VII, Verschiedenes 2, 50ster Geburtstag, Seite 84


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Alexander v. Weilen, Arthur Schnitzler.
Diagnostik des Arztes gemein hat. Er hält geradezu Konsilium über Seelen,
seine Probleme werden zu naturwissenschaftlichen Experimenten, es ist bei ihm
mehr als der traditionelle Behelf des Beraters, wenn er den medizinischen
Hausfreund in wenigen seiner Stücke völlig entbehren kann. Und auch über jene
Grausamkeit, die dem Herrn über Leben und Tod seiner Patienten inne
wohnen muß, verfügt Schnitzler, der seine Marie, die den Ruf des Lebens
vernimmt, den Vater hinmorden läßt, oder seinen Wergenthin durch unbarm¬
herzige Sophismen von der Last Annas befreit. Und in der „Hirtenflöte“
stößt der klügelnde Gatte das Weib rücksichtslos in ein Leben hinaus, dem
sie sich nicht gewachsen erweist. Er baut sein Drama ganz auf den Dialog
auf, im „Zwischenspiel“ wird er zum Stücke selbst und im „Weiten Land“ ist
er zu einer Vollendung durchgebildet, die heute kein zweites Stück der
deutschen Literatur aufzuweisen hat. Daß er mit den zartesten Nuancen der
Analyse, der schärfsten Zergliederung von Gedanken, der wohlabgetönten Kunst
der Stimmung echt dramatische Wirkungen erreicht, das liegt darin, daß bei
aller Zwiespaltigkeit und Kompliziertheit seines geistigen Wesens doch ein
wahrer Dichter, ein echter Künstler ihm die Feder führt. Über die Trostlosig¬
keit seiner fatalistischen Lebensanschauungen siegt der offene, freie Blick für
einen begrenzten, aber sicher in allen seinen Abstufungen und Varietäten er¬
faßten Kreis von Menschen und Dingen, vergebens sucht Selbstpersiflage und
Pose, wie sie wieder aus den Grundtiefen seiner Nationalität durchbrechen,
die echte, dichterische Sentimentalität und die tief schlummernden Regungen
kindlicher Naivität, ohne die kein wahrer Poet sein mag, zu unterdrücken.
Gewiß — ein unbewußt schaffender, mit sich fortreißender Genius ist Arthur
Schnitzler nicht, er bleibt ganz Kind unserer Zeit und der Kultur unserer Zeit.
Aber aus dieser Kultur hat er einen vollendeten Geschmack, eine gewissenhaft
gepflegte künstlerische Form, eine Grazie überkommen, die ihn zum vollen¬
detsten Repräsentanten dessen machen, was eine artistisch angelegte Epoche
nur geben kann.
Und das Beste seiner Kunst hat ihm doch seine Heimat, hat ihm Wien
geschenkt. Das schwere Blut seines Wesens und Denkens hat das Atmen in
der süddeutschen Luft verdünnt, der herbe Fatalismus mildert sich zum weisen
Quietismus eines Grillparzer, eines Saar, einer Ebner, seine literarischen Vor¬
bilder formten sich um: die Frivolität des Romanen wurde zahmer, die elegische
Klage Mussets weicher, die Bilderfülle d'Annunzios maßvoller, der Ernst
Ibsens und die Grausamkeit Strindbergs sprachen in versöhnlicheren Tönen.
Von seiner musikalischen Sprache, die sich gerne wiegt wie die Wipfel des
Wienerwaldes im leisen Hauche, von seinem Zauber in Stimmungen der
Großstadt wie der Ländlichkeit, die selten weitab vom Stephansplatze oder den
von uns gerne heimgesuchten Sommerfrischen liegt, sind seine Menschen und
Dinge so umflossen, daß sie oft in dünnen Nebel verfließen wie das Häuser¬
meer, das man vom Kahlenberge überblickt. In seinen raschen Übergängen
von Freude zum Schmerz, der nie so tief sich ausspricht als er vom Dichter
gefühlt wird, in der Freude am Flitter des Theaters, in der ganzen Atmo¬
sphäre der Kunst, die seinen zahlreichen Dichtern und Musikern notwendiger