e ene en cheencheen gen shentanemescheen
Am Eingange seines Schaffens stand der junge, sinnesfrohe Anatol, das
letzte bedeutsame Wort in seiner bisherigen Produktion hat der Fabrikant
Hofreiter in der Angst des herannahenden Alters gesprochen. Der Lebens¬
inhalt des genießenden Nichtstuers war das Weib und immer wieder das
Weib, das er an sich zog und enttäuscht beiseite warf, der reife Held im
„Weiten Lande“ zieht das Fazit seines Daseins vor einer Frau: „Wenn man
Zeit hat und in der Laune ist, so baut man Fabriken, erobert Länder, schreibt
Sinfonien, aber glaub mir, das alles ist Nebensache, die Hauptsache seid ihr!
ihr!“ Was an fein abschattierten und leise differenzierten Gestalten zwischen
diesen beiden Polen steht, was an kunstvollen und wohl auch gelegentlich
künstlichen Motiven ersonnen worden, es ist eine Huldigung für die sinnliche
Liebe, sei's im augenblicklichen Genusse, seis im sehnsüchtigen Schrei nach
ruhiger Beständigkeit. So ist's wohl eine kleine, engumgrenzte Welt, die der
Dichter geschaffen, aber es ist eine Welt, in der er unumschränkt gebietet. Und
in ihrer scheinbaren Armut steckt eine unendliche Fülle, die als leichtfertig ge¬
scholtene Erotik birgt in sich die Ethik eines tiefen Schmerzes, einer sittlichen
Skepsis, die ihn unendlich hoch über den Dichter des „süßen Mädels“ empor¬
hebt, mit welcher Etikette man ihn gelegentlich abzutun glaubte, ohne zu be¬
achten, wie viel schroffe Eigenart oft auch in diesen so entzückenden Wiener
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Grisetten steckt. „Man nennt mich's süße Mädel, ob ich süß bin oder nicht“
singt die Marionette in seinem Wurstelspiel. Man hörte zu gerne auf die
Koseworte, die ins kleine Ohr Annies oder Mitzis geflüstert werden, man
fühlte die weichen Lippen des dummen Mädels, das willig dem Lockrufe des
Abenteuers folgt, mit Behagen auf dem eigenen Munde nehmen, die hinreißenden
Szenen augenblicklicher Lust, wie sie noch kein Meister der deutschen Sprache
auch nur annähernd so verwegen und zugleich mit so künstlerischem Maße
dargestellt, wie Arthur Schnitzler im „Reigen“, ließen die tiefen Untertöne des
Leides überhören, die aus solchen Momenten rascher Wallungen und lauter
Betäubung klangen, und das Knochengerüste mit der Sense, das höhnisch auf
die heiße Umarmung blickte, stand unbemerkt im Hintergrunde. Schnitzlers
Erotik, es ist jene letzte Nacht, die der Herzog im „Schleier der Beatrice“
feiert, sie soll alle Lüste und Gluten der wildesten Orgie entfesseln — und ihr
Ende ist Enttäuschung und Überdruß. Es ist äußerst selten, daß der Dichter
es vermag, sich ungehemmt dem schönen Augenblicke hinzugeben. Der Er¬
füllung der heißen Gier folgt der Ekel und selbst im „Reigen“ klingen die
kurzen Liebesstunden meist in eine physische und geistige Ernüchterung aus;
im Anfange jedes Verhältnisses liegt schon das nahe Ende und wird im ersten
Kusse vorausgesehen; selbst ein sich fest gestaltendes Bündnis wie das Annas
und Georgs im „Weg ins Freie“, scheint dem scheidenden Liebhaber schon
in der ersten Begegnung die ganze Katastrophe in sich getragen zu haben;
und so spricht auch in einem seiner seltenen lyrischen Gedichte die Gelier.
die er vergeblich mit neuen Seligkeiten und ungekanntem Leid erfüllen möchte,
mit stummen Lächeln: „Ich kenn' ja auch das Ende — wie's immer kommt
mit Ekel und Betrug.
Auch dieser Gedanke an das Ende des Liebens steht im innigsten Zu¬
sammenhange mit dem peinigenden Bewußtsein vom Ende des Lebens.
„Gibt es einen anständigen Menschen, der in irgendeiner guten Stunde in
tiefster Seele an etwas anderes denkt?“ fragt er einmal. Es ist die physische
Tatsache des Aufhörens, die ihn so unablässig quält, das Jenseits kann ihn
wenig kümmern: „Nichts kommt nach uns, alles stirbt mit uns.“ Der Augen¬
blick mit seinem Scheiden, von denen niemand uns erzählt hat, dieses brutale
Aufhören, das wir nicht verstehen und nie verstehen können, läßt einen seiner
sterbenden Helden mit neiderfülltem Hasse auf das frische Leben an seiner
Seite blicken, das „noch jung und lebendig sein wird, und lachen wird, wenn
er nicht mehr lachen und weinen kann.“
Sein Beruf als Arzt hat Schnitzler keine Antwort auf seine bangen Fragen
gegeben, sondern ihn nur die tiefste Versenkung in die körperliche Zersetzung
gelehrt, wie sie aus der meisterhaften analytischen Studie „Sterben“ spricht.
Was hier ein Hauptmotiv bildet, kehrt in Drama und Novelle immer wieder,
die scharfe Nebeneinanderstellung des lebenden und des toten Wesens, die Ge¬
liebte neben der Leiche des Freundes, ja auch die Liebesfeier praesente cadavere.
So umdröhnt ihn, wie seinen Medardus, „das Wort Tod wie dunkle Glocken“.
