2. guttings
box 38/4
Karl Hans Strobl, Arthur Schnitzler
584
Stimmen mehr für uns, kein Schimmer mehr für uns
aus ... Wer ist das? .. Der Hugo
von Sonne und Sternen ... hinsinken, bluten,
Hugo! — Der Hugo, der beim Reiten verunglückt
verenden, eingegraben werden für alle Zeil
ist. Und er stirbt .. er stirbt.
wenn dir davor nicht graut, Freund, verstehst du
Eine banale Weisheit, vom Leben und vom
weder Tod noch Leben.“ Sagt Albrecht. Derselbe
Sterben. Und ein abgegriffener Stoff, sollte man
Albrecht, der sagt: „Nichts kommt nach uns.“ Aber
glauben. Leben und Tod sind die Angelpunkte un¬
trotz aller Liebe zum Leben ist der Tod doch das
serer Dichtung. Aber es kommt darauf an, was einer
Größere. Derselbe Albrecht, der, blühend und gesund
daraus macht. „Freut euch des Lebens, weil noch
und voll Kraft, sich dagegen auflehnt, mit seinem
das Lämpchen glüht“.
das ist Leierkastenmusik.
todgeweihten Regiment zu sterben, entgeht als ein¬
Jawohl! Seibstverständlich! Aber es kommt darauf
ziger der mörderischen Schlacht. Am Abend nach
an ... Bei Schnitzler weht manchmal der Hauch
dem Gefecht aber erschießt er sich in einer Scheune.
des Ungeheueren um diese Selbstverständlichkeit,
Die einzige Freiheit, die uns gegönnt ist, bleibt:
Nebel ziehen aus der Tiefe. Manchmal freilich
zu sterben. Aber wie wunderbar groß ist der Held,
klappert auch bei ihm die Phrase und stelzt das
der das kann. Der letzte Augenblick, wenn wir ihn
Pathos. Wie in der etwas tiradenhaften An¬
auch schon ins Auge fassen, ist nichts als ein Augen¬
preisung des Lebens durch Albrecht — siehe oben.
blick; was er an ungeheueren Schrecken birgt, wissen
Aber am Schluß desselben Stückes sagt der Arzt zu
wir nicht. Eine Novelle Schnitzlers behandelt den
dem Mädchen, das, dem Ruf des Lebens folgend,
langsamen und sicheren Verfall einer Jugend.
einen Mord begangen hat und in einer Nacht die
„Sterben“ Drei Personen: der junge Mann, die
Erfüllung der Liebe und den Tod des Geliebten
Geliebte, der Arzt. Der junge Mann hat die Ge¬
erlebte: „Sie leben ... Marie . . . und es war
wißheit, daß er bloß noch ein Jahr zu leben habe.
Auch seit jener Nacht und seit jenem Morgen
Die Geliebte erschrickt, tröstet ihn, kann es nicht
fließen die Tage und die Nächte weiter für sie hin.
glauben und muß es endlich doch glauben. Um ihn
Auch daß Sie über Feld und Wiesen spazieren gehn,
zu beruhigen, verspricht sie ihm, mit ihm zu gehen.
daß Sie Blumen pflücken, daß Einer versöhnt von
An dieses Wort klammert sich der Kranke. Aber
Ihnen Abschied nahm, daß hinter diesem Fenster eine
je weiter der Verfall schreitet, desto fremder und
Freundin Ihnen für ewig entschwindet, daß Sie hier
ferner werden sie sich. Das ist der natürliche Ver¬
mit mir reden unter dem leuchtenden Mittagshimmel,
lauf: das Leben verabscheut den Tod, und der Tod
ist Leben. Nicht minder, als es jene Nacht gewesen
haßt das Leben. Es ist ein qualvolles Ringen, und
, da es Sie aus verstörter Jugend nach dunkeln
die Liebe, die nur in gesunden Körpern wohnt, stirbt
Abenteuern lockte, die Ihnen heute noch als Ihres
zuerst dabei. Endlich ist der Augenblick da, der
Daseins letzter Sinn erscheinen .. . Und wer weiß,
Sterbende erinnert die Geliebte an ihr Versprechen.
ob Ihnen nicht später — viel später einmal aus einem
Aber sie flieht.
von unsäglichem Entsetzen ge¬
Tag wie der heutige der Ruf des Lebens viel reiner
packt ... sie flieht und läßt den Kranken einsam
und tiefer in die Seele klingen wird als aus jenem
sterben. Was er am meisten gefürchtet hat, geschieht
anderen, an dem Sie Dinge erlebt haben, die so
einsam . . . einsam.
