box 39/1
ethBirthdar
Ausschnitt aus:
Tezichs Bundschau, Berie
vom: J3MATTE
Hus dem Kunstleben.
Arthur Schnitzler vollendet heute sein 50. Lebensjahr.
Einer. der die Wiener Jugend verkörperte, überschreitet den
Grenzstrich, hinter dem Erinnern mehr gilt als Erleben. Noch
ist seine Schaffenskraft jung. Sein neuester Novellenband:
„Masken und Wunder“ zeugt dafür. Aber Schnitzler ist doch
nicht mehr ganz „Anatole“, und die Mädchen, die er schildert,
tragen doch nicht mehr die scheue und zitternde Süßigkeit wie
vor zwanzig Jahren, da diese leichtfertige und zärtlichen, iro¬
nischen und feinen Einakter seinen Ruhm begründeten.
Schnitzker wird das Bild seines literarischen Gesichts nicht mehr
umprägen, doch es scheint manches strenger zu werden, und
das Auge blickt ernster nach letzten Geheimnissen.
„ „
Klose & Seidel
Bureau für Zeitungesusechnitte.
Berlin NO. 43, Georgenkirchplatz 211
(Liest die meisten Zeitungen und ist das
bestorganisierteste Bureau Deutschlands.)
Zeitung:
S
Datum
—9
8
umschau SEE
Artur Schnitzler
Zu seinem 50. Geburtstage
In einer Novelle: „Die dreifache Warnung“ erzählt der
Dichter von einem Jüngling, der einen steilen Berg besteigt. Trotz
dreisacher Mahnung einer Geisterstimme, umzukehren, wenn er nicht
einen Mord begehen, nicht sein Vaterland verderben, nicht den Tod¬
erleiden wolle, erreicht er sein Ziel. Dort aber gibt sich ihm jener
Geist als die Krazk zu erkennen, „die am Anfang aller Tage war
und weiter wirkt „naufhaltsam in die Ewigkeit durch alles Geschehen“
und offenbart ihm, wie er in der Tat jenes Schicksal verwirkt hat,
wovor er gewarnt war. Da flucht er dem Geist mit der Bitternis
des Todes im Herzen: „Denn bist du die Kraft, die am Anfang
aller Tage war und weiterwirkt in die Ewigkeit durch alles Geschehen,
dann mußte ja all dies kommen, wie es kam, dann mußt' ich den
Wald durchschreiten, um einen Mord zu begehen, mußte über die
Wiese wandern, um mein Vaterland zu verderben, mußte den Felsen
erklimmen, um meinen Untergang zu finden — deiner Warnung
zum Trotz. Warum also war ich verurteilt, sie zu hören, dreimal,
die wir doch nichts nutzen durfte? Mußte auch dies sein? Und
warum, o Hohn über allem Hohn, muß ich noch im letzten Augen¬
blick mein ohnmächtiges Warum dir entgegenwimmern?“
Das symbolische Geschick dieses Jünglings ist in hohem Maße!
für die Dichtung Säniglers kennzeichnend. Diese Schicksalsgebärde
ist Hamleischen Ursprungs, ist die Gebärde eines, der die wider¬
spruchsvollen Zusammenhänge des Lebens erkannt hat, und dem nun
dies Leben nicht mehr lebenswert ist. In der Seele dieses modernen
wienerischen Hamlet löst sich diese Lebensverzweiflung teils in frühen,
wehmütig weichen Verzicht, teils in zersetzende, lächelnde Spöttelei,
in eine ironische Melancholie, eine melancholische Ironie, die rasch
zur Selbstbelächlung, Selbstverhöhnung wird, und die sich lässig und
ein wenig hochmütig einem träumerisch sinnlichen Genuß ergibt. Mit
Schnitzler sind alle seine Gestalten Wiener: die jungen Herren vonf
Vermögen und vornehmer Herkunft, meist in freien Berufen tätig¬
die ihr kleines, nicht eben nennenswertes Leben ziemlich wichtig
nehmen, ohne seiner je recht Herr werden zu können, und die
Mädchen, die sie lieben, und die in ihrer schönen Kraft der Treu¬
soviel wertvoller sind als jene, denen sie sich so leicht ergeben. Und
der Dichter hat ihr tränenreiches Geschick mit einem schmerzlich
wissenden Lächeln zum singenden Reigen geschlungen, immer dem
Spiel nahe, dem Theater, der Marionettenpantomime. Die dramatischen
und epischen Werke Schnitzlers sind Veränderung und Erweiterung!
