VII, Verschiedenes 2, 50ster Geburtstag, Seite 20

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1. 5oth Birthdav
Klose & Seidel
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Zeitung: Dresdner Anzeiger
Dresden
Ort:
asssstasessesen
Datum:
14.Mai
Literatur
Zum 50. Geburtstag von Arthur Schnitzler. Der
älteste der Dichter, die uns der gute Jahrgang 1861 be¬
scherte, Arthur Schnitzler, vollendet am Mittwoch das
fünfzigste Lebensjahr. Seit der junge Wiener Arzt 1893
seinen melancholisch=leichtsinnigen Anatol durch die sieben
Einakter seines Junggesellenlebens führte, „frühgereift
und zart und traurig“, die halben Empfindungen festzu¬
halten wußte und für einfachstes Geschehen die zart an¬
deutende, wie von einem lyrischen Unterton getragene
und doch scharfe Anmut seiner Sprache formte, gilt er in
seiner Heimat und bei uns draußen im Reich als einer
der führenden Vertreter des österreichischen Schrifttums.
Und wie in symbolischer Handlung gab sein Landsmann
Hugo v. Hofmannsthal sein reizvoll spielendes Ein¬
leitungsgedicht dem Anatol auf den Weg. Schnitzler, der
Sohn des Wiener Laryngologen Professor Johann Schnitz¬
ler, war damals mit 31 Jahren Assistent an der Wiener
Poliklinik. Er hatte die Universität seiner Vaterstadt be¬
sucht und war dann Sekundärarzt im Allgemeinen
Krankenhause geworden. Seitdem lebt er zugleich seinem
literarischen Schaffen und der ärztlichen Praxis. Der
Mann, der im Leben steht, überall das Leid sieht und
überall helfen will, nicht einer, der am Schreibtisch
literarische Probleme erklügelt — so steht Schnitzler vor
uns. Österreicher ist er mit der schwermütigen Liebens¬
würdigkeit seines Wesens, seiner gedämpften geistreichen
Heiterkeit. In Wien, von kurzen Abstechern abgesehen,
spielen seine Werke, von denen wir nur nennen: Liebelei,
Der grüne Kakadn, Leutnant Gustl, Der einsame Weg,
Das weite Land, Der junge Medardus.
tentlienangabe ohne Gewühr.
ueschnitt aus:
eesen Zeitung, Berlin
genausgabe
m.I4 MAl 1912
Kunst und Wissenschaft.
Der älteste der Dichter, die uns der gute Jahr¬
gang 1861 bescherte, Arthur Schnitzler, vollendet
Seit der junge
morgen das fünszig
Wiener Arzt 1893 seinen melanchonhisinnigen
Anatol durch die sieben Einakter seines Junggesellen¬
„frühgereift und zart und traurig“
lebens führte,
wußte!
die halben Empfindungen festzuhalten
für einsachstes Geschehen die zart an¬
und
deutende, wie von einem lyrischen Unterton
getragene und doch so pikante Anmut seiner
Sprache formte, gili er in seiner Heimat und bei)
uns draußen im Reich als einer der führenden Verz
treter des österreichischen Schrifttums. Und wie i
symbolischer Handlung gab sein Landsmann Hugo
von Hofmannsthal sein reizvoll spielendes Einleitungs= K.
