VII, Verschiedenes 2, 50ster Geburtstag, Seite 46

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warlienanrabe ohne Gewähr.)
schnitt aus: Leipziger Abendzeitung, Leipzig
. MAl. 1512
B

die Scheinwelt des Salons die beklemmende Explo= getraut. Aus dem Komödischen kam Schnitzler zur ] hat er
Arthur Schnitzles—
sion einer rein menschlichen Katastrophe.
Tragödie, aus der Dichtung amoureuser Wiener Ge¬
fast nus
schmeidigkeit, der Betrachtung einer galant=an¬
künstler
Der innerste Wesenskern seiner Dichtung ist Tra¬
zum 15. Mallers fünfzigstem Geburtstag.
mutigen, leichtschürzig paradoxen und aphoristischen
Poesie
gik. Leid am Leben, Bitterkeit der Welt gegenüber.
Von Ludwig Ullmann (Wien).
Welt zu großen Rundbildern des Menschlichen.
amoure
Er hat freilich auch Komödien geschrieben. Aber die
Wohl sind große Symbole und Symptome, bezeich¬
gangen##
Man wird diesen feinen und stillen Dichter
gaben immer einen irgendwie zerbrochenen Klang,
nende Merkmale der ersten Jahre in diese neue und
„Heurig
einen gepreßten Ton eine mesquine und satirische
chevaleskerer Dinge, amüsanten gesellschaftlichen
duft, de
große Zeit Schnitzlers hinübergewachsen, so die immer
Scheins, des undefinierbaren Airs mondäner Salons,
Ueberspitzung des Witzes, eine Geberde der Komik,
kästen h
noch ein bißchen stilisierte Schwermut die überlegte
deren diskrete Schüchternheit immer etwas Trau¬
Des lyrischen Zaubers im Grün versunkener Villen,
Werk is
Positur der Melancholie und die Nachdenklichkeit,
riges an sich hat. Und umgekehrt blitzt durch seine
einsamer Parke einmal mit Necht für einen Volks¬
die Reflexion der Trauer, dann die Motive vom
Tragödien oft und oft der krasse, irisierende Strahl
dichter halten. Denn in seiner Dichtung ist das
Puppenspiel und vom Puppenspieler, von der Welt
scharfen Witzes. Denn die Spiegelung der Welt,
Typische des heutigen Wien und der heutigen Wiener
Zu
als Theater und den Heroen und Tragikern##te
die Schnitzler gibt, vereint alle ihre Seiten die
Menschen mit seltener Plastik gezeigt. Gestalten,
Marionetten. Nur daß alles dies sich zu tieferer
hellen wie die dunklen und vergißt nie, daß das
die die Wirklichkeit dem Dichter blaß und verschwim¬
Absicht wandelte, zu inneren, organisch bedingten
Leben selbst tragikomisch ist grausam und blas¬
mend vorgehalten und die sie seiner strahlenden Re¬
Tendenzen seiner Kunst. Aus dem Spiel der
phemisch tragikomisch. Nie freilich ist das Pathos
peoduktion dann oft und oft nachgezeichnet hat, in
Puppen wurde das Spiel des Schicksals, aus einer
der wirklich großen Dinge verzerrt, nie eine Linie
leichten, lustigen Imttationen. Da ist das „süße
Pointe voll sinnreicher Pikanterie eine elementarer
zur Karikatur verschoben.
Mädl“, die fesche und lebenslustige Wiener Grisette,
Angelpunkt rein menschlicher Dramen.
der Don Juan der Jeunesse dorec, der Lust auf den
Und mit den kühlsten und ebenmäßigsten Mitteln
Tod und Liebe stehen immer zu Beginn und am
Lippen und Weh im Herzen, melancholisch und senti¬
ist Schnitzler immer ein Sänger des Rausches ge¬
Ende seiner Werke. Aus ihrer Verquickung, ihrer
mental durch das Abendrot des herbstlichen Praters,
wesen, der Exaltation großer und heiliger Gluten
Parollelisierung, ihrem Spiel und Widerspiel wächst
über die frühlingsblauen Hänge des Wienerwalds
wie brennender Erotik Ohne in der Form extrem
jedes Schnitzlersche Werk. In der letzten Zeit oft
wandelt, die verschollenen und im Spiel des Lebens
zu werden. Im Gegenteil Als er Anfänger auf
bis zu grausig schöner Klarheit, zu Akkorden von
zerbrochenen Existenzen, wie der gescheiterte Puppen¬
der Ruhmesbahn war, hat die natürliche Schüchtern¬
reiner, starker, doch beklemmender Kraft. Immer
spieler in dem bitter höhntschen kleinen Einakter
heit seines Wesens oft und oft die Größe der Stoffe
wieder schöpft Schnitzler den Gehalt unbewußt oder
gleichen Namens, die unheilbar Kranken die in
und Probleme in kleine Formen gezwängt, sie spiele¬
bewußt letzter Stunden aus, die gesteigerte Intenst¬
einer letzten Lebensspanne wehmütigstes Glück und
risch, mit einer Note anmutiger Blasiertheit ge¬
tät einer letzten und leidenschaftlichsten Liebe, der
bittere Qual zusammenpressen, die sündigen Frauen
halten, fast skizzenhaft. Alle seine ersten Arbeiren
Ahnung vor dem Ende, des Spiels mit Dunkel und
mit der jähen und wilden Kraft letzter Leiden¬
sehen so aus. Der Zyklus des Anatol“ mit seiner
Ewigkeit.