Am Eingange seines Schaffens stand der junge, sinnesfrohe Anatol, das
letzte bedeutsame Wort in seiner bisherigen Produktion hat der Fabrikant
Hofreiter in der Angst des herannahenden Alters gesprochen. Der Lebens¬
inhalt des genießenden Nichtstuers war das Weib und immer wieder das
Weib, das er an sich zog und enttäuscht beiseite warf, der reife Held im
„Weiten Lande“ zieht das Fazit seines Daseins vor einer Frau: „Wenn man
Zeit hat und in der Laune ist, so baut man Fabriken, erobert Länder, schreibt
Sinfonien, aber glaub mir, das alles ist Nebensache, die Hauptsache seid ihr!
ihr!“ Was an fein abschattierten und leise differenzierten Gestalten zwischen
diesen beiden Polen steht, was an kunstvollen und wohl auch gelegentlich
künstlichen Motiven ersonnen worden, es ist eine Huldigung für die sinnliche
Liebe, sei's im augenblicklichen Genusse, seis im sehnsüchtigen Schrei nach
ruhiger Beständigkeit. So ist's wohl eine kleine, engumgrenzte Welt, die der
Dichter geschaffen, aber es ist eine Welt, in der er unumschränkt gebietet. Und
in ihrer scheinbaren Armut steckt eine unendliche Fülle, die als leichtfertig ge¬
scholtene Erotik birgt in sich die Ethik eines tiefen Schmerzes, einer sittlichen
Skepsis, die ihn unendlich hoch über den Dichter des „süßen Mädels“ empor¬
hebt, mit welcher Etikette man ihn gelegentlich abzutun glaubte, ohne zu be¬
achten, wie viel schroffe Eigenart oft auch in diesen so entzückenden Wiener
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Grisetten steckt. „Man nennt mich's süße Mädel, ob ich süß bin oder nicht“
singt die Marionette in seinem Wurstelspiel. Man hörte zu gerne auf die
Koseworte, die ins kleine Ohr Annies oder Mitzis geflüstert werden, man
fühlte die weichen Lippen des dummen Mädels, das willig dem Lockrufe des
Abenteuers folgt, mit Behagen auf dem eigenen Munde nehmen, die hinreißenden
Szenen augenblicklicher Lust, wie sie noch kein Meister der deutschen Sprache
auch nur annähernd so verwegen und zugleich mit so künstlerischem Maße
dargestellt, wie Arthur Schnitzler im „Reigen“, ließen die tiefen Untertöne des
Leides überhören, die aus solchen Momenten rascher Wallungen und lauter
Betäubung klangen, und das Knochengerüste mit der Sense, das höhnisch auf
die heiße Umarmung blickte, stand unbemerkt im Hintergrunde. Schnitzlers
Erotik, es ist jene letzte Nacht, die der Herzog im „Schleier der Beatrice“
feiert, sie soll alle Lüste und Gluten der wildesten Orgie entfesseln — und ihr
Ende ist Enttäuschung und Überdruß. Es ist äußerst selten, daß der Dichter
es vermag, sich ungehemmt dem schönen Augenblicke hinzugeben. Der Er¬
füllung der heißen Gier folgt der Ekel und selbst im „Reigen“ klingen die
kurzen Liebesstunden meist in eine physische und geistige Ernüchterung aus;
im Anfange jedes Verhältnisses liegt schon das nahe Ende und wird im ersten
Kusse vorausgesehen; selbst ein sich fest gestaltendes Bündnis wie das Annas
und Georgs im „Weg ins Freie“, scheint dem scheidenden Liebhaber schon
in der ersten Begegnung die ganze Katastrophe in sich getragen zu haben;
und so spricht auch in einem seiner seltenen lyrischen Gedichte die Gelier.
die er vergeblich mit neuen Seligkeiten und ungekanntem Leid erfüllen möchte,
mit stummen Lächeln: „Ich kenn' ja auch das Ende — wie's immer kommt
mit Ekel und Betrug.
Auch dieser Gedanke an das Ende des Liebens steht im innigsten Zu¬
sammenhange mit dem peinigenden Bewußtsein vom Ende des Lebens.
„Gibt es einen anständigen Menschen, der in irgendeiner guten Stunde in
tiefster Seele an etwas anderes denkt?“ fragt er einmal. Es ist die physische
Tatsache des Aufhörens, die ihn so unablässig quält, das Jenseits kann ihn
wenig kümmern: „Nichts kommt nach uns, alles stirbt mit uns.“ Der Augen¬
blick mit seinem Scheiden, von denen niemand uns erzählt hat, dieses brutale
Aufhören, das wir nicht verstehen und nie verstehen können, läßt einen seiner
sterbenden Helden mit neiderfülltem Hasse auf das frische Leben an seiner
Seite blicken, das „noch jung und lebendig sein wird, und lachen wird, wenn
er nicht mehr lachen und weinen kann.“
Sein Beruf als Arzt hat Schnitzler keine Antwort auf seine bangen Fragen
gegeben, sondern ihn nur die tiefste Versenkung in die körperliche Zersetzung
gelehrt, wie sie aus der meisterhaften analytischen Studie „Sterben“ spricht.
Was hier ein Hauptmotiv bildet, kehrt in Drama und Novelle immer wieder,
die scharfe Nebeneinanderstellung des lebenden und des toten Wesens, die Ge¬
liebte neben der Leiche des Freundes, ja auch die Liebesfeier praesente cadavere.
So umdröhnt ihn, wie seinen Medardus, „das Wort Tod wie dunkle Glocken“.