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2. Cuttings
Impresstonist. Eine Buchkritik, die so mustergiltig ist, daß sie über
jedes Buch geschrieben werden könnte, befaßt sich in der „Zeitf mit
Arthur Schnitzlers neuen Novellen: „ man kann aus ihnen allen die
interessante Wendung konstatieren, die Schnitzlers Entwicklung genommen
hat Schnitzlers Streben geht dahin, die Spannungen auf eine edie Weise
zu erhöhen. Zugleich, oder eben deshalb, sehen wir ihn bemüht, mensch¬
liche Schicksale aus tiefer gelegenen Quellen hervorströmen, menschliche
Charaktere aus verborgenen Wurzeln aufwachsen zu lassen. Er geht jetzt
in allen seinen Werken über die gemeine Logik hinaus, strebt einer
höheren, geheimnisvollen Gesetzmäßigkeit zu, die über aller Singen ist,
deren Sinn und Polge wir nur ahnen und an deren verschlossene Pforten
wir nur tasten. Was diese neuen Novellen sonst noch auszeichnet, ist..
diese vollkommen reine Form, in deren Linien sich etwas von dem per¬
sönlichen Wert Schnitzlers, von seinem tiefen, durch und durch dichteri¬
schen Atemn mitzuteilen echeint s Sehr fein erkannt ist es, daß sich in
der Form eines Kunstwerks etwas von dem persönlichen Wert eines“
Dichters mittellt. Da- der Kritiker selbst nichts darüber mitteilt, erhöht
auch er die Spannungen auf eine edle Weise. Es ist dann Sacht des
Lesers der Novellen, den Autor von anderen Autoren zu unterscheiden
und seinen persönlichen Wert zu bestimmen.
(Wien undArthur Schnitzler.! Wien hat vor
#gchtäge einen begeisterlen Fürsprecher gefunden, und
zuhr einen Propheten, der nicht bloß in seinem Vaterland
etwas gilt. Es waren zugleich Worte der Abwehr, die Werner
Sombart — denn kein geringerer als er fühlte sich gedrängt,
Ifür Wien eine Lanze zu brechen — gegenüber einigen nord¬
deutschen Schriftstellern gebrauchte, die mit kühler Ueberlegen¬
heit von der Höhe der — Siegesallee auf unseren „Steffel“
herabschauen zu können glaubten. Selten hat ein Wiener so
begeistert das Lob Wiens gesungen wie der berühmte deutsche
Nationalökonom, und mancher Wiener mag bei der Lektüre
des Sombartschen Artikels erstannt um sich geblickt haben, ob
ihm denn wirklich in einer so wundervollen Welt zu
leben vergönnt sei, wie sie hier von keinem
Dichter, sondern von einem Nationalökonom, dem
allerdings das warme Herz eines Poeten in der Brust schlägt,
geschildert wird. Denn ein echter Wiener bedarf erst der beim
„Heurigen“ zum Ausschank gelangenden Duliäh=Stimmung,
um von Wien, seinen Auen und Frauen zu schwärmen. Und
wie der Wiener Kultur und Natur, so ergeht es auch seinen
Dichtern. Manche von ihnen sind in Deutschland zu Ruhm
und Ansehen gelangt, während in Wien sich keine Bühne
findet, die ihre Werke aufführt, und Arthur Schnitzler, der
draußen im Reiche ungleich höher gewertet wird als bei uns,
mußte mit einem Schauspiel, das von berufener Seite als
eine der bedeutendsten dramatischen. Dichtungen der letzten zwei
Jahrzehnte bezeichnet wurde, mit dem „Schleier der Beatrice“.
nach Breslau wandern, um dort dessen Bühnen¬
wirkung auszuproben. Es darf daher als einiger¬
maßen verwunderlich bezeichnet werden, daß die ersto
Monographie über Schnitzler von einem Wiener Schriftsteller
herrührt. Alexander Salkind hat eben bei Wigand in
Berlin=Leipzig eine „Kritische Studie über die hervorragendsten
Werke Arthur Schnitzlers“ erscheinen lassen. Die 130 Seiten
starke Broschüre bespricht in ausführlicher Weise die in Buch¬
form erschienenen Werke Schnitzlers und versucht — mit viel
Fleiß und Geschick — eine Kritik seiner dichterischen Qualitäten.