gedicht dem „Anatol“ auf den Weg. Schnitzler —
einunddreißigjährig — war damals Assistent an der
Wiener Poliklinik. Der Sohn des Wiener Laryn¬
gologen Prof. Johann Schnitzler, besuchte er die
Universität seiner Vaterstadt und wurde dann Sekun¬
därarzt im Allgemeinen Krankenhause. Seitdem lebt
er nicht nur seinem literarischen Schaffen, sondern
auch der ärztlichen Praxis. Der Mann, der ##
Leben steht, überall das Leid sieht und überall helfen
will, nicht einer, der am Schreibtisch literarische Pro¬
bleme erklügelt — so steht Schnitzler vor uns, Oester¬
reicher ist er mit der schwermütigen Liebenswürdigkeit
seines Wesens, seiner gebämpften geistreichen Heiter¬
keit. In Wien, von kurzen Abstechern abgesehen,
spielt sein Schaffen. Aber er ist kein Stockwiener:
Sein Drama vom jungen Medardus ist voll des ironi¬
schen Hohnes über die Wiener von 1809, denen die Be¬
lagerung Wiens nur eine Gandi ist, während ihre Kinders
drüben bei Aspern fallen. Ueber Oesterreich hinaus
führte ihn gleich der Erfolg seines „Anatol“ — „Das
liebe süße Mädl“ dem Fontaue bereits den Platz ims
Roman gesichert hatte, eroberte sich nun von der#
Bühne die Herzen. In diesen Jahren blieb Schnitzler
dabei, in Gesellschaftsstücken von leicht Ibsenscher For¬
mung der Thesen eine ironische Kritik des österreichischen
Wesens zu üben. Die Schauspiele „Das Märchen",
„Liebelei“ und „Freiwild“ gehören hierher, später etwa
noch die „Lebendigen Stunden“. Als Erzähler trat
er in der minutiös zeichnenden Novelle, die das
Sterben eines Schwindsüchtigen schildert, in der
„Frau des Weisen“, dann in zwei Arbeiten voll
köstlich ironischer Grazie und bitter herben Leichtsinns,
der „Frau Bertha Garlan und dem „Leutnant
Gustl“ hervor. Schnitzler aber, wie er sich den
Vierzigern näherte, wollte mehr sein als der beste
Oesterreicher. Er schrieb das historische Kabinettstück
aus der Revolution „Der grüne Kakadu“, dann einen
vielleicht nur halbgelungenen Versuch auf dem Gebiete des
Stildramas, den „Schleier der Beatrice“ Seine
Menschendarstellung vertieft sich, dunkle Schicksale
reizen ihn zur Gestaltung, sein Skeptizismus, nur er¬
träglich bei einem Mann von so weicher Empfindsam¬
keit, steigert sich. 1904 erschien das Meisterwerk „Der
einsame Weg“. Von ähnlicher Haltung folgt das
Schauspiel „Der Ruf des Lebens“. Und Schnitzler,
der in der etwas gequälten Harmlosigkeit seiner
Puppenspiele sich das Marionettenkleid umgetan
hatte, läßt in den Novellen „Dämmerseelen“ Schicksale
aus dunklen Quellen rinnen und hat vor allem in
seinem großen Wiener Zeitroman vor der unerbittlichen
Logik des Lebens sich gebeugt, wenn er seinen aristo¬
kratischen Musiker nur über das Schicksal der Ge¬
liebten hinweg den „Weg ins Freie“ finden läßt.
Als Künstler, und nur als solcher, der die düsteren
Farben liebt und vor allem die schwerblütige Ironie,
tritt er, der Jude, der Indenfrage gegenüber, voll
trüber Ahnung von „dieses Volkes geheimnisvollem
Los“. Die großzügig ausgreifende Historie vom jungen
Medardus, den ein Weib zum Narren seines
Schicksals macht, und die Tragikomödie vom Weiten
Lund“, die in die Sphäre des Einsamen Weges“
zurückführt, sind die letzten Werke des Fünfzigers,
dessen innerer Reichtum, dessen seine Meisterschaft noch
lange nicht erschöpft scheint. Dem alternden Schnitzler
aber möge die tranrige Wahrheit erspart bleiben, die
eine seiner Meisterfiguren, der unglückliche Lebens¬
künstler Stefan von Sala im „Einsamen Wege“,
machen muß, wenn er die Höhe des Lebens über¬
schritten hat: „Wenn uns ein Zug von Bacchanten
begleitet, den Weg hinab gehen wir alle allein.
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