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1. 50th Birthday
Ischnltt aug:
18, Litterarische Eche, Berlin
15 JUNI 1912
XXXI, 4. Zum
Oesterreichische Rundschau. 30. Geburtstag
Arthinicht Alerander von Weilen.
Er findet, der Glaube Schnitzlers an ein Schicksal
sei ein Zug, der immer bemerkenswerter hervortrete.
„Je älter er wird, desto fester klammert er sich an
die ihm zur Religion gewordene Überzeugung, e
gebe keine Wahl und keinen Widerstand: der „Frai
mit dem Dolche', die dem Begehren des Jünglings
widerstrebt, macht eine Vision kiar, daß sie ihrer
Bestimmung, in seinen Armen zu liegen, nicht ent¬
fliehen könne, für Georg Wergenthin ist sein ganzes
Schicksal wie das Annas, ja auch der Tod des Kindes
im Augenblicke, da sie sich begegneten, entschieden
gewesen, und er trennt sich von ihr mit dem Be¬
wußtsein: .Was uns beiden gemeinsam bestimmt war,
haben wir durchlebt.“ Und in einer seiner letzten¬
Dichtungen steigt ein Jüngling, warnender Stimme
zum Trotze, auf freie Bergeshöhe, was ihm die
ottheit prophezeite, er hat es gegen seinen Willen!
gangen, er beugt sich endlich der Macht, welche die
Abergläubischen Bestimmung, die Toren Zufall, die
Frommen Gott nennen, die aber den Weisen die
ewig wirkende Kraft ist. Vergebens fragt er vor
seinem Untergange: Wenn alles so kommen mußte,
wie es kam, warum ward ich gewarnt, warum? Ein
Hohnlachen antwortet dem Stürzenden. Diese höhere
Macht regiert über uns. Nicht der einzelne Mensch
ist des anderen Schicksal. Er ist nur das Mittel,
dessen sich das Schicksal bedient.“ Und wir tanzen
nur wie Puppen an den Fäden, die uns lenken,
selbst die Geschöpfe der Phantasie, die ein Mario¬
nettenspiel vorführt, durchschneidet ein unbekannter
Mächtiger mit scharfem Schwerte, das den Dichter
selber mitnimmt. Und wer es wagt, mit kühner
Hand die Menschlein dirigieren zu wollen, der muß
einsehen, wie der gescheiterte Puppenspieler Georg
Merklin, daß er leiten wollte und geleitet wurde,
oder er bekommt wie Paracelsus Angst vor den
Mächten, die er beschworen. — Mit uns spielt das
Schicksal, und wir selber spielen das Leben. Da
verschwimmt uns Liebe und Verrat, Wahrheit und
Lüge, Wirklichkeit und Phantasiegebilde gleitet fast
nicht unterscheidbar ineinander über. Leben ein
schon ein kleines
Traum, Traum ein Leben —
Jugendstück hat dem bunten Gemenge, das der
Paracelsus' oder „Die Frau mit dem Dolche“ auf¬
rolit, vorgearbeitet. Und moderner Psychoanalyse
vorgreifend, wird im Schleier der Veatrice das
Mädchen, das im Schlafe die Küsse des Herzogs
gefühlt, von Filippo als „Dirne“ zurückgestoßen,
denn Träume sind Begierden ohne Mut' Ein Ge¬
danke, den Hebbel einmal auf einem Tagebuchblatte
ausgesprochen: Jemanden verklagen, weil er nieder¬
trächtig von einem träumt: denn das setzt opraus,
daß er niederträchtig von einem denkt." Die) Welt,
in der man spielt — es ist die unumschränkte Tomäne7
Schnitzlers: man spielt Liebe und Ehe, Ehre uny
Recht, die Menschen sind nicht, was sie scheinyn,
und scheinen nicht, was sie sind.“
75 5 40# uus dem Egertal,
vem 1
kanau, Bohmen
Zu unserem Bilde.