In dieser Novelle
furchtbare und glühende Namen tragen wie Mord
steht: was wißt ihr, ihr Gesunden, von der Todes¬
und Liebe.“ — Ecce pocta!
angst. Es ist freilich leicht, großartig zu sein und
mutig dem Tod „ins Auge“ zu sehen, wenn man
Noch etwas spricht bei alledem mit: das Arztliche.
insgeheim davon überzeugt ist, daß er noch in weiter
Schnitzler hat Leben und Tod in ihren physio¬
Ferne steht.
logischen Bedingungen studiert, er kennt die Funk¬
Donnerwetter, freunolicher Leser! Denk' einmal
tionen unseres Organismus und weiß, daß das
nach, der Mann hat recht.
Seelische mit dem Physiologischen verknüpft ist. Die
Und nun: wenn der Zufall oder das Schicksal
Novelle „Sterben“ gibt von Zustand zu Zustand
oder der Dichter als sein Verweser diese furchtbaren
genaue Beschreibungen. Das Pathologische ist wich¬
Gegensätze hart aufeinander stoßen läßt! Scheinen
tig für die Erkenntnis des Psychopathologischen. Auch
sie da nicht wieder ganz nahe verwandt? Ein Bei¬
st tritt das Arztliche hervor. Manchmal, so scheint
spiel, wie dies der Dichter als Verweser des Schick¬
es fast, ohne den Willen des Dichters. Ein seltener
sal macht. In dem Schauspiel „Das Vermächtnis“
Fall bei einem so bewußten und besonnenen Dichter.
erster Akt, stehen drei Personen am Fenster. Die
Aber unsere Lebens„berufe“ sinken, so scheint es,
Schwester, der dreizehnjährige Bruder Hugos und
ins Unterbewußtsein und wirken manchmal durch un¬
ein junges Mädchen, das ihn liebt. Alle drei lieben
kontrollierbare Einflüsse. Die Hypnose wird unter
den Hugo, jedes in seiner Art. Nun stehen sie am
die szenischen Möglichkeiten eingereiht. Nicht zum
Fenster und müssen dem Lulu folgen, der ein Spiel
erstenmal in der Literatur, aber zum erstenmal mit
vorgeschlagen hat, eine Wette. Zwei Wagen kommen
ärztlicher Gewissenhaftigkeit. Ohne alles Brimbo¬
unterm Viadukt hervor. Das Ziel ist das Haustor.
rium, wie es bei Kurpfuschern nicht fehlen dürfte.
Welcher wird es früher erreichen? Welcher? Sie
Als Selbstverständlichkeit, als anerkannte medizinische
wetten der eine ist ein „Kutschierwagerl“, der
Tatsache.
andere ein Viersitzer. Zuerst scheint es, als ob das
So bekommt Schnitzlers Weltbild etwas Medizi¬
leichte Kutschierwagerl . .. nein, der Viersitzer
nisches. Manchmal riecht es nach Chloroform. Wenn
um was wetten wir? — Um ein Sechserl! Das
er eine dramatische Operation zu vollziehen hat. Da
Kutschierwagerl fährt durchs Ziel. Agnes hat ge¬
versucht er es bisweilen über den Schmerz hinweg¬
wonnen. Aber Lulus Wagen fährt auf das Haus
zuhelfen. Er spricht gut und tröstlich zu seinen Men¬
zu, hält vor dem Tor. Was ist das? . .. Die Leute
schen, wendet sich dann zu uns und sagt uns ohne
schauen in den Wagen hinein. Sie heben einen her¬
Mitleid und Erbarmen seine Meinung über den Fall.