immer des gleichen Themas. Im Anatol“ heißt es:
„Also spielen wir Theater,
Spielen unsere eignen Stücke,
Früh gereist und zart und trau#ig
Die Komödie unsrer Seele.“
Und von hier bis zu einer der letzten großen Figuren, dem
„Medardus“, ist ein gerader Weg: „Gott wollte ihn zum Helden
machen, der Lauf der Dinge aber machte einen Narren aus ihm.“
— Mit weichen, schönen, schmeichlerischen Händen greifen diese
Dämmerseelen nach einander, lächelnd vor einander, lächelnd vor
dem Spiegel verweilend, um sich trauernd wieder zu entgleiten. Sie
seuszen von Liebe und Tod und gefallen sich doch in ihrer von
Schicksalstragik umspielten Hamletschen Gebärde.
Schnitzler ist Arzt. Und sein Stil hat davon die umsichtige
psycholagische Beweisführung, die freundliche, ein wenig förmliche
Haltung, die wohituende, gelassene Ruhe. Und dieser klare Stil ist
Träger einer süßen, dunkelschimmernden Poesie. Herbstliche Land¬
schaften der Seele weiten sich, in deren Seen die schönen, wehmütig
Kträumerischen Gesichter seiner Menschen sich spiegeln. — Arsbur
Schnter hai unsere Dichtung um durchaus eigene Werte bereichert.
Auf der Höhe seines Lebens grüßen wir den Dichter. (Schnitzlers!
Werke sind bei S. Fischer in Berlin erschienen, jetzt eben wird eine
Gesamtausgabe veranstaltet, von der die erzählenden Schriften zu
nächst vorliegen werden.)
ethBirthdar
Ausschnitt aus:
Tezichs Bundschau, Berie
vom: J3MATTE
Hus dem Kunstleben.
Arthur Schnitzler vollendet heute sein 50. Lebensjahr.
Einer. der die Wiener Jugend verkörperte, überschreitet den
Grenzstrich, hinter dem Erinnern mehr gilt als Erleben. Noch
ist seine Schaffenskraft jung. Sein neuester Novellenband:
„Masken und Wunder“ zeugt dafür. Aber Schnitzler ist doch
nicht mehr ganz „Anatole“, und die Mädchen, die er schildert,
tragen doch nicht mehr die scheue und zitternde Süßigkeit wie
vor zwanzig Jahren, da diese leichtfertige und zärtlichen, iro¬
nischen und feinen Einakter seinen Ruhm begründeten.
Schnitzker wird das Bild seines literarischen Gesichts nicht mehr
umprägen, doch es scheint manches strenger zu werden, und
das Auge blickt ernster nach letzten Geheimnissen.
„ „
Klose & Seidel
Bureau für Zeitungesusechnitte.
Berlin NO. 43, Georgenkirchplatz 211
(Liest die meisten Zeitungen und ist das
bestorganisierteste Bureau Deutschlands.)
