Soth Birthdag box 39/1
getraut. Aus dem Komödischen kam Schnitzler zur
die Scheinwelt des Salons die betlemmende Explo¬
Tragödie, aus der Dichtung amoureuser Wiener Ge¬
sion einer rein menschlichen Katastrophe.
schmeidigkeit, der Betrachtung einer galant=an¬
Der innerste Wesenskern seiner Dichtung ist Tra¬
mutigen, leichtschürzig paradoxen und aphoristischen
gik. Leid am Leben, Bitterkeit der Welt gegenüber.
Welt zu großen Rundbildern des Menschlichen,
Er hat freilich auch Komödien geschrieben. Aber=die
Wohl sind große Symbole und Symptome, bezeich¬
gaben immer einen irgendwie zerbrochenen Klang.
nende Merkmale der ersten Jahre in diese neue und
einen gepreßten Ton, eine mesquine und satirische
große Zeit Schnitzlers hinübergewachsen, so die immer
Ueberspitzung des Witzes, eine Geberde der Komik,
noch ein bißchen stilisierte Schwermut, die überlegte
deren diskrete Schüchternheit immer etwas Trau¬
Positur der Melancholie und die Nachdenklichkeit,
riges an sich hat. Und umgekehrt blitzt durch seine
die Reflexion der Trauer, dann die Motive vom
Tragödien oft und oft der krasse, irisierende Strahl
Puppenspiel und vom Puppenspieler, von der Welt“
scharfen Witzes. Denn die Spiegelung der Welt,
als Theater und den Heroen und Tragikern als
die Schnitzler gibt, vereint alle ihre Seiten, die
Marionetten. Nur daß alles dies sich zu tieferer
hellen wie die dunklen und vergißt nie, daß das
Absicht wandelte, zu inneren, organisch bedingten
Leben selbst tragikomisch ist, grausam und blas¬
Tendenzen seiner Kunst. Aus dem Spiel der
phemisch tragikomisch. Nie freilich ist das Pathos
Puppen wurde das Spiel des Schicksals, aus einer
der wirklich großen Dinge verzerrt, nie eine Linie
Pointe voll sinnreicher Pikanterie eine elementarer
zur Karikatur verschoben.
Angelpunkt rein menschlicher Dramen.
Und mit den kühlsten und ebenmäßigsten Mitteln
Tad und Liebe stehen immer zu Beginn und am
ist Schnitzler immer ein Sänger des Rausches ge¬
Ende seiner Werke. Aus ihrer Verquickung, ihrer
wesen, der Exaltation großer und heiliger Gluten
Parallelisierung, ihrem Spiel und Widerspiel wächst
wie brennender Erotik Ohne in der Form exirem
jedes Schnitzlersche Werk. In der letzten Zeit oft
zu werden. Im Gegenteil. Als er Anfänger auf
bis zu grausig schöner Klarheit, zu Akkorden von
der Ruhmesbahn war. hat die natürliche Schüchtern¬
reiner, starker, doch beklemmender Kraft. Immer
heit seines Wesens oft und oft die Größe der Stoffe
wieder schöpft Schnitzler den Gehalt unbewußt oder
und Probleme in kleine Formen gezwängt, sie spiele¬
bewußt letzter Stunden aus, die gesteigerte Intensi¬
risch, mit einer Note anmutiger Blasiertheit ge¬
tät einer letzten und leidenschaftlichsten Liebe, der
halten. fast skizzenhaft. Alle seine ersten Arbeiren
Ahnung vor dem Ende, des Spiels mit Dunkel und
sehen so aus. Der Zyklus des Anatol“ mit seiner
Ewigkeit.
Fülle von Geist und Grazie, die ersten Novellen und
Man könnte das Phänomen Schnitzler psycho¬
Dramen, „Leutnant Gustl“, die einstige Sensations¬
logisch zerlegen und fände mancherlei Componenten
novelle, die kinematographenartig effektvollen,
seiner Kunst: den Juden mit der orientalisch wehen
moussierenden und ein wenig sentimentalen Szenen,
Schwermut, den Mediziner mit der Vertrautheit mit
der „Liebelei“, die dunkle Koloristik des „Schleiers
unerbittlich letzten Dingen, der kühlen Traurigkeit
der Beatrice". Um nur das Wichtigste zu nennen.
der Diagnose, den Wiener mit der lässigen Gebärde
Ein Letztes aber fehlt all diesen lieben und er¬
eines stilvollen Schönheitskults, den Philosophen
greifenden Werkchen, ein letzter Zusammenschluß von
und Psychologen mit dem seelen= und nervendurch¬
Vorwurf und Ausführung, die überzeugende, zwin¬
schauenden Blick, mit der peinlich abwägenden Be¬
gende Geschlossenheit der Form wie des Gehalts.