Salkind betont zwar in seiner Vorrede, daß er auf das Ver¬
hältnis Arthur Schnitzlers zu den verschiedenen Schulen und
Dichtern keine vorwiegende Rücksicht nehmen konnte, es muß
aber anerkannt werden, daß er trotzdem, nach den Zusammen¬
hängen sucht, die zwischen den Werken Schnitzlers einerseits
und Ibsens, Wildes und der Franzosen andererseits bestehen,
und zu zeigen bemüht ist, wie weit es Schnitzler gelungen ist,
auf dem bereits vorgezeichneten Wege vorzudringen. Nach einer
allgemein gehaltenen Würdigung der literarischen Persönlichkeit
Schnitzlers — ein wenig biographisches Material wäre bei
einer zweiten Auflage nachzutragen — teilt Salkind in Kürze
den Inhalt der meisten dramatischen und novellistischen Arbeiten
des Dichters mit und läßt jeder Inhaltsangabe eine Be¬
sprechung der Vorzüge und Schwächen des Werkes folgen,
wobei er allerdings — ein Vorrecht begeisterungsfähiger
Jugend — lieber bei den Vorzügen als bei den Schwächen
verweilt. Besonders glücklich sind die Lieblingsgestalten
Schnitzlers gezeichnet, wie sie in seinen Werken immer wieder¬
kehren. Das Buch Salkinds entspricht einem literarischen Be¬
dürfnisse und wird sicherlich seinen Zweck erfüllen, indem es
zum Verständnis eines der markantesten Wiener Dichter
mancherlei beiträgt.
2. Cuttings
Impresstonist. Eine Buchkritik, die so mustergiltig ist, daß sie über
jedes Buch geschrieben werden könnte, befaßt sich in der „Zeitf mit
Arthur Schnitzlers neuen Novellen: „ man kann aus ihnen allen die
interessante Wendung konstatieren, die Schnitzlers Entwicklung genommen
hat Schnitzlers Streben geht dahin, die Spannungen auf eine edie Weise
zu erhöhen. Zugleich, oder eben deshalb, sehen wir ihn bemüht, mensch¬
liche Schicksale aus tiefer gelegenen Quellen hervorströmen, menschliche
Charaktere aus verborgenen Wurzeln aufwachsen zu lassen. Er geht jetzt
in allen seinen Werken über die gemeine Logik hinaus, strebt einer
höheren, geheimnisvollen Gesetzmäßigkeit zu, die über aller Singen ist,
deren Sinn und Polge wir nur ahnen und an deren verschlossene Pforten
wir nur tasten. Was diese neuen Novellen sonst noch auszeichnet, ist..
diese vollkommen reine Form, in deren Linien sich etwas von dem per¬
sönlichen Wert Schnitzlers, von seinem tiefen, durch und durch dichteri¬
schen Atemn mitzuteilen echeint s Sehr fein erkannt ist es, daß sich in
der Form eines Kunstwerks etwas von dem persönlichen Wert eines“
Dichters mittellt. Da- der Kritiker selbst nichts darüber mitteilt, erhöht
auch er die Spannungen auf eine edle Weise. Es ist dann Sacht des
Lesers der Novellen, den Autor von anderen Autoren zu unterscheiden
und seinen persönlichen Wert zu bestimmen.