Zeitung:
S
Datum
—9
8
umschau SEE
Artur Schnitzler
Zu seinem 50. Geburtstage
In einer Novelle: „Die dreifache Warnung“ erzählt der
Dichter von einem Jüngling, der einen steilen Berg besteigt. Trotz
dreisacher Mahnung einer Geisterstimme, umzukehren, wenn er nicht
einen Mord begehen, nicht sein Vaterland verderben, nicht den Tod¬
erleiden wolle, erreicht er sein Ziel. Dort aber gibt sich ihm jener
Geist als die Krazk zu erkennen, „die am Anfang aller Tage war
und weiter wirkt „naufhaltsam in die Ewigkeit durch alles Geschehen“
und offenbart ihm, wie er in der Tat jenes Schicksal verwirkt hat,
wovor er gewarnt war. Da flucht er dem Geist mit der Bitternis
des Todes im Herzen: „Denn bist du die Kraft, die am Anfang
aller Tage war und weiterwirkt in die Ewigkeit durch alles Geschehen,
dann mußte ja all dies kommen, wie es kam, dann mußt' ich den
Wald durchschreiten, um einen Mord zu begehen, mußte über die
Wiese wandern, um mein Vaterland zu verderben, mußte den Felsen
erklimmen, um meinen Untergang zu finden — deiner Warnung
zum Trotz. Warum also war ich verurteilt, sie zu hören, dreimal,
die wir doch nichts nutzen durfte? Mußte auch dies sein? Und
warum, o Hohn über allem Hohn, muß ich noch im letzten Augen¬
blick mein ohnmächtiges Warum dir entgegenwimmern?“
Das symbolische Geschick dieses Jünglings ist in hohem Maße!
für die Dichtung Säniglers kennzeichnend. Diese Schicksalsgebärde
ist Hamleischen Ursprungs, ist die Gebärde eines, der die wider¬
spruchsvollen Zusammenhänge des Lebens erkannt hat, und dem nun
dies Leben nicht mehr lebenswert ist. In der Seele dieses modernen
wienerischen Hamlet löst sich diese Lebensverzweiflung teils in frühen,
wehmütig weichen Verzicht, teils in zersetzende, lächelnde Spöttelei,
in eine ironische Melancholie, eine melancholische Ironie, die rasch
zur Selbstbelächlung, Selbstverhöhnung wird, und die sich lässig und
ein wenig hochmütig einem träumerisch sinnlichen Genuß ergibt. Mit
Schnitzler sind alle seine Gestalten Wiener: die jungen Herren vonf
Vermögen und vornehmer Herkunft, meist in freien Berufen tätig¬
die ihr kleines, nicht eben nennenswertes Leben ziemlich wichtig
nehmen, ohne seiner je recht Herr werden zu können, und die
Mädchen, die sie lieben, und die in ihrer schönen Kraft der Treu¬
soviel wertvoller sind als jene, denen sie sich so leicht ergeben. Und
der Dichter hat ihr tränenreiches Geschick mit einem schmerzlich
wissenden Lächeln zum singenden Reigen geschlungen, immer dem
Spiel nahe, dem Theater, der Marionettenpantomime. Die dramatischen
und epischen Werke Schnitzlers sind Veränderung und Erweiterung!
immer des gleichen Themas. Im Anatol“ heißt es:
„Also spielen wir Theater,
Spielen unsere eignen Stücke,
Früh gereist und zart und trau#ig
Die Komödie unsrer Seele.“
Und von hier bis zu einer der letzten großen Figuren, dem
„Medardus“, ist ein gerader Weg: „Gott wollte ihn zum Helden
machen, der Lauf der Dinge aber machte einen Narren aus ihm.“
— Mit weichen, schönen, schmeichlerischen Händen greifen diese
Dämmerseelen nach einander, lächelnd vor einander, lächelnd vor
dem Spiegel verweilend, um sich trauernd wieder zu entgleiten. Sie
seuszen von Liebe und Tod und gefallen sich doch in ihrer von
Schicksalstragik umspielten Hamletschen Gebärde.
Schnitzler ist Arzt. Und sein Stil hat davon die umsichtige
psycholagische Beweisführung, die freundliche, ein wenig förmliche
Haltung, die wohituende, gelassene Ruhe. Und dieser klare Stil ist
Träger einer süßen, dunkelschimmernden Poesie. Herbstliche Land¬
schaften der Seele weiten sich, in deren Seen die schönen, wehmütig
Kträumerischen Gesichter seiner Menschen sich spiegeln. — Arsbur
Schnter hai unsere Dichtung um durchaus eigene Werte bereichert.
Auf der Höhe seines Lebens grüßen wir den Dichter. (Schnitzlers!
Werke sind bei S. Fischer in Berlin erschienen, jetzt eben wird eine
Gesamtausgabe veranstaltet, von der die erzählenden Schriften zu
nächst vorliegen werden.)