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Karl Hans Strobl, Arthur Schnitzler
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Stimmen mehr für uns, kein Schimmer mehr für uns
aus ... Wer ist das? .. Der Hugo
von Sonne und Sternen ... hinsinken, bluten,
Hugo! — Der Hugo, der beim Reiten verunglückt
verenden, eingegraben werden für alle Zeil
ist. Und er stirbt .. er stirbt.
wenn dir davor nicht graut, Freund, verstehst du
Eine banale Weisheit, vom Leben und vom
weder Tod noch Leben.“ Sagt Albrecht. Derselbe
Sterben. Und ein abgegriffener Stoff, sollte man
Albrecht, der sagt: „Nichts kommt nach uns.“ Aber
glauben. Leben und Tod sind die Angelpunkte un¬
trotz aller Liebe zum Leben ist der Tod doch das
serer Dichtung. Aber es kommt darauf an, was einer
Größere. Derselbe Albrecht, der, blühend und gesund
daraus macht. „Freut euch des Lebens, weil noch
und voll Kraft, sich dagegen auflehnt, mit seinem
das Lämpchen glüht“.
das ist Leierkastenmusik.
todgeweihten Regiment zu sterben, entgeht als ein¬
Jawohl! Seibstverständlich! Aber es kommt darauf
ziger der mörderischen Schlacht. Am Abend nach
an ... Bei Schnitzler weht manchmal der Hauch
dem Gefecht aber erschießt er sich in einer Scheune.
des Ungeheueren um diese Selbstverständlichkeit,
Die einzige Freiheit, die uns gegönnt ist, bleibt:
Nebel ziehen aus der Tiefe. Manchmal freilich
zu sterben. Aber wie wunderbar groß ist der Held,
klappert auch bei ihm die Phrase und stelzt das
der das kann. Der letzte Augenblick, wenn wir ihn
Pathos. Wie in der etwas tiradenhaften An¬
auch schon ins Auge fassen, ist nichts als ein Augen¬
preisung des Lebens durch Albrecht — siehe oben.
blick; was er an ungeheueren Schrecken birgt, wissen
Aber am Schluß desselben Stückes sagt der Arzt zu
wir nicht. Eine Novelle Schnitzlers behandelt den
dem Mädchen, das, dem Ruf des Lebens folgend,
langsamen und sicheren Verfall einer Jugend.
einen Mord begangen hat und in einer Nacht die
„Sterben“ Drei Personen: der junge Mann, die
Erfüllung der Liebe und den Tod des Geliebten
Geliebte, der Arzt. Der junge Mann hat die Ge¬
erlebte: „Sie leben ... Marie . . . und es war
wißheit, daß er bloß noch ein Jahr zu leben habe.
Auch seit jener Nacht und seit jenem Morgen
Die Geliebte erschrickt, tröstet ihn, kann es nicht
fließen die Tage und die Nächte weiter für sie hin.
glauben und muß es endlich doch glauben. Um ihn
Auch daß Sie über Feld und Wiesen spazieren gehn,
zu beruhigen, verspricht sie ihm, mit ihm zu gehen.
daß Sie Blumen pflücken, daß Einer versöhnt von
An dieses Wort klammert sich der Kranke. Aber
Ihnen Abschied nahm, daß hinter diesem Fenster eine
je weiter der Verfall schreitet, desto fremder und
Freundin Ihnen für ewig entschwindet, daß Sie hier
ferner werden sie sich. Das ist der natürliche Ver¬
mit mir reden unter dem leuchtenden Mittagshimmel,
lauf: das Leben verabscheut den Tod, und der Tod
ist Leben. Nicht minder, als es jene Nacht gewesen
haßt das Leben. Es ist ein qualvolles Ringen, und
, da es Sie aus verstörter Jugend nach dunkeln
die Liebe, die nur in gesunden Körpern wohnt, stirbt
Abenteuern lockte, die Ihnen heute noch als Ihres
zuerst dabei. Endlich ist der Augenblick da, der
Daseins letzter Sinn erscheinen .. . Und wer weiß,
Sterbende erinnert die Geliebte an ihr Versprechen.
ob Ihnen nicht später — viel später einmal aus einem
Aber sie flieht.
von unsäglichem Entsetzen ge¬
Tag wie der heutige der Ruf des Lebens viel reiner
packt ... sie flieht und läßt den Kranken einsam
und tiefer in die Seele klingen wird als aus jenem
sterben. Was er am meisten gefürchtet hat, geschieht
anderen, an dem Sie Dinge erlebt haben, die so
einsam . . . einsam.
