VII, Verschiedenes 2, 50ster Geburtstag, Seite 34

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1. 50th Birthday
Klose & Seidel
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Zeitung:—
Halle
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Datum: —
T O.Malaw
Arthur Schnitzler.
(Zu seinem 50. Geburtstag: 15. Mai.
Das Alte, das Würdige und das Vergangene werden in
Deutschland mit mehr Liebe behandelt als das Neue, Auf¬
strebende. Der hundertste Geburtstag von längst verstorbenen
Dichtern, die für die heutige Literatur völlig belanglos sind,
wird eher gefeiert als der Geburtstag von führenden
Lebenden.
Heute aber feiert ganz Deutschland und ganz Oesterreich
den Wiener Arthur Schnitzler, der niemals mit Re¬
klame und Efsekten gearbeitet hat. Die allgemeine Aner¬
kennung, die sich in Hunderten von Aufführungen äußert,
die heute und morgen in allen Teilen Deutschlands und
Oesterreichs zu Ehren Schnitzlers veranstaltet werden, hat
der Dichter nur seinem Schaffen zu verdanken.
Schnitzler ist als der Sohn eines angesehenen und wohl¬
begüterten Vaters in Wien geboren. Dem Wohlleben der
Familie ist es wohl auch zuzuschreiben, daß sich die Begabung
des jungen Dichters anfangs auf Themata, Sujets und Ge¬
danken legte, die viele nicht als voll nahmen und nehmen.
Seine ersten Novellen und seine ersten dramatischen Arbeiten
sind leicht und graziös, spielend, auf der Oberfläche schwim¬
mend. Liebesgetändel, manchmal in spöttischem Ton, manch¬
mal mit sentimentalem Einschlag, Gesellschaftsdialoge, Zeit¬
vertreibereien junger Dandys, das sind die ersten Dinge, mit !
denen sich Schnitzler schriftstellerisch beschäftigte. In der Art
der Dramatik wie in der der Erzählung allerdings ist
Schnitzler von Ansang an Meister. Da ist er Hermann Bahr
über und Raoul Auernheimer. Sein Lächeln und sein Spott
sind so natürlich, so wenig konstruiert, als seien sie aus sich
selbst heraus gewachsen. Kein Wunder, daß ihm die Burgeosie
und auch die Feiner=Organisierten zujubelten. Endlich war
der Dichter gekommen, der die Oberfläche des Lebens, der
gewisse Symptome unserer Zeit restlos erschöpfte, künstlerisch
veredelte, der an niedrigem Streisendes dramatisch behandelte,
ohne banal oder gar gemein zu werden. Schnitzlers „Anatol“
zog triumphierend über ganz Deutschland. Heute noch be¬
hagen die Szenen manchem mehr als alles, was die Moderne
geschaffen.
Wie es bei Schnitzlers feiner Erzählung und treffsicherer
Dramatik nicht anders zu erwarten war, änderte sich des
Dichters Schaffen bald im Thema. Eine leichte Nesignation
1trat an die Stelle witzigen Spotts und wieder entstanden
Werke, die künstlerisch vollendet waren. Des Dichters Freunde
wuchsen. Die sich vor Jahren an der Leichtigkeit Schnitzlers
erfreut hatten, blieben ihm treu; Tausende kamen hinzu.
Schnitzlers Schaffen wurde zusehends ernster und tiefer.
Allerhand Probleme begannen ihn zu beschäftigen. Die Kunst
aber ist in seinen Dichtungen nach wie vor belangreicher als
das Problem. Seinen Höhepunkt hat Schnitzler vor wenigen
Jahren mit dem Roman „Der Weg ins Freie“ erreicht. Die
unwillig waren über Schnitzlers Leichtigkeit und Spottlust,
sahen sich angenehm getäuscht. Mit einem Ernst und einer!
Trauer schuf der Dichter einen Leidensroman, wie die deutsche
Literatur nur wenige besitzt. Den Antisemitismus packt der
Dichter mit einer Tiefe und einem Verständnis an, wie das
Thema zuvor noch nie behandelt wurde. Als Kunstwerk wird
der Roman von vielen als das vollendetste geschätzt, was ##i
reiche Romanliteratur der letzten Jahre hervorgebracht.
Schnitzler lebt als Arzt in Wien. Seine Dichtkunst ist
nicht sein Beruf. Er steht mitten im Leben und seine Er¬
fahrungen, das, was ihm in den Weg tritt, seine Gefühle,
sie bilden den Grundstock seiner Dichtung.
Mit Dank denken heute die vielen Tausende, denen
Schnitzler Anregung zur Vertiefung und Erholung gab, an
den Dichter.
Martin Reuchtwanger.