VII, Verschiedenes 2, 50ster Geburtstag, Seite 53

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1. 50th Birthday
Personen ist Schnitzler kühl; der Gegensatz zwischen Mann
und Weib ist ihm nicht, wie Strindberg, eine Tragödie, die
Schauer und Mitleid fordert, sondern gewissermaßen ein
n 15. Mai.
Fechten, bei dem sich schlinke Klingen elegant kreuzen, bei
Namens wird
dem aber bisweilen doch der Stich trifft, und dann gewöhn¬
ewigen Kampfes
lich tief ins Herz. Daß Schnitzler so vollkommen über den
sondern
Untiefe
Dingen steht, die er dichtet, bewirkt es, daß er am meisten
sehr
von allen jüngeren Deutschen das Attribut „klassisch“ ver¬
r in
dient; und daß jede Seite und jede Szene von ihm, auch
tes
in seinen schwächeren Werken, den Eindruck bestätigt, daß
angs
hier ein Großer zu uns spricht.
Nacht
nil
Arthur Schnitzler, am 15. Mai in Wien geboren, ist der
doch,
kan
Sohn des geschätzten Laryngologen Professor Johann
nierte
de
Schnitzler und selbst von Hause aus Arzt. In der modernen
gen
ht.
Literatur spielt der Arzt eine bedeutsame Rolle, hat einmal
or¬
üt
Geord Brandes bemerkt. Zunächst als Dargestellter; man
igt;
denke an Doktor Stockmann und seine Kollegen; aber nicht
ler;
minder als Schaffender. Ein merkwürdiger Zufall hat es
ne
so gefügt, daß heute die beiden stärksten Dramatiker Oester¬
tzler
reichs Aerzte sind, Dr. Arthur Schnitzler und Dr. Karl
Ty¬
Schönherr. Die beiden sind sonst die rechten Antipoden;
isch
Schönherr hat das große Pathos und die Freude am Sturm,
seine
die dem Skeptiker Schnitzler fehlt. Und als die Dichter
nd zu¬
Oesterreichs zur hundertjährigen Erinnerung an 1809 auch
schon
S hi
ihr Schärflein beisteuerten, hat Schönherr seine Bauern¬
irken neben ihm.
novellen aus Tirol geschrieben, blinkend und fest wie Stahl,
fungen
eine Schö
während Schnitzlers „Medardus“, als Fresko angelegt, sich
chen Geistes her¬
in eine Reihe von Miniaturen auflöste. Dafür hätte der
solle von Girardis
Tiroler niemals den Jüngling und die fünf Weibchen bilden
desselben Beetes
können, die uns im „Anatol“ entzücken. In diesem seinem
Duft! Was bei
— steht
frühen Jugendwerk — es stammt vom Jahre 1893
hentale, das Be¬
Schnitzler schon völlig fertig vor uns da, wie Hauptmann
Wienertum zu ge¬
im „Sonnenaufgang" und Halbe in der „Jugend“. Der
erdankt er seinem
liebe Wiener Junge geht von Cora zu Gabriele, von Annie
yrt hat er gelernt,
zu Bianca und von Ilona in die Eye. Die Titel der fünf
aß es gleichmäßig
Einakter des „Anatol“ sind in ihrer Art symbolisch. Jede
er zu ihr hinauf¬
„Frage an das Schicksal“ empuppt sich schließlich als „Epi¬
ein ewiges Spiel
sode“. Von jedem noch so verheißungsvollen „Weihnachts¬
m es viel Nieten
einkauf“ führt der Weg doch endlich zum „Abschiedsouper“,
n und viele Trä¬
bis einmal der Vielgeliebte am „Hochzeitsmorgen“ aufwacht
s und den langen
Leidenschaft seiner und nun die alte Rolle im neuen Gewande weiterspielt.

Zwei Jahre nach „Anchol“ folgt die „Liebelei“ mit der
prächtigen Figur der Christine, 1898 — um nur das Wich¬
tigste herauszugreifen — das „Vermächtnis“, einfach und
kraftvoll, in dem das alte Motiv der Treue des Geliebten
bis in den Tod im modernen Gewande erschein". Der
„Grüne Kakadu“ (1899), ein Gemälde aus der französischen
Gesellschaft beim Einbruch der großen Revolution, zeigt, wie
verwandt Schnitzler dem gallischen Geiste ist. Dieses Tan¬
zen auf dem Vulkan, dieses Lächeln im Sterben haben seine
Wiener und Wienerinnen von den Damen und Herren des
Rokoko geerbt. Die in Deutschland verbotenen Dialoge
„Reigen“ (1900) folgen mit unerhörter Kühnheit dem mag¬
netischen Spiel der Geschlechter; künftigen Jahrhunderten
wird dieses Buch der Dekameron unserer Zeit sein. Aus
der gleichen Renaissance=Stimmung des Dichters ist das
Drama Der Schleier der Beatrice“ geboren. Im „Ein¬
samen Weg“ (1903) wollte Schnitzler eine große psycholo¬
gische Tragödie im Stile Ibsens geben; die fünf langen
Akte sind indessen zu kompliziert geraten und hinterlassen
nicht die Befriedigung, mit der man sonst von einem seiner
Werke scheidet. Schnihler ist in der Regel Kaviar fürs
Publikum, und lärmende Theatererfolge sind ihm kaum be¬
schert gewesen. Daß aber die wundervolle Komödie „Zwi¬
schenspiel“ (1905), in Berlin wie in Wien gleichmäßig ab¬
gelehnt werden konnte, ist mehr ein Beweis dafür, wie
schwer sich oftmlas Dichter und Hörer finden. Zwei Ehe¬
leute, die sich einander nicht mehr genügen, glauben auf
Grund eines Pakts, der jedem seine volle Freiheit läßt,
doch weiter nebeneinander leben zu können. Aber die neue
Form der „Ehe“ scheitert an der Macht des Bluts und der
Gewohnheit. Die Tragikomödie der Ehe ist auch im „Wei¬
ten Land“ vom vorigen Jahre dargestellt; zwei Menschen,
die sich lieben und die sich hintergehen müssen, bis die Kugel
des betrogenen Gatten das viereckige Verhältnis sprengt.
Was uns Schnitzler in den zwanzig Jahren seines Schaf¬
fens geschenkt hat, ist unendlich viel und unendlich kostbar,
und doch steht er heute erst auf der Höhe seines Lebens.
So dürfen wir von dem Wiener Poeten gewiß noch manches
Meisterwerk erhoffen.