
streben ihm nach. Naoul Auernheimer voran. Um
in der — gerade hier etwas gröberen — Art der
aber Schnitzler mit einigem Erfolg nachzustreben,
Franzosen, sondern feiner. Trotzdem sie eigentlich
muß man Wiener sein. Leichtsinniger Melancholiker
mehr beobachtend da sind als handelnd, hebt er sie
und Skeptiker vor allem, aber unbedingt Wiener.
nicht so aus der Handlung heraus auf den Pre¬
Schnitzlers graziöse Linienführung wird verständlich,
digerstuhl.
wenn man sieht, wie diese Wiener Mädel sich zu
Übrigens sind viele seiner jungen Leute, ohne daß
tragen wissen, mit welchem angeborenen Geschmack
es besonders gesagt ist, Mediziner. Selbst wenn ihnen
und welcher wundervollen Anmut sie bei Regenwetter
ausdrücklich ein ganz anderer Beruf aufgeheftet ist.
mit zusammengerafften Röcken über die Straße gehen.
Man muß einmal jungen Medizinern zugehört haben,
Und wenn man die Linien kennt, mit denen die
wenn sie untereinander sind: sie sind alle ein wenig
rührenden, alten Häuser, die man noch manchmal
Zyniker, und wenn sie es noch nicht sind. so tragen
mitten in der Stadt findet, ihre Giebel dem leichten,
sie wenigstens.e Maske des Zynikers, kalte, scharfe
blaßblauen Herbsthimmel entgegenstrecken.
Geister, oft etwas blasiert (von den jüdischen Kol¬
Und Weltmann muß man sein. Schnitzler ist
legen nicht unbeeinfluht), zu bizarren Witzen geneigt,
Weltmann. Er hält auf die Form. Auf die Formen
renommistisch, wenn sie im großen Haufen, und
des Verkehrs und auf die Form in seinen Arbeiten,
melancholisch, wenn sie allein oder zu zweien sind.
als welche doch auch nur eine Form des Verkehrs mit
Die Liebe wird von ihnen gern als eine bloß sexuelle
gebildeten Menschen ist. Es gibt keine Zeile, in
Angelegenheit behandelt, und dabei haben sie doch
welcher Schnitzler sich vergäße und ruppig oder
die uneingestandene Sehnsucht, sie aus dieser Sphäre
schnoddrig wäre. Der Wiener kann geob werden,
herauszuheben. Aber der Korpsgeist gibt das nicht zu.
aber nicht schnoddrig. Schnitzler aber kann nicht ein¬
mal grob werden. Er haut nicht mit dem Hammer
Ich wette, daß Anatol ein Mediziner ist. Im
drein, sondern gebraucht höchstens das Fleurett der
Dialog mit Max verstößt er manchmal gegen den
Ironie oder das Stilett des Sarkasmus. Er hat
Korpsgeist.
auch keinen Humor, wie der Wiener ihn hat und zu
An die saubere Arbeit der Arzte erinnern Schnitz¬
dem immer eine Portion Gemütlichkeit gehört
lers Figuren. So ein Arzt stellt von seinen Patienten
und dann ein sehr positives Bekenntnis zum Leben.
zunächst Alter, Geburt, die Gesundheitsverhältnisse
Nein, Schnitzler hat keinen Humor. Und er ist durch¬
der Eltern und der Geschwister fest. Man nennt das
aus nicht gemütlich. Seine Dichtungen haben nie¬
Anamnese. Schnitzler macht seine Anamnese, bevor
mals etwas von der Stimmung des Heurigenschankes
er sich weiter mit seinen Gestalten einläßt. Er hat
in sich, die manchmal auch „bessere Leute“ überfällt.
sie genau im Kopf, wenn er es auch nicht für nötig
In diesem Wien, wo man zu allen Jahreszeiten
findet, uns jeden Punkt mitzuteilen. Daher haben
irgend eine Art von Heurigem verschenkt. Statt des
seine Figuren die scharfen Umrisse. Niemals merkt
Humors hat er den Witz, statt der Gemütlichkeit
man an ihnen etwas Verschwimmendes, wie es wohl
nur manchmal eine Art leichter Gerührtheit in melan¬
bei einem Dichter vorkommen mag, der seine Men¬
cholischen Dämmerungen.
schen nicht in allen Falten kennt und dem wohl zu
Aber er hat vor den Wienern eines voraus. Er
seiner eigenen Überraschung manchmal mitten in der
kann arbeiten, arbeiten, arbeiten. Was der Wiener
Arbeit ein neuer Zug an ihnen auffällt. Oder man
in der Regel nicht kann. Er ist von peinlichster Ge¬
könnte sagen, sie sind wie anatomische Präparate,