In dieser Novelle
furchtbare und glühende Namen tragen wie Mord
steht: was wißt ihr, ihr Gesunden, von der Todes¬
und Liebe.“ — Ecce pocta!
angst. Es ist freilich leicht, großartig zu sein und
mutig dem Tod „ins Auge“ zu sehen, wenn man
Noch etwas spricht bei alledem mit: das Arztliche.
insgeheim davon überzeugt ist, daß er noch in weiter
Schnitzler hat Leben und Tod in ihren physio¬
Ferne steht.
logischen Bedingungen studiert, er kennt die Funk¬
Donnerwetter, freunolicher Leser! Denk' einmal
tionen unseres Organismus und weiß, daß das
nach, der Mann hat recht.
Seelische mit dem Physiologischen verknüpft ist. Die
Und nun: wenn der Zufall oder das Schicksal
Novelle „Sterben“ gibt von Zustand zu Zustand
oder der Dichter als sein Verweser diese furchtbaren
genaue Beschreibungen. Das Pathologische ist wich¬
Gegensätze hart aufeinander stoßen läßt! Scheinen
tig für die Erkenntnis des Psychopathologischen. Auch
sie da nicht wieder ganz nahe verwandt? Ein Bei¬
st tritt das Arztliche hervor. Manchmal, so scheint
spiel, wie dies der Dichter als Verweser des Schick¬
es fast, ohne den Willen des Dichters. Ein seltener
sal macht. In dem Schauspiel „Das Vermächtnis“
Fall bei einem so bewußten und besonnenen Dichter.
erster Akt, stehen drei Personen am Fenster. Die
Aber unsere Lebens„berufe“ sinken, so scheint es,
Schwester, der dreizehnjährige Bruder Hugos und
ins Unterbewußtsein und wirken manchmal durch un¬
ein junges Mädchen, das ihn liebt. Alle drei lieben
kontrollierbare Einflüsse. Die Hypnose wird unter
den Hugo, jedes in seiner Art. Nun stehen sie am
die szenischen Möglichkeiten eingereiht. Nicht zum
Fenster und müssen dem Lulu folgen, der ein Spiel
erstenmal in der Literatur, aber zum erstenmal mit
vorgeschlagen hat, eine Wette. Zwei Wagen kommen
ärztlicher Gewissenhaftigkeit. Ohne alles Brimbo¬
unterm Viadukt hervor. Das Ziel ist das Haustor.
rium, wie es bei Kurpfuschern nicht fehlen dürfte.
Welcher wird es früher erreichen? Welcher? Sie
Als Selbstverständlichkeit, als anerkannte medizinische
wetten der eine ist ein „Kutschierwagerl“, der
Tatsache.
andere ein Viersitzer. Zuerst scheint es, als ob das
So bekommt Schnitzlers Weltbild etwas Medizi¬
leichte Kutschierwagerl . .. nein, der Viersitzer
nisches. Manchmal riecht es nach Chloroform. Wenn
um was wetten wir? — Um ein Sechserl! Das
er eine dramatische Operation zu vollziehen hat. Da
Kutschierwagerl fährt durchs Ziel. Agnes hat ge¬
versucht er es bisweilen über den Schmerz hinweg¬
wonnen. Aber Lulus Wagen fährt auf das Haus
zuhelfen. Er spricht gut und tröstlich zu seinen Men¬
zu, hält vor dem Tor. Was ist das? . .. Die Leute
schen, wendet sich dann zu uns und sagt uns ohne
schauen in den Wagen hinein. Sie heben einen her¬
Mitleid und Erbarmen seine Meinung über den Fall.