VII, Verschiedenes 2, 50ster Geburtstag, Seite 54

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1. S0thBirthdar
hagen, London, 1
Paris, Rom, San Francisco, Stockholm, St. Petersburg.

BERLINENTAGRI AT
Ausschnitt aus:
5.9011912
vom

immer ein letztes und höchstes Hilfsmittel zu fehlen scheint. Bei
aller Kunst, die er auch in seinen Novellen zeigt, bei aller Geschmeidig¬
Der Arthur=Schnitzler=Tag.
keit und Grazie, die ihn hoch hinaushebt fast über das ganze Gros "
(Nachdruck verboten.]
Von
unserer Novellisten, ist doch manchmal etwas von jener kälteren
Fritz Engel.
Ersinnung dabei, die man in seinen Dramen fast nie findet.
Das spürt auch der Leser seines neuesten, eben bei S. Fischer er¬
Der kluge und gütige Gedanke des Wiener Schriftstellers Stephan
schienenen Novellenbandes „Masken und Wunder". Es sind
Zweig, man möge unsere Dichter schon vor dem Tode oder vor dem
sechs Erzählungen in diesem Bande vereinigt, erdgeborene und solche
achtzigsten Geburtstag, was beinah' dasselbe ist, tätig preisen und
aus dem Diesseits=Jenseits der Allegorie. Es wird auch hin bißchen
aufführen, hat hier und da Boden gesunden. Der Name Arthur
moralisiert, und zwar mit Feierlichkeit, und nicht nur mit jenem
Schnitzlers wird heute, an seinem fünfzigsten Geburtstag,
weltmännisch=wissenden Lächeln, das wir an Schnitzler ganz besonders*
auf vielen Theaterprogrammen stehen, und selbst in Berlin, in der
lieben. Sie macht ihn immer, beinahe im Backfischsinne, so „inter¬
Geschäftstheaterstadt, haben sich einige Bühnen gefunden, die sich an
essant“ diese Falte um seinen Mund, die Spott und Schmerz und
Schnitzler erinnert haben. Es sind gerade kleinere und volkstümliche
Verzeihung zugleich ist, aber nicht Anklage. In einigen der Ge¬
Theater, die diese Ehrerbietung einem Dichter erweisen, welcher doch
schichten finden wir sie wieder, im „Toten Gabriel“, wo ein paar
immer mehr ein Dichter der manikürten Welt gewesen ist. Die
Menschen glänzend und rasch abgebildet werden, im „Tod des Jung¬
großen Theater schweigen. Otto Brahm, der der nächste dazu wäre,
gesellen“ und in der Novelle „Der Mörder“, die sehr erschüttert und
ist fretlich mit seinem Ensemble nicht in Berlin, das Deutsche Theater
erregt mit dem unruhigen Fackelglanz, der über nackten Menschen¬
wollte oder konnte den Tag nicht begehen, und das königliche Schau¬
seelen hin und herspielt. Man kann diese Erzählungen nicht besser
spielhaus weiß vim Schnitzler überhaupt noch nichts. Man kennt
loben, als wenn man sagt, daß sie an den Dramatiker Schnitzler er¬
ihn dort noch nieht an seinem fünfzigsten Geburtstag; an seinem
innern, und an das Teste, was er der Bühne gegeben hat. Hier deckt!
fünfzigsten Todestag mag man dann immer noch etwas arrangieren.
sich Empfinden und Erfindung ganz miteinander. „Das Tagebuch
Man kann sich ja nun, wenn man Arthur Schnitzler nicht auf dem
der Redegunde“ ist ein kleines, zart geschliffenes Capriccio mit einer,
Theater sieht, seine Bücher vornehmen. Aber gerade dann, indem man
wie mir scheint, nicht ganz echten humoristischen Geste. „Die Hirten¬
die Stücke, die er geschrieben hat, noch einmal durchblättert und auch
flöte“, die erste und größte der in diesem Bande vereinten Erzählun¬
seine Novellen liest, gerade dann empfindet man sehr, um wieviel
gen, steigt hoch in die kühle Luft des Sinnbildlichen, und so hinreißend
stärker er noch als Dramatiker, denn als Epiker ist. Es ist ein seltener
schön hier Einzelheiten sind, und so sehr durch den Faltenwurf der
Fall, wie er zum Beispiel auch bei Kleist beobachtet wird, daß der
Allegorie auch hier das Leben überall hindurchschimmert, so ist
erzählende Dichter, der doch über so viel Worte und Begründungen
dieser Geschichte von der irrenden und dennoch siegenden Frau doch zu
mehr verfügt, nicht dieselbe Glaubwürdigkeit findet, wie der Bühnen¬
viele These, Belehrung und Abstraktion. Das Blühende an Schnitzler
dichter, der nur auf indirektem Wege und dabei mit äußerster Knapp¬
liegt wie unter einem seinen Regen grauer Asche, und ich glaube, daß
heit zum Hörer spricht. Wir erleben weitaus häusiger das Umgekehrte
er hier Menschen nach einem Gedanken, und nicht nach Menschen
und sehen, daß unsere Erzähler in ihren Büchern die Schilderer des
gebildet hat.
echtesten Lebens und der letzten seelischen Wahrheit zu sein scheinen,
Am Schluß des Bandes „Die breifache Warnung“. Ein Bild von
und daß sie zu grell oder zu farblos, zu klein oder zu groß, mit einem
absoluter und ungetrösteter Melancholie, die Geschichte vom wagenden
Worte unwahr sind, wenn sie sich des Mittels der Bühne bedienen.
Mann, der dem Schicksal auftrotzt und ihm unterliegt. Soll das die
Arthur Schnitzler hat diesen absolut sicheren Instinkt für die
Philosophie des Fünfzigjährigen bedeuten, eine erste Aliersmelodie,
Bühne. Meister des Dialogs, ist er nie klarer, als wenn er kurz ist,
ein Verzicht und Aufgeben? Das wird und darf nicht sein. Nur
nie überzeugender, als wenn er nicht überzeugen will, niemals per¬
gerade ein Schatten, der ihm über die Seele lief, und rasch vom
sönlicher, als wenn er, scheinbar, hinter den Gestalten seiner Ein¬
Sonnenschein wieder aufgesogen. Des Dich.ers Herz kann ja, bei #
bildungskraft verschwindet. Er hat die Schauspielkunst, ihre Möglich¬
aller Skepsis, nicht anders als voll Heiterkeik sein, gerade jetzt, wo er
keiten und ihre Grenzen so in sich aufgenommen, und, indem er ihr
dient, weiß er sie so zu beherrschen, daß, wenn er nur Epiker ist, ihm sieht, wie man Ihn liebt, einer der wenigen, denen in das Glück des

#u.
verdienten Ruhmes kein einziger bitterer Tropfen fällt, kein Neid.
kein Haß und keine Verkennung.