urteilung sexueller Verwicklungen, abgerissen plötz¬
Und langsam und still ist Schnitzlers Kunst dann
licher Taten, geistiger Dämmerstunden.
zur Reife gediehen, in einem steken, selbstsicheren
Geliebt hat man Schnitzler in Wien immer und
Fortschreiten. Eines Tages erwachte man über einem
seit einiger Zeit ist er sogar Mode geworden. Man
neuen Buche Schnitzlers und fand den großen
kann seine Stücke nun vor übervollen Häusern sehen
Dichter großer Menschlichkeiten. Denn wer hätte
und sein heutiger Geburtstag wird mit viel Ge¬
dem graziösen Zündler des „Anatol“ die Tiefe und
schäftigkeit gefeiert. Es wäre dazu viel zu sagen.
Stille des „Einsamen Wegs“ die Problematik und
Denn Schnitzler hat diese Ehren verdient. Gerade
Weltphilosophie des „Weges ins Freie“, die virtuose
um Wien verdient. Wie seine Kunst eine Spiege¬
Gefühlsakrobatik and wundervolle Melancholie des
lung und Vertiefung, eine dichterische Veredelung
„Zwischenspiel“, die harte herbe Tragik des „Ruf des
des nervösen modernen Großstadtlebens überhaupt
Lebens“ die balladeske Differenziertheit des „Me¬
ist, zugleich eine geistige Klärung und Beruhigung
dardus“, die oft groteske Kraft der Dramatik und
1 Psychologie, wie sie das „Weite Land“ bietet, zu= der Gegensätze und Verwicklungen dieses Milieus, so
hat er speziell ein Milieu und eine Zeit, die heute
fast nur mehr Vorwurf für lästigen Kitsch sind,
künstlerisch gerettet. Denn die etwas verdächtige
Poesie des Wiener Waldes und der abendlichen
amoureusen Wiener Flirtstunden, des schon der Ver¬
gangenheit angehörenden „süßen Mädls“, der seligen
„Heurigen"=Zechen unter Geigenklang und Flieder¬
duft, des trauersüßen Gewerkels der Wiener Leier=¬
kästen hat er echt und lebendig gemacht. In seinem:
Werk ist sie zur Ewigkeit auferstanden.
ee
getraut. Aus dem Komödischen kam Schnitzler zur
die Scheinwelt des Salons die betlemmende Explo¬
Tragödie, aus der Dichtung amoureuser Wiener Ge¬
sion einer rein menschlichen Katastrophe.
schmeidigkeit, der Betrachtung einer galant=an¬
Der innerste Wesenskern seiner Dichtung ist Tra¬
mutigen, leichtschürzig paradoxen und aphoristischen
gik. Leid am Leben, Bitterkeit der Welt gegenüber.
Welt zu großen Rundbildern des Menschlichen,
Er hat freilich auch Komödien geschrieben. Aber=die
Wohl sind große Symbole und Symptome, bezeich¬
gaben immer einen irgendwie zerbrochenen Klang.
nende Merkmale der ersten Jahre in diese neue und
einen gepreßten Ton, eine mesquine und satirische
große Zeit Schnitzlers hinübergewachsen, so die immer
Ueberspitzung des Witzes, eine Geberde der Komik,
noch ein bißchen stilisierte Schwermut, die überlegte
deren diskrete Schüchternheit immer etwas Trau¬
Positur der Melancholie und die Nachdenklichkeit,
riges an sich hat. Und umgekehrt blitzt durch seine
die Reflexion der Trauer, dann die Motive vom
Tragödien oft und oft der krasse, irisierende Strahl
Puppenspiel und vom Puppenspieler, von der Welt“
scharfen Witzes. Denn die Spiegelung der Welt,
als Theater und den Heroen und Tragikern als
die Schnitzler gibt, vereint alle ihre Seiten, die
Marionetten. Nur daß alles dies sich zu tieferer
hellen wie die dunklen und vergißt nie, daß das
Absicht wandelte, zu inneren, organisch bedingten
Leben selbst tragikomisch ist, grausam und blas¬
Tendenzen seiner Kunst. Aus dem Spiel der
phemisch tragikomisch. Nie freilich ist das Pathos
Puppen wurde das Spiel des Schicksals, aus einer
der wirklich großen Dinge verzerrt, nie eine Linie
Pointe voll sinnreicher Pikanterie eine elementarer
zur Karikatur verschoben.
Angelpunkt rein menschlicher Dramen.