chnf
#7 Artike S
ler, der berühmte österreichische
—
Dichter, vollenoet am 15. Mai sein 50. Lebens¬
fahr. Diese Nachricht wird vielen Leuten merk¬
würdig kommen, denn man ist gewöhnt,
den
Dichter der „Liebelei“ noch immer zu den Jun¬
gen zu zählen. — Schnitzler ist ein geborener
Wiener, der Sohn eines berühmten Arztes. Er
sbst studierte ebenfalls Medizin und war einige
Jihre lang praktischer Arzt. Aber schon im
Jhre 1893 machten den Dreißigjährigen die
geistvollen, dramatischen Szenen des „Anatol“=
Zyklus berühmt. Es folgte seine Erzählung
„Sterben“, das köstliche Drama „Liebelei“, das
über alle deutschen Bühnen gegangen ist, und
eine Anzahl anderer erzählender und dramatischer
Werke, die alle den Charm des Wienertums mit
gedanklicher Tiefe, und spielerischem Geist ver¬
einigen. Besonderes Aufsehen erregten die freien
Dialoge des „Reigens“ (1900) und die Novelle
„Leutnant Gustl“, die dem Dichter sein Portepee
als Militärarzt der Reserve kostete. Nach dieser
Zeit setzte eine neue Periode in Schnitzlers
Schaffen ein; seine neueren Werke, so die
Schauspiele „Der Ruf des Lebens“, „Das weite
Land“, „Der junge Medardus“, der Roman
„Der Weg ins Freie“,
sind von einem tiefen
Ernst beherrscht. Artur Schnitzler ist trotz
der Erfolge Schönherrs ohne Zweifel der erste
lebende Dramatiker Oesterreichs und einer der
größten deutschen Dichter unserer Zeit.
8
*
-
M
WWENG SNE
2
Wa
528 11 6)
—
3
Wn
4 —
Artur Schnitzler,
berühmter ö#terreichischer Dichter.
Für Vallendung seines 50. Lebens¬
jahres.
1. 50th Birthday
Ischnltt aug:
18, Litterarische Eche, Berlin
15 JUNI 1912
XXXI, 4. Zum
Oesterreichische Rundschau. 30. Geburtstag
Arthinicht Alerander von Weilen.
Er findet, der Glaube Schnitzlers an ein Schicksal
sei ein Zug, der immer bemerkenswerter hervortrete.
„Je älter er wird, desto fester klammert er sich an
die ihm zur Religion gewordene Überzeugung, e
gebe keine Wahl und keinen Widerstand: der „Frai
mit dem Dolche', die dem Begehren des Jünglings
widerstrebt, macht eine Vision kiar, daß sie ihrer
Bestimmung, in seinen Armen zu liegen, nicht ent¬
fliehen könne, für Georg Wergenthin ist sein ganzes
Schicksal wie das Annas, ja auch der Tod des Kindes
im Augenblicke, da sie sich begegneten, entschieden
gewesen, und er trennt sich von ihr mit dem Be¬
wußtsein: .Was uns beiden gemeinsam bestimmt war,
haben wir durchlebt.“ Und in einer seiner letzten¬
Dichtungen steigt ein Jüngling, warnender Stimme
zum Trotze, auf freie Bergeshöhe, was ihm die
ottheit prophezeite, er hat es gegen seinen Willen!
gangen, er beugt sich endlich der Macht, welche die
Abergläubischen Bestimmung, die Toren Zufall, die
Frommen Gott nennen, die aber den Weisen die
ewig wirkende Kraft ist. Vergebens fragt er vor
seinem Untergange: Wenn alles so kommen mußte,
wie es kam, warum ward ich gewarnt, warum? Ein
Hohnlachen antwortet dem Stürzenden. Diese höhere
Macht regiert über uns. Nicht der einzelne Mensch
ist des anderen Schicksal. Er ist nur das Mittel,
dessen sich das Schicksal bedient.“ Und wir tanzen
nur wie Puppen an den Fäden, die uns lenken,
selbst die Geschöpfe der Phantasie, die ein Mario¬
nettenspiel vorführt, durchschneidet ein unbekannter
Mächtiger mit scharfem Schwerte, das den Dichter
selber mitnimmt. Und wer es wagt, mit kühner
Hand die Menschlein dirigieren zu wollen, der muß
einsehen, wie der gescheiterte Puppenspieler Georg
Merklin, daß er leiten wollte und geleitet wurde,
oder er bekommt wie Paracelsus Angst vor den
Mächten, die er beschworen. — Mit uns spielt das
Schicksal, und wir selber spielen das Leben. Da
verschwimmt uns Liebe und Verrat, Wahrheit und
Lüge, Wirklichkeit und Phantasiegebilde gleitet fast
nicht unterscheidbar ineinander über. Leben ein
schon ein kleines
Traum, Traum ein Leben —
Jugendstück hat dem bunten Gemenge, das der
Paracelsus' oder „Die Frau mit dem Dolche“ auf¬
rolit, vorgearbeitet. Und moderner Psychoanalyse
vorgreifend, wird im Schleier der Veatrice das
Mädchen, das im Schlafe die Küsse des Herzogs
gefühlt, von Filippo als „Dirne“ zurückgestoßen,
denn Träume sind Begierden ohne Mut' Ein Ge¬
danke, den Hebbel einmal auf einem Tagebuchblatte
ausgesprochen: Jemanden verklagen, weil er nieder¬
trächtig von einem träumt: denn das setzt opraus,
daß er niederträchtig von einem denkt." Die) Welt,
in der man spielt — es ist die unumschränkte Tomäne7
Schnitzlers: man spielt Liebe und Ehe, Ehre uny
Recht, die Menschen sind nicht, was sie scheinyn,
und scheinen nicht, was sie sind.“
75 5 40# uus dem Egertal,
vem 1
kanau, Bohmen
Zu unserem Bilde.
chnf
#7 Artike S
ler, der berühmte österreichische
—
Dichter, vollenoet am 15. Mai sein 50. Lebens¬
fahr. Diese Nachricht wird vielen Leuten merk¬
würdig kommen, denn man ist gewöhnt,
den
Dichter der „Liebelei“ noch immer zu den Jun¬
gen zu zählen. — Schnitzler ist ein geborener
Wiener, der Sohn eines berühmten Arztes. Er
sbst studierte ebenfalls Medizin und war einige
Jihre lang praktischer Arzt. Aber schon im
Jhre 1893 machten den Dreißigjährigen die
geistvollen, dramatischen Szenen des „Anatol“=
Zyklus berühmt. Es folgte seine Erzählung
„Sterben“, das köstliche Drama „Liebelei“, das
über alle deutschen Bühnen gegangen ist, und
eine Anzahl anderer erzählender und dramatischer
Werke, die alle den Charm des Wienertums mit
gedanklicher Tiefe, und spielerischem Geist ver¬
einigen. Besonderes Aufsehen erregten die freien
Dialoge des „Reigens“ (1900) und die Novelle
„Leutnant Gustl“, die dem Dichter sein Portepee
als Militärarzt der Reserve kostete. Nach dieser
Zeit setzte eine neue Periode in Schnitzlers
Schaffen ein; seine neueren Werke, so die
Schauspiele „Der Ruf des Lebens“, „Das weite
Land“, „Der junge Medardus“, der Roman
„Der Weg ins Freie“,
sind von einem tiefen
Ernst beherrscht. Artur Schnitzler ist trotz
der Erfolge Schönherrs ohne Zweifel der erste
lebende Dramatiker Oesterreichs und einer der
größten deutschen Dichter unserer Zeit.
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Artur Schnitzler,
berühmter ö#terreichischer Dichter.
Für Vallendung seines 50. Lebens¬
jahres.