URBOETEREE KUIS?—
Frünn.
2u. Mal FArendblaut
vom:
14
Ein fünfzigster Geburts= und ein
fünfzigster Todestag.
(Artur=Schnitzler=Feiern im Burg=, Volks= und Josefstädter Thea¬
ter, Schnitzter=Lesellbende, sein neues Novellenbuch „Masken und
Wunder“ und die Biographie Julius Kapps. — Die Nestroy=Feier
des Deutschen Volkstheaters und die von Karl Kraus.)
Wiener Brief von Wilhelm v. Wymetal.
Der fünfzigste Geburtstag Artur Schnitzlers, der
am 15. Mai gefeiert wurde, ist von den Wiener Theatern
nicht so begangen worden, wie man es erwartet hätte,
w# es angekündigt war und wie es dieser representative
man unter den lebenden Dichtern Österreichs verdient
hätte. Die Wiener Bühnen haben sich damit begnügt, ein
Schnitzlersches Stück, das sie im Spielplan ganz oder halb
„stehen“ hatten, am Festtag anzusetzen. So spielte das
Burgtheater die Tragikomödie „Das weite Land“, des
Autors letzte dramatische Arbeit und zugleich eines der
erfolgreichsten Dramen des laufenden Burgtheaterjahres,
und, um ein übrigens zu tun, gab man einige Tage vor
dem 15. die dramatische Historie vom „Jungen Me¬
dardus“, eine Vorstellung, die leider von ihrem anfäng¬
lichen Glanz schon recht viel eingebüßt hat und beweist,
daß Baron Berger nicht, wie der von ihm unterschätzte
Laube, auch den abgespielten Werken die erforderliche Auf¬
merksamkeit widmet. Für das Burgtheater hätte es übri¬
gens nur eine Schnitzlerfeier geben dürfen, die Auffüh¬
rung des einzigen in Wien noch nicht zum Bühnenleben
gelangten Dramas des Dichters, der aus dem Jahre 1900
stammenden Renaissancetragödie „Der Schleier der
Beatrice". Die farbenglühende Vers= und Kostüm¬
tragödie verlangt nach dem Burgtheater; sie war dort auch
von Schlenther seinerzeit zur Aufführung angenommen,
und die häßliche Weise, in der sich der vorige Burgtheater¬
leiter dieser Verpflichtung entledigte, hätte für den jetzigen
Direktor ein Ansporn sein können, diese alte Schuld abzu¬
tragen. Hätte sein können! War es aber nicht! Obwohl
Schnitzler nach seinen Erfahrungen, die er bei den Proben
des Dramas in Deutschland gesammelt hat, gewiß das
übermaß der Reflexionen und die überfülle der Vers¬
sprache so gekürzt hat, daß die Tragödie nicht mehr den
Rahmen eines Theaterabends sprengt und auch von dem
gewöhnlichen Publikum gut ausgenommen werden würde.
Denn die Neigung, deren sich Schnitzler heute erfreut, ist
so groß und allgemein, daß die anderen älteren Werke
des Dichters, die einst bei ihrer Uraufführung harte Kämpfe
zu bestehen hatten, wie „Märchen", „Freiwild“, „Der ein¬
same Weg“ und „Der Ruf des Lebens“, allesamt durch
Aufführungen der jüngsten Zeit rehabilitiert wurden; bloß
„Der Schleier der Beatrice“ harrt noch seines Erweckers,
der nicht ausbleiben wird und für den ietzt eine schöne Ge¬
legenheit verpaßt wurde ...
Die zwei Wiener Privattheater, die sich Schnitzlers
erinnerten, das Deutsche Volkstheater und das Josefstädter
Theater, boten Werke, die einstmals, als des Dichters Novi¬
täten noch regelmäßig zuerst im Burgtheater erschienen,
Glanzvorstellungen der Burg waren: die „Liebelei“
den „Grünen Kakadu“ und „Das Vermächtnis“.
