VII, Verschiedenes 2, 50ster Geburtstag, Seite 83


box 39/1
Soth Birthdar
298
Alexander v. Weilen, Arthur Schnitzler.
#tiger mit scharfem Schwerte, das den Dichter selber mitnimmt. Und wer es
wagt, mit kühner Hand die Menschlein dirigieren zu wollen, der muß einsehen,
wie der gescheiterte Puppenspieler Georg Merklin, daß er leiten wollte und
geleitet wurde, oder er bekommt wie Paracelsus Angst vor den Mächten, die
er beschworen.
Mit uns spielt das Schicksal und wir selber spielen das Leben. Da ver¬
schwimmt uns Liebe und Verrat, Wahrheit und Lüge, Wirklichkeit und Phantasie¬
gebilde gleitet fast nicht unterscheidbar ineinander über. Leben ein Traum,
Traum ein Leben — schon ein kleines Jugendstück hat dem bunten Gemenge,
das der „Paracelsus“ oder „Die Frau mit dem Dolche“ aufrollt, vorgearbeitet.
Und moderner Psychoanalyse vorgreifend, wird im „Schleier der Beatrice“ das
Mädchen, das im Schlafe die Küsse des Herzogs gefühlt, von Filippo als
„Dirne“ zurückgestoßen, denn „Träume sind Begierden ohne Mut.“ Ein Ge¬
danke, den Hebbel einmal auf einem Tagebuchblatte ausgesprochen: „Jemanden
verklagen, weil er niederträchtig von einem träumt: denn das setzt voraus,
daß er niederträchtig von einem denkt.“ Die Welt, in der man spielt — es
ist die unumschränkte Domäne Schnitzlers: man spielt Liebe und Ehe, Ehre
und Recht, die Menschen sind nicht, was sie scheinen und scheinen nicht, was
sie sind. Hinter harmlosen Worten bergen sich Gefühle und hinter scheinbaren
Gefühlen leere Floskeln. Wie bezeichnend, wenn der an der Leiche der Ge¬
liebten verzweifelnde Jüngling für sein wahres Empfinden die affektierte
Wendung findet: „Ich bin ihr Seladon, ihr unglücklicher Seladon!“ So geht
er gern in das Spiel des Spieles und holt sich seine Menschen hinter Coulissen
und Courtinen hervor. „Einer, der uns vorspielen kann, was er will, ist doch
mehr, als wir alle.“ Die schöne Illusion ist mehr als die Wirklichkeit, wie
die Lüge, die ein Haus baute, immer besser bleibt als die Wahrheit, die es
zerstört. Anatol hat das Mittel in der Hand, bestimmt zu wissen, ob ihm
Cora treu sei. Rasch weckt er sie aus dem hypnotischen Schlafe, die Ungewißheit
ist ihm mehr wert als die brutale Sicherheit. Und um seiner Illusion der weiblichen
Treue wegen tötet sich der stille Andreas Thameyer, der lieber aus alten
Schmöckern Beispiele für das Versehen der Schwangeren herbeiholt, als
glauben will, daß seine Frau sich mit einem Neger vergangen.
Und als Puppenspieler im tiefsten Sinne des Wortes ist Arthur Schnitzler
zum Dramatiker geworden. Er dirigiert die Fäden: leitete er sie in der älteren
Periode seines Schaffens zu einer bestimmten These hin, so läßt er seine
Figuren nunmehr gegeneinander auftreten und erst aus ihren Beziehungen
das Drama erstehen. Aber Herr bleibt er über sie, er läßt sie nicht aus der
Hand: so ist er immer seinen Geschöpfen überlegen, er behandelt sie von oben
herab, mit einer Ironie, die sich szenisch gar oft in Formen der Romantik
umsetzt. In voller Übereinstimmung mit der Zerrissenheit seines Wesens
ist er zugleich Schöpfer und Kritiker seiner Gestalten. Im innersten
Kern Epiker, erreicht er seine schönsten Wirkungen nicht mit der ro¬
busten Gesundheit des geborenen Bühnendichters, sondern mit der etwas
blassen, kränkelnden aber überaus feinen Kunst einer Dialektik, die wieder
viel mit der sorgsam erwägenden, alle Möglichkeiten ins Auge fassenden