(Wien undArthur Schnitzler.! Wien hat vor
#gchtäge einen begeisterlen Fürsprecher gefunden, und
zuhr einen Propheten, der nicht bloß in seinem Vaterland
etwas gilt. Es waren zugleich Worte der Abwehr, die Werner
Sombart — denn kein geringerer als er fühlte sich gedrängt,
Ifür Wien eine Lanze zu brechen — gegenüber einigen nord¬
deutschen Schriftstellern gebrauchte, die mit kühler Ueberlegen¬
heit von der Höhe der — Siegesallee auf unseren „Steffel“
herabschauen zu können glaubten. Selten hat ein Wiener so
begeistert das Lob Wiens gesungen wie der berühmte deutsche
Nationalökonom, und mancher Wiener mag bei der Lektüre
des Sombartschen Artikels erstannt um sich geblickt haben, ob
ihm denn wirklich in einer so wundervollen Welt zu
leben vergönnt sei, wie sie hier von keinem
Dichter, sondern von einem Nationalökonom, dem
allerdings das warme Herz eines Poeten in der Brust schlägt,
geschildert wird. Denn ein echter Wiener bedarf erst der beim
„Heurigen“ zum Ausschank gelangenden Duliäh=Stimmung,
um von Wien, seinen Auen und Frauen zu schwärmen. Und
wie der Wiener Kultur und Natur, so ergeht es auch seinen
Dichtern. Manche von ihnen sind in Deutschland zu Ruhm
und Ansehen gelangt, während in Wien sich keine Bühne
findet, die ihre Werke aufführt, und Arthur Schnitzler, der
draußen im Reiche ungleich höher gewertet wird als bei uns,
mußte mit einem Schauspiel, das von berufener Seite als
eine der bedeutendsten dramatischen. Dichtungen der letzten zwei
Jahrzehnte bezeichnet wurde, mit dem „Schleier der Beatrice“.
nach Breslau wandern, um dort dessen Bühnen¬
wirkung auszuproben. Es darf daher als einiger¬
maßen verwunderlich bezeichnet werden, daß die ersto
Monographie über Schnitzler von einem Wiener Schriftsteller
herrührt. Alexander Salkind hat eben bei Wigand in
Berlin=Leipzig eine „Kritische Studie über die hervorragendsten
Werke Arthur Schnitzlers“ erscheinen lassen. Die 130 Seiten
starke Broschüre bespricht in ausführlicher Weise die in Buch¬
form erschienenen Werke Schnitzlers und versucht — mit viel
Fleiß und Geschick — eine Kritik seiner dichterischen Qualitäten.
Salkind betont zwar in seiner Vorrede, daß er auf das Ver¬
hältnis Arthur Schnitzlers zu den verschiedenen Schulen und
Dichtern keine vorwiegende Rücksicht nehmen konnte, es muß
aber anerkannt werden, daß er trotzdem, nach den Zusammen¬
hängen sucht, die zwischen den Werken Schnitzlers einerseits
und Ibsens, Wildes und der Franzosen andererseits bestehen,
und zu zeigen bemüht ist, wie weit es Schnitzler gelungen ist,
auf dem bereits vorgezeichneten Wege vorzudringen. Nach einer
allgemein gehaltenen Würdigung der literarischen Persönlichkeit
Schnitzlers — ein wenig biographisches Material wäre bei
einer zweiten Auflage nachzutragen — teilt Salkind in Kürze
den Inhalt der meisten dramatischen und novellistischen Arbeiten
des Dichters mit und läßt jeder Inhaltsangabe eine Be¬
sprechung der Vorzüge und Schwächen des Werkes folgen,
wobei er allerdings — ein Vorrecht begeisterungsfähiger
Jugend — lieber bei den Vorzügen als bei den Schwächen
verweilt. Besonders glücklich sind die Lieblingsgestalten
Schnitzlers gezeichnet, wie sie in seinen Werken immer wieder¬
kehren. Das Buch Salkinds entspricht einem literarischen Be¬
dürfnisse und wird sicherlich seinen Zweck erfüllen, indem es
zum Verständnis eines der markantesten Wiener Dichter
mancherlei beiträgt.