Für die „Liebelei“ hat das Volkstheater zwei vollkommene
Interpreten: das schnippische Fräulein Waldow als
Mizzi Schlager und Kutschera als Vater Weiring, der
in dieser Rolle einen Vergleich mit Sonnenthal nicht zu
scheuen braucht; dagegen kann sich Fräulein Ehren, die
neueste Christine, mit ihrer schmerzlich vermißten Vor¬
gängerin Berta Hannemann nicht messen, noch nicht
messen. Weniger als die bürgerliche Wiener Liebesgeschichte
liegt dem Volkstheaterensemble nach seiner gegenwärtigen
Struktur die französische Revolutionsgroteske „Der grüne
Kakadu“, die auch einer ganz besonderen Vorbereitung
bedarf, zu der man sich im Mai nicht mehr recht ent¬
schließt ... Die Toni Weber im „Vermächtnis“ hat Frau
Niese schen vor einigen Jahren von Frau Schratt
übernommin; sie verkörpert auch diese rührende Gestalt
mit der schlichten Innigkeit und ergreifenden Echtheit, mit
der sie stets ihre Kinder aus dem Volke den in salbungs¬
vollen Phrasen und verlogenen Konventionen erstickten
Menschen der guten Gesellschaft gegenüberstellt. Neben ihr
zeichnet Lessen scharf den Hauptgegenspieler, den Moral¬
satzke, der nicht ruht noch rastet, bis er die unglückliche
illegitime Witwe aus dem Elternhaus des jäh verstorbenen
Geliebten, wo sie eine Zuflucht gefunden zu haben hoffte,
wieder hinausgebissen hat, und Maran gibt dem pfeudo¬
liberalen, selbstgefälligen Schwätzer Professor Losatti deut¬
liche Umrisse. Es ist üblich, „Märchen", „Freiwild“ und
„Vermächtnis“ als mißratene „Tendenzdramen“ einer
Übergangszeit Schnitzlers von oben herab zu behandeln.
Ich bin nicht dieser sehr verbreiteten Meinung, sondern
halte das „Vermächtnis“ nicht nur für eines der gelun¬
gensten Dramen des Dichters, sondern überhaupt für ein
deutsches Schauspiel, das ob seiner reinen Menschlichkeit
dauern wird . . . Die Hofoper hat sich die Gelegenheit zu
einem ganz originellen Schnitzler=Abend entgehen lassen.
Daß der gewiegte Geschäftsmann Gregor nicht auf die
Idee kam, dem Ehrentag Schnitzlers und dem liebevollen
Anteil Wiens an diesem Tag — es dürfte wenige aner¬
kannte österreichische Poeten geben, die so wenig Feinde
und Neider haben, wie Schnitzler! — Rechnung zu tragen,
wundert einen eigentlich, Gregor hätte für eine Schnitzler¬
Feier zwei just den Abend füllende Musikwerke nach Texten
unseres Dichters zur Verfügung gehabt: Ernst v. Dohna¬
nyis Pantomime „Der Schleierder Pierrette“ und
Oskar Strausens „Tapferen Kassian“. „Der Schleier
der Pierrette“ ist seinerzeit nur der unglückseligen Zu¬
sammenspannung mit einem Gastspiel Carusos zu* Opfer
gefallen. Seither ruht die wertvolle Ausstattung ungenutzt
im Magazin. Daß die Pantomime lebensfähig ist, hat
vor kurzem eine zu wohltätigem Zweck veranstaltete ein¬
malige Aufführung in der Urania gezeigt, die Dohnanyi
selbst mit lebendigem Feuer dirigierte. Das Tonkünstler¬
orchester folgte ihm auf den leifesten Wink. Auf der Bühne
agierte Elsa Galafres die Pierrette, Ferdinand Onno
den Pierrot, beide im Schauspielerischen prägnanter, im
Tänzerischen schwächer als die Darsteller der Hofoper.
Die völlige Nichteignung der winzigen, aller technischen
Behelfe entbehrenden Bühne der Urania für so prunkvoll
gedachte Bilder, wie das des Hochzeitsfestes im Altwiener,
Hause, erweckte eine fast brennende Sehnsucht, das eigen¬
artige Opus noch einmal in der großen Oper zu genjeßen.
Den „Tapferen Kassian“ aber hat die Hofoper (ihr Or¬
chester, ihr Dirigent Schalk, ihr Oberregisseur Wymetal,
dann Hofbauer, Maikl und Fräulein Francillo=Kaufmann)
vor wenigen Wochen für zwei Concordia=Matineen fixt
und fertig einstudiert. Gregor tat zweifellos recht daran,
einem Oskar Straus daraufhin gleichwohl nicht sofort die
Pforten der Hofoper zu öffnen. Aber bei einer Schnitzler¬
Feier hätte man ihm das nicht nur verziehen, sondern so¬
gat gedankt, er hätte dem Dichter, den zwei Komponisten,
der Presse und dem Publikum Freude bereitet und sich
wahrscheinlich noch dazu ein gutes Geschäft verschafft ....
