1. 50thBirthdar
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e
von
Dichter mit einem Milieu verwachsen kann, hat sich
bald
der anfänglichen Verwunderung über diese Tatsache
erholt und feiert nun dieses Datum mit einem wahren
Enthusiasmus. Und das hat seinen guten Grund. Denn
Schnitzler hat das Recht, gefeiert zu werden, er hätte sogar
das Recht, nicht nur von Theaterdirektoren, Schauspielern.
und Feuilletonisten, er hätte das Recht, vom leibhaftigen
Volk selbst gesciert zu werden. Erst eine spätere Zeit wird
vielleicht erkennen, daß dieser Dichter chevaleresker Dinge, der
Sänger des undefinierbaren Airs des Salons, des lyrischen
Zaubers vornehm einsamer Villen, stiller, grüner Parke,
ein Volksdichter gewesen ist. Denn in seiner Kunst ist das
Typische des heutigen Wien und der heutigen Wiener
Menschen mit seltener Plastik inkarniert. Gestalten, die die
leibhaftige Wirklichkeit selbst nach dem Muster des Dichters,
seiner strahlenden Reproduktion, zu imitieren, gleichsam in
verbesserter Auflage zu wiederholen sich nicht gescheut hat. Da ist
das „süße Mädel“, jene liebe und unnachahmlich zarte Gestalt,
da ist der Don Juan der Jeunesse dorôe, unser Freundz
Anatol, ein lyrischer Skeptiker, Liebesfiguren, wie im
Bilde mit den blauen Grinzinger Höhen und dem Silber
band der Donau als Rückprospekt, da sind die zermürbich
Puppenspieler, die im Kampf des Lebens Verbrauchieh,
Geknechtete und Gebrochene, Hasardeure eines Herrscher¬
wahns, die unheilbaren Kranken, zum Tod Verurteilte, die
in eine letzte Lebensszene wehes Glück und süße Qual
zusammenpressen, die sündigen Frauen mit der jähen und
wilden Kraft letzter Leidenschaften, die charakterschwachen
Männer, deren Zärtlichkeit, ein Rohr im Winde, schwankt,
die sich an Weib und Wahn verschenken, Welt und Wirklich¬
keit verspielend, dann wieder kühle und stolze Rechner und
Berechner des Lebens, dann die räsonnierenden Freunde,
kluge Charmeure der Liebe, die diskreten Kellner, die
reschen Fiaker, all das sind Figuren vom Wiener Grund.
Im edelsten Sinn. Aus dem innersten Erdreich dieser Stadt
geholt, mit ihren tiessten Säften verwoben, aus ihrem
rotesten Blute gespeist. Volksgestalten, fleischgewordene
Typen
—
Und noch eines dankt ihm Wien heute. Er ist der
Schöpfer und zugleich der Bewahrer und Retter der Wiener
Poesie, vielmehr der sogenannten „wienerischen Note“ in der
Literatur. Es ist das die Poesie eines Milieus, die seither
zage
oft Vorwurf für lästigen Kitsch geworden ist, die
Sentimentalität des blauen Wienerwaldes, der Duft abend¬
licher Praterstunden, Fliederblüten, Kastaniendolden und
Geigenklang, Heurigenseligkeit, der Traum vom „süßen
Mädel“ und das Geleier der Werkelmänner. Schnitzler hat
all das unvergänglich gemacht. In ein kühles und klares,
aber echtes Pathos gebracht. Klar und kühl ist er immer
gewesen. Mit den ebenmäßigsten, sanftesten Mitteln, daber
ein Dichter des Rausches, der Exaltation, ein Sänger von
Glut und Glanz, wenn auch die Leidenschaften seiner
Metzschen oft gezähmte sind. Güte und Bitterkeit vermählen
sig in ihm, Tragödie und Komödie verschränken sich, durch¬
ehen sich. Immer ist er Tragiker, seine Komödien sind
stets irgendwie gepreßt, unfrei im spöttischen Ton, über¬
strömt von schwerer Ahnung, feine Tragödien, nie frei
von einem weisen, wehen Humor.
So spiegelt seine Kunst vielsäftig die Vielfältigkeit
des Lebens. Nie aber uneins, nie zerrissen und nie ver¬
zerrt. Auch der Humorist Schnitzler hat immer das Verstehen
der wirklich großen Dinge gekannt, die edle Hoheit großer
und klassischer Leidenschaften. Man könnte aus ihm viel
herausanalysieren, vieles, was seine Dichtung in iher ge¬
hämpften Noblesse, ihrer zarten, aber bestimmten Kontur
bedingt. Die Wehmut und Melancholie des Juden, das
Schönheitsverständnis und die weiche Zärtlichkeit des
Wieners, die kühle Logik des Arztes, der traurig, aber
sachlich die Diagnose stellt. Schnitzler hat seine Probleme
im Beginn in viel kleinere, engere Formen gepreßt, seine
natürliche Schüchternheit verlor sich im Spielerischen, im
anmutigen Bogen schöner Linien. Langsam und unver¬
sehens nur ist seine Kunst aus der Betrachtung amoureuser
Wiener Geschmeidigkeit, aus paradoxen und aphoristischen
Schilderungen Spiegel der Welt geworden. Den fertigen
wie den keimenden Dichter feiert man in diesen Tagen mit
viel, mit sehr viel Liebe. Nirgends wird dieser Festjubel so
herzlich sein als hier. Wien, das oft einen geoßen Sohn
zu verkennen geneigt, ist, umgibt diesmal seinen
zigenstenDichrer mit rauschender Liebe.
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von
Dichter mit einem Milieu verwachsen kann, hat sich
bald
der anfänglichen Verwunderung über diese Tatsache
erholt und feiert nun dieses Datum mit einem wahren
Enthusiasmus. Und das hat seinen guten Grund. Denn
Schnitzler hat das Recht, gefeiert zu werden, er hätte sogar
das Recht, nicht nur von Theaterdirektoren, Schauspielern.
und Feuilletonisten, er hätte das Recht, vom leibhaftigen
Volk selbst gesciert zu werden. Erst eine spätere Zeit wird
vielleicht erkennen, daß dieser Dichter chevaleresker Dinge, der
Sänger des undefinierbaren Airs des Salons, des lyrischen
Zaubers vornehm einsamer Villen, stiller, grüner Parke,
ein Volksdichter gewesen ist. Denn in seiner Kunst ist das
Typische des heutigen Wien und der heutigen Wiener
Menschen mit seltener Plastik inkarniert. Gestalten, die die
leibhaftige Wirklichkeit selbst nach dem Muster des Dichters,
seiner strahlenden Reproduktion, zu imitieren, gleichsam in
verbesserter Auflage zu wiederholen sich nicht gescheut hat. Da ist
das „süße Mädel“, jene liebe und unnachahmlich zarte Gestalt,
da ist der Don Juan der Jeunesse dorôe, unser Freundz
Anatol, ein lyrischer Skeptiker, Liebesfiguren, wie im
Bilde mit den blauen Grinzinger Höhen und dem Silber
band der Donau als Rückprospekt, da sind die zermürbich
Puppenspieler, die im Kampf des Lebens Verbrauchieh,
Geknechtete und Gebrochene, Hasardeure eines Herrscher¬
wahns, die unheilbaren Kranken, zum Tod Verurteilte, die
in eine letzte Lebensszene wehes Glück und süße Qual
zusammenpressen, die sündigen Frauen mit der jähen und
wilden Kraft letzter Leidenschaften, die charakterschwachen
Männer, deren Zärtlichkeit, ein Rohr im Winde, schwankt,
die sich an Weib und Wahn verschenken, Welt und Wirklich¬
keit verspielend, dann wieder kühle und stolze Rechner und
Berechner des Lebens, dann die räsonnierenden Freunde,
kluge Charmeure der Liebe, die diskreten Kellner, die
reschen Fiaker, all das sind Figuren vom Wiener Grund.
Im edelsten Sinn. Aus dem innersten Erdreich dieser Stadt
geholt, mit ihren tiessten Säften verwoben, aus ihrem
rotesten Blute gespeist. Volksgestalten, fleischgewordene
Typen
—
Und noch eines dankt ihm Wien heute. Er ist der
Schöpfer und zugleich der Bewahrer und Retter der Wiener
Poesie, vielmehr der sogenannten „wienerischen Note“ in der
Literatur. Es ist das die Poesie eines Milieus, die seither
zage
oft Vorwurf für lästigen Kitsch geworden ist, die
Sentimentalität des blauen Wienerwaldes, der Duft abend¬
licher Praterstunden, Fliederblüten, Kastaniendolden und
Geigenklang, Heurigenseligkeit, der Traum vom „süßen
Mädel“ und das Geleier der Werkelmänner. Schnitzler hat
all das unvergänglich gemacht. In ein kühles und klares,
aber echtes Pathos gebracht. Klar und kühl ist er immer
gewesen. Mit den ebenmäßigsten, sanftesten Mitteln, daber
ein Dichter des Rausches, der Exaltation, ein Sänger von
Glut und Glanz, wenn auch die Leidenschaften seiner
Metzschen oft gezähmte sind. Güte und Bitterkeit vermählen
sig in ihm, Tragödie und Komödie verschränken sich, durch¬
ehen sich. Immer ist er Tragiker, seine Komödien sind
stets irgendwie gepreßt, unfrei im spöttischen Ton, über¬
strömt von schwerer Ahnung, feine Tragödien, nie frei
von einem weisen, wehen Humor.
So spiegelt seine Kunst vielsäftig die Vielfältigkeit
des Lebens. Nie aber uneins, nie zerrissen und nie ver¬
zerrt. Auch der Humorist Schnitzler hat immer das Verstehen
der wirklich großen Dinge gekannt, die edle Hoheit großer
und klassischer Leidenschaften. Man könnte aus ihm viel
herausanalysieren, vieles, was seine Dichtung in iher ge¬
hämpften Noblesse, ihrer zarten, aber bestimmten Kontur
bedingt. Die Wehmut und Melancholie des Juden, das
Schönheitsverständnis und die weiche Zärtlichkeit des
Wieners, die kühle Logik des Arztes, der traurig, aber
sachlich die Diagnose stellt. Schnitzler hat seine Probleme
im Beginn in viel kleinere, engere Formen gepreßt, seine
natürliche Schüchternheit verlor sich im Spielerischen, im
anmutigen Bogen schöner Linien. Langsam und unver¬
sehens nur ist seine Kunst aus der Betrachtung amoureuser
Wiener Geschmeidigkeit, aus paradoxen und aphoristischen
Schilderungen Spiegel der Welt geworden. Den fertigen
wie den keimenden Dichter feiert man in diesen Tagen mit
viel, mit sehr viel Liebe. Nirgends wird dieser Festjubel so
herzlich sein als hier. Wien, das oft einen geoßen Sohn
zu verkennen geneigt, ist, umgibt diesmal seinen
zigenstenDichrer mit rauschender Liebe.