schaften, die charakterschwachen Männer mit ihrem
Fülle von Geist und Grazie, die ersten Novellen und
Man könnte das Phänomen Schnitzler psycho¬
Hingegebensein an Weib und Wahn, die scharfen und
Dramen, „Leutnant Gustl“, die einstige Sensations¬
logisch zerlegen und fände mancherlei Componenten
harten Meister des Lebens, kühle und stolze Rechner
novelle,
die kinematographenartig effektvollen,
und Berechner, unter denen eine künstlerische
seiner Kunst: den Juden mit der orientalisch wehen!
moussierenden und ein wenig sentimentalen Szenen
Schwermut, den Mediziner mit der Vertrautheit mit
Titanenfigur aufragt, der Herr von Sala des „Ein¬
der „Liebelei“, die dunkle Koloristik des „Schleiers
unerbittlich letzten Dingen, der kühlen Traurigkeit
samen Wegs“, und dann die raisonierenden und
der Beatrice“. Um nur das Wichtigste zu nennen.
der Diagnose, den Wiener mit der lässigen Gebärde
betrachtenden Freunde, kluge Charmeure der Liebe,
Ein Letztes aber fehlt all diesen lieben und er¬
eines stilvollen Schönheitskults, den Philosophen
die diskreten Kellner, die biederen Fiaker usw. Alses
greifenden Werkchen ein letzter Zusammenschluß von
und Psychologen mit dem seelen= und nervendurch¬
Extrakte des täglichen Lebens einer leicht und lässig
Vorwurf und Ausführung, die überzeugende zwin¬
schauenden Blick mit der peinlich abwägenden Be¬
dahinlebenden Stadt, aus ihrem tiefsten Grunde ge¬
gende Geschlossenheit der Form wie des Gehalts.
urteilung sexueller Verwicklungen, abgerissen plötz¬
holt mit ihren tiefsten Säften verwoben, aus ihrem
Und langsam und still ist Schnitzlers Kunst dann
licher Taten, geistiger Dämmerstunden.
rofesten Blute gespeist. Volksgestalten, wenn auch
zur Reife gediehen, in einem steien, selbstsicheren
zum Teil aus einer höheren Schicht des Volkes ge¬
Geliebt hat man Schnitzler in Wien immer und
Fortschreiten. Eines Tages erwachte man über einem
holt. Ueberhaupt bedeutet dieses höhere Niveau
neuen Buche Schnitzlers und fand den großen
seiner Kunst im Stofflichen, ihr stilisierteres Milien
Kelteit e erschetch eltn. Ar
Dichter großer Menschlichkeiten. Denn wer hätte
keine Schädigung, am Ende gar Versüßlichung der
dem graziösen Zündler des „Anatol“ die Tiefe und
und sein heutiger Geburtstag wird mit viel Ge¬
Themen. Schnitzlers oft angefochtene Gesellschafts¬
Stille des „Einsamen Wegs“ die Problematik und
schäftigkeit gefeiert. Es wäre dazu viel zu lagen.
menschen, diese dlasierten Poseure einer hohlen
Denn Schnitzler hat diese Ehren verdient. Gerade
Weltphilosophie des „Weges ins Freie“, die virtuose
Welt des Flimmers sind doch die Geschöpfe eines
Gefühlsakrobatik und wundervolle Melancholie des
um Wien verdient. Wie seine Kunst eine Spiege¬
Dichters und eines großen Dichters In einer oft
lung und Vertiefung, eine dichterische Veredelung
Zwischenspiel“, die harte herbe Tragik des „Ruf des
unerquicklichen Atmosphäre der Konvention, in einer
des nervösen modernen Großstadtlebens überhaupt
Lebens“, die balladeske Differenziertheit des „Me¬
Verschlammung und Verwilderung des Rein=Mensch¬
ist, zugleich eine geistige Klärung und Beruhigung
dardus“ die oft groteste Kraft der Dramatik und
lichen zeigt er dieses umso leuchtender auch, fügt in 1 Psychologie, wie sie das „Weite Land“ bietet, zu= der Gegensätze und Verwicklungen dieses Milieus, so #