Auch durch Leseabende ist Schnitzler — nicht eben sonder¬
lich glücklich — gefeiert worden; einen veranstaltete die auf¬
strebende Zeitschrift „Der Merker“ unter Mitwirkung
Saltens, Korffs sowie der Damen Galafres und Marberg)
einen zweiten gab der Akademische Verband für
Literatur und Musik seinen Mitgliedern und Freun¬
den, denen Onno den „Schleier der Beatrice“ vorlas. Beim
ersteren Abend war die Auswahl der vorgetragenen No¬
vellen — warum wurde nicht die wirksame Skizze „Die
Toten schweigen“ gelesen? — unglücklich, an letzterem Abend
jedoch zeigte sich wieder einmal, wie schwer und gefährlich
es für einen Schauspieler ist, auch wenn ihm Intelligenz
und Begabung eignen, ein fünfaktiges, personenreiches
Drama plastisch vorzutragen.
Die schönste Schnitzlerfeier hat — um einen Blick aus
Wiens Mauern hinauszuwerfen — der Verlag S.
Fischer veranstaltet, indem er den Verehrern des Poeten
zu dessen fünfzigstem Geburtstag ein neues Novellenbuch
„Masken und Wunder“, auf den Lesetisch legte.
Neues für die treuesten und aufmerksamsten Leser Schnitz¬
lers enthält freilich dieser Band nicht: die romantische
Phantasie „Die Hirtenflöte“ hat man im Septemberheft
der „Neuen Rundschau“, die Liebes. und Todesgeschichte
„Der Mörder“ in der „Neuen Freien Presse“ die mystische
Träumerei „Das Tagebuch der Redeg
der „Süddeutschen Monatshefte“ un
dreifache Warnung“ im „Jubiläums
lesen; auch die kleine Bosheit „Der #
und die Novelette „Der tote Gabri
gelesen zu haben. In fünf von den
am Schlusse der Tod, und auch in der
flöte“, ist das Ende ein Entfliehen
Versinken, das dem Tode gleichzuoch
daß das Problem des Sterbens un
Todes, die Schnitzlern stets beschäfti
menden Jahren immer stärker sein S
Dabei werden ihm Stil und Sprachs
tender, durchsichtiger, schlackenloser.
gut gemeint war wohl das Buch „
Dr. Julius Kapp (erschienen im
zu Leipzig, 1912). Es ist aber als
graphie über den Dichter — außer
zwei Broschüren, eine von H. Lan
von A. Salkind, über den Dicht
den — herzlich schlecht ausgefallen;
weiliger Feuilletons mit umständliche
ohne tiefer eindringende formale An
lobt Kapp das eine, tadelt er das an
ohne das geistige Band voll zu erfasse
greulich ist, was er auf den acht Seite
das „Literarische Jung=Österreich“
hält Beethoven für einen geborenen
derholt die längst widerlegte Fabe
„Eroica“ sei „dem Hungertode nahe“
Behandlung der deutschen Sprache
Fünfer! (Er verbindet den Kompara
„als“, er stellt in einen „weder¬n
„nicht“ hinein, und was der Fehler
ders komisch bei einem Urteiler wir
und Sprache eines Schnitzler zu Ger
Es ist schade, daß sich kein Berufene
längst fälligen Schnitzlermonograph
socerem Geschwätze kann dem Künf
nich geschabet sein.
Ziemlich gpprovisiert mutete a
WAA
Frünn.
2u. Mal FArendblaut
vom:
14
Ein fünfzigster Geburts= und ein
fünfzigster Todestag.
(Artur=Schnitzler=Feiern im Burg=, Volks= und Josefstädter Thea¬
ter, Schnitzter=Lesellbende, sein neues Novellenbuch „Masken und
Wunder“ und die Biographie Julius Kapps. — Die Nestroy=Feier
des Deutschen Volkstheaters und die von Karl Kraus.)
Wiener Brief von Wilhelm v. Wymetal.
Der fünfzigste Geburtstag Artur Schnitzlers, der
am 15. Mai gefeiert wurde, ist von den Wiener Theatern
nicht so begangen worden, wie man es erwartet hätte,
w# es angekündigt war und wie es dieser representative
man unter den lebenden Dichtern Österreichs verdient
hätte. Die Wiener Bühnