VII, Verschiedenes 2, 50ster Geburtstag, Seite 31

1. 50th Birthday
ziselierte Novellen und dann den Roman
„Der Weg ins Freie“
Alles was das Leben an Schmerzen in
Bereitschaft hat, das einsame Alter, die Ein¬
samkeit zu zweit, die Jugend, die vorüber¬
die
geht auf leisen, heimlich lächelnden Sohlen,
zlich
während drin ein alter kranker Vater seine
dem
junge Tochter, die voller Sehnsucht
dem
hinaushorcht in des Lebens Frühling, mit
das
seinen dürren Armen und hämischen Worten
ein
an seinen Krankenstuhl zwingt; die Frau, die
sieht, wie ihres Mannes Herz ihr entgleitet:
inen
der Mann, der vor seiner Frau einen andern
kens
knieen sieht und lautlos die Türe schließt;
ver¬
der Sterbende, der jeden Tag von neuem
Alter
mit dem Morgenlicht die Erkenntnis trinkt,
Ver¬
daß jenseits des Sommers der Tod auf ihn
seines
wartet mit weit geöffneten Armen, denen er
eben.
nicht entgehen kann, und der Jugend und
inne¬
Liebe und das lachende Leben lassen muß,
male
nach dieser kurzen Frist, all das hat er in
egten
wundersamer Eindringlichkeit gestaltet.
Aber unsere Seele ist ein weites Land.
Perke,
„Alles hat darin Raum: Treue und Untreue,
seines
Liebe und Haß. . .“ und das einfache Lied,
glei¬
das primitive, einstimmige lockte ihn nicht
wie
mehr, die Symphonie der Töne, die Poly¬
phonie der Gedanken und Gefühle, die auf¬
ngen
und niederwallen, die aus dunklen unbekann¬
ten Tiefen emporstreben zum Licht, denen
tstag
horchte er nach. Der Sehnsucht, die Leid sein
kann, müdes, wehmütiges Leid und die zum
die
Leben emporblüht, zur Tat wächst. Die Ma¬
Leben
jestät des Todes, vor deren gewaltigem Myste¬
eines
rium Leid und Mißgunst, Haß und Rache
lauf¬
verstummen, so klein ist alles geworden, das
atiert.
uns groß schien, wünschens= und erstrebens¬
mit
wert, dem unsere Gedanken gegolten und
geist¬
unser Fühlen, so arm, so erbärmlich vor
spräch
dem weiten Flügelrauschen einer fremden
fipfin¬
dunklen Welt.
von
Ueber die Formen des Lebens spricht er,
kon¬
die kein Teil haben an unserem Empfinden
hn in
und zu wesenlosen Masken erstarren. „Es
hrend
gibt weder Freude noch Schmerzen, nein es
klam¬
gibt nur Grimassen der Lust und der Trauer,
dann
wir lachen und weinen und laden unsere
neues
erfein] Seele dazu ein.
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Jedes seiner Bücher sieht uns mit dunkeln
Augen an.
Was ist das Leben? Kraftenfaltung, Da¬
seinsfreude, Wille zur Erhaltung, Trieb zum
Fortleben in späteren Geschlechtern. Ein
ewiger Kreislauf; ein ewiges Werden und
Vergehen, ein ewiges Blühen und Ver¬
blühen, ein ewiges Kommen und Gehen,
Erstehen und Sterben. Und in der kurzen
Zeit unserer Erdenpilgerschaft, die wir un¬
gewollt antreten und verzweifelt verlassen,
spiegelt sich die Welt. Wir bauen sie immer
von neuem auf und immer von neuem wird
sie zerstört. Sie spiegelt sich in Millionen
Gläsern, in Millionen Farben nd Nuancen
nud doch wollten wir etwas Gemeinsames
schaffen und es entstanden: Begriffe, Worte,
Werte.
