VII, Verschiedenes 2, 50ster Geburtstag, Seite 39

box 39/1
1. 5othBirthday
.
chnitt aus Unien (Früher Politik) Prag
I5MLse
+ Arthur Schnitzier, der Repräsentant des jun¬
gen-Wien, felert heute- seinen fünfzigsten Geburts¬
tag. Dieses Signum trifft zu, wenn man darunter
das literarische Wien der neunziger Jahre versteht.
Arthur Schnitzler ist entschieden die stärkste Per¬
sönlichkeit der Generation der jungen Wiener Dich¬
ter, die aus dem literarischen Chaos der neunziger
Jahre hervorging. Die ehemals jungen Dichter eind
inzwischen gealtert und das junge literarische Wien
blickt dergestalt heute auf einen fünfzigjährigen Be¬
stand zurück. Uebrigens tut Wien im Falle Schnitz¬
ler wenig zur Sache, denn Schnitzler hätte wohl sei¬
nen „Anatol“, den „Reigen“, „Liebelei“, den „Jungen
Medardus“, „Das welte Land“ und alle die übrigen
wrischen Kostbarkeiten u. Prosaditi##ungen ebenso
echt Schnitzlerisch in München, Frankfurt oder
Dinsgda geschrieben. Seine Gestalten haben eben,
abgesehen vom Milien und den unwesentlichen
Aeußerlichkeiten, nichts typisch Wienerisches, ihre
inneren Regungen, Zweifel und Schmerzen sind all¬
menschlich und werden daher überall dort heimisch,
wo gesittete Meuschen feiner Kulturen wohnen.
Ins Böhmische ist aus Schnitzler viel übersetzt
worden und seine dramatischen Arbeiten finden im
Nationaltheater stets ein verständnisvolles Puhli¬
Terry.
kum.
#unelienangebe ehne GewEl).
usschnitt aus: Wiener Mittags-Zeitung
15 MLISTE
Theater und Kunst.
Der Schnitzler-Tag.
Arthur Schnitzler ist heute wirklich 50 Jahre alt
geworden. Diese Stadt, mit deren innerster Eigenart er
verwachsen scheint, wie nur ein Dichter und ein großer
Dichter mit einem Milieu verwachsen kann, hat sich von
der anfänglichen Verwunderung über diese Tatsache bald
erholt und feiert nun dieses Datum mit einem wahren
Enthusiasmus. Und das hat seinen guten Grund. Denn
Schnitzler hat das Recht, gefeiert zu werden, er hätte sogar
das Recht, nicht nur von Theaterdirektoren, Schauspielern
und Feuillesonisten, er hätte das Recht, vom leibhaftigen
Volk selbst gesciert zu werden. Erst eine spätere Zeit wird
vielleicht erkennen, daß dieser Dichter chevaleresker Dinge, der
Sänger des undefinierbaren Airs des Salons, des lyrischen
Zaubers vornehm einsamer Villen, stiller, grüner Parke,
ein Volksdichter gewesen ist. Denn in seiner Kunst ist das
Typische des heutigen Wien und der heutigen Wiener
Menschen mit seltener Plastik inkarniert. Gestalten, die die
leibhaftige Wirklichkeit selbst nach dem Muster des Dichters,
seiner strahlenden Reproduktion, zu imitieren, gleichsam in
verbesserter Auflage zu wiederholen sich nicht gescheut hat. Da ist
das „süße Mädel“, jene liebe und unnachahmlich zarte Gestalt,
da ist der Don Juan der Jeunesse dorôe, unser Freund
Anatol, ein lyrischer Skeptiker, Liebesfiguren, wie im
Bilde mit den blauen Grinziuger Höhen und dem Silben
band der Donau als Rückprospekt, da sind die zermürbten
Puppenspieler, die im Kampf des Lebens Verbrauchie#,
Geknechtete und Gebrochene, Hasardeure eines Herrscher¬
wahns, die unheilbaren Kranken, zum Tod Verurteilte, die
in eine letzte Lebensszene wehes Glück und süße Qual
zusammenpressen, die sündigen Frauen mit der jähen und
wilden Kraft letzter Leidenschaften, die charakterschwachen
Männer, deren Zärtlichkeit, ein Rohr im Winde, schwankt,
die sich an Weib und Wahn verschenken, Welt und Wirklich¬
keit verspielend, dann wieder kühle und stolze Rechner und
Berechner des Lebens, dann die räsonnierenden Freunde,
kluge Charmeure der Liebe, die diskreten Kellner, die
reschen Fiaker, all das sind Figuren vom Wiener Grund.
Im edelsten Sinn. Aus dem innersten Erdreich dieser Stadt
geholt, mit ihren tiefsten Säften verwoben, aus ihrem.
rotesten Blute gespeist. Volksgestalten, fleischgeworden
Typen.
Und noch eines dankt ihm Wien heute. Er ist der
Schöpfer und zugleich der Bewahrer und Retter der Wiener
Poesie, vielmehr der sogenannten „wienerischen Note“ in der
Literatur. Es ist das die Poesie eines Milieus, die seither
oft Vorwurf für lästigen Kitsch geworden ist, die zage
Sentimentalität des blauen Wienerwaldes, der Duft abend.
licher Praterstunden, Fliederblüten, Kastaniendolden und
Geigenklang, Heurigenseligkeit, der Traum vom „süßen
Mädel“ und das Geleier der Werkelmänner. Schnitzler hat
all das unvergänglich gemacht. In ein kühles und klares,
aber echtes Pathos gebracht. Klar und kühl ist er immer
gewesen. Mit den ebenmäßigsten, sanftesten Mitteln, dabei
ein Dichter des Rausches, der Exaltation, ein Sänger von
Glut und Glanz, wenn auch die Leidenschaften seiner
Metschen oft gezähmte sind. Güte und Bitterkeit vermählen
ig in ihm, Tragödie und Komödie verschränken sich, durch¬
hlehen sich. Immer ist er Tragiker, seine Komödien sind
stets irgendwie gepreßt, unfrei im spöttischen Ton, über¬
sirömt von schwerer Ahnung, seine Tragödien, nie frei
von einem weisen, wehen Humor.
So spiegelt seine Kunst vielsästig die Vielfältigkeit
des Lebens. Nie aber uneins, nie zerrissen und nie ver¬
zerrt. Auch der Humorist Schnitzler hat immer das Verstehen
der wirklich großen Dinge gekannt, die edle Hoheit großer
und klassischer Leidenschaften. Man könnte aus ihm viel
herausanalysieren, vieles, was seine Dichtung in iher ge¬
dämpften Noblesse, ihrer zarten, aber bestimmten Kontur
bedingt. Die Wehmut und Melancholie des Juden, das
Schönheitsverständnis und die weiche Zärtlichkeit des #
U
Ni
—fühle ##