Und mit den kühlsten und ebenmäßigsten Mitteln
Tad und Liebe stehen immer zu Beginn und am
ist Schnitzler immer ein Sänger des Rausches ge¬
Ende seiner Werke. Aus ihrer Verquickung, ihrer
wesen, der Exaltation großer und heiliger Gluten
Parallelisierung, ihrem Spiel und Widerspiel wächst
wie brennender Erotik Ohne in der Form exirem
jedes Schnitzlersche Werk. In der letzten Zeit oft
zu werden. Im Gegenteil. Als er Anfänger auf
bis zu grausig schöner Klarheit, zu Akkorden von
der Ruhmesbahn war. hat die natürliche Schüchtern¬
reiner, starker, doch beklemmender Kraft. Immer
heit seines Wesens oft und oft die Größe der Stoffe
wieder schöpft Schnitzler den Gehalt unbewußt oder
und Probleme in kleine Formen gezwängt, sie spiele¬
bewußt letzter Stunden aus, die gesteigerte Intensi¬
risch, mit einer Note anmutiger Blasiertheit ge¬
tät einer letzten und leidenschaftlichsten Liebe, der
halten. fast skizzenhaft. Alle seine ersten Arbeiren
Ahnung vor dem Ende, des Spiels mit Dunkel und
sehen so aus. Der Zyklus des Anatol“ mit seiner
Ewigkeit.
Fülle von Geist und Grazie, die ersten Novellen und
Man könnte das Phänomen Schnitzler psycho¬
Dramen, „Leutnant Gustl“, die einstige Sensations¬
logisch zerlegen und fände mancherlei Componenten
novelle, die kinematographenartig effektvollen,
seiner Kunst: den Juden mit der orientalisch wehen
moussierenden und ein wenig sentimentalen Szenen,
Schwermut, den Mediziner mit der Vertrautheit mit
der „Liebelei“, die dunkle Koloristik des „Schleiers
unerbittlich letzten Dingen, der kühlen Traurigkeit
der Beatrice". Um nur das Wichtigste zu nennen.
der Diagnose, den Wiener mit der lässigen Gebärde
Ein Letztes aber fehlt all diesen lieben und er¬
eines stilvollen Schönheitskults, den Philosophen
greifenden Werkchen, ein letzter Zusammenschluß von
und Psychologen mit dem seelen= und nervendurch¬
Vorwurf und Ausführung, die überzeugende, zwin¬
schauenden Blick, mit der peinlich abwägenden Be¬
gende Geschlossenheit der Form wie des Gehalts.
urteilung sexueller Verwicklungen, abgerissen plötz¬
Und langsam und still ist Schnitzlers Kunst dann
licher Taten, geistiger Dämmerstunden.
zur Reife gediehen, in einem steken, selbstsicheren
Geliebt hat man Schnitzler in Wien immer und
Fortschreiten. Eines Tages erwachte man über einem
seit einiger Zeit ist er sogar Mode geworden. Man
neuen Buche Schnitzlers und fand den großen
kann seine Stücke nun vor übervollen Häusern sehen
Dichter großer Menschlichkeiten. Denn wer hätte
und sein heutiger Geburtstag wird mit viel Ge¬
dem graziösen Zündler des „Anatol“ die Tiefe und
schäftigkeit gefeiert. Es wäre dazu viel zu sagen.
Stille des „Einsamen Wegs“ die Problematik und
Denn Schnitzler hat diese Ehren verdient. Gerade
Weltphilosophie des „Weges ins Freie“, die virtuose
um Wien verdient. Wie seine Kunst eine Spiege¬
Gefühlsakrobatik and wundervolle Melancholie des
lung und Vertiefung, eine dichterische Veredelung
„Zwischenspiel“, die harte herbe Tragik des „Ruf des
des nervösen modernen Großstadtlebens überhaupt
Lebens“ die balladeske Differenziertheit des „Me¬
ist, zugleich eine geistige Klärung und Beruhigung
dardus“, die oft groteske Kraft der Dramatik und
1 Psychologie, wie sie das „Weite Land“ bietet, zu= der Gegensätze und Verwicklungen dieses Milieus, so
hat er speziell ein Milieu und eine Zeit, die heute
fast nur mehr Vorwurf für lästigen Kitsch sind,
künstlerisch gerettet. Denn die etwas verdächtige
Poesie des Wiener Waldes und der abendlichen
amoureusen Wiener Flirtstunden, des schon der Ver¬
gangenheit angehörenden „süßen Mädls“, der seligen
„Heurigen"=Zechen unter Geigenklang und Flieder¬
duft, des trauersüßen Gewerkels der Wiener Leier=¬
kästen hat er echt und lebendig gemacht. In seinem:
Werk ist sie zur Ewigkeit auferstanden.
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