Das Leben pulst, die Herzen klopfen, die
Seele träumt und die Sinne wünschen, die
Sonne lächelt und die Dämmerung lockt...
und wir haben Gewichte und Maßstäbe und
wiegen und messen ....
Was ist das Leben? Eine Durchgangs¬
station sagen die Gläubigen, das All, das
Einzige die andern; eine Lebensstufe, eine
Lebensform die Denker.
Und trotzdem ist das Leben des Einzelnen
die ganze Welt, mit all ihrem Leid, mit all
ihrem Glück, mit allen Freuden, allen Ent¬
täuschungen, allen Schmerzen, allem Weh,
aller Einsamkeit, aller Verzweiflung. „Und
wieder sind es Begriffe, die uns martern,
Worte, die uns aufrichten, Werte, die uns
führen.“ Und doch ist nichts, das gewiß
wäre.“
An allem rütteln wir, alles betasten wir,
nichts ist uns mehr heilig. Der Vorstand, der
Felsenschlösser,
aufgebaut: Riesenpaläste,
Türme, Kirchen, er reißt auch nieder. Dort
nimmt er die Krone und zerpflückt sie und
hier das Postament und alles wankt und
alles stürzt ..
In unserer Brust wohnt der dunkle Zwie¬
spalt. Das ist die moderne Erbsünde, der
hohe Flug der Gedanken und Wünsche und
ererbte Vorurteile von Pflicht und Sitte
und Recht, die sich wie Bleigewichte an die
Flügel hängen und sie vor der Zeit lahm¬
legen. Die wundersame Kultur von Jahr¬
tausenden, die den subtilen Begriff: Seele
geschaffen und die Natur, die immer von
neuem erblüht, von neuem ersteht, kraftvoll¬
und mächtig alles unter ihre Herrschaft beu¬
gend. Und überall dicht beieinander das Gute¬
und Böse, keine Farbenkonstraste, sondern ein
Ineinanderspielen, Ineinandergleiten:. Das
Leben lockt und der Tod gebietet. Und
zwischen diesen beiden Mächten von un¬
geheuer magnetischer Kraft steht der schwan¬
kende Mensch und darf nicht irren... Und
in dieser dunklen Welt spielt alles, was
Schnitzler schreibt. Zwischen dem Erleben
und dem Denken ist kein Wert-, nur ein
Gradunterschied. „Sein, spielen ken¬
nen Sie den Unterschied so genau, Che¬
valier?“
In jenem kleinen Stück Paracelsus will
der gerade unkomplizierte Waffenschmied
Cyprian nicht an Paracelsus Zauberkünste
glauben. Und dieser hypnotisiert des Waffen¬
schmiedes schöne junge Frau und sie gesteht!
eine nie begangene Schuld, und wie sie dann
erwacht, bleibt Cyprian voller Zweifel, als
Paracelsus ihm sagt:
Es war ein Spiel! Was sollt es anders sein?
Was ist nicht Spiel, was wir auf Erden treiben,
Und schien es noch so groß und tief zu sein!
Mit wilden Söldnerscharen spielt der eine,
Ein anderer spielt mit tollen Abergläubischen.
Vielleicht mit Sonnen, Sternen irgend wer¬
Mit Menschenseelen spiele ich. Ein Sinnz
Wird nur von dem gefunden, der ihn sucht.
Es fließen ineinander Traum und Wachen,
Wahrheit und Lüge. Sicherheit ist nirgends.
Wir wissen nichts von andern, nichts von uns,
Wir spielen immer, wer es weiß, ist klug.
Arthur Schnitzler ist einer der reichsten,
tiefsten, wundersamsten Dichter, die wir
haben. Eine merkwürdige Welt hat er vor
unseren Augen aufgebaut. Von der Seele
weitem Land erobert er einen Bezirk nach
dem andern mit seinem weiten Feldherrn¬
blick, mit seiner feinen Künstlerhand, mit
seiner Seele wundersamem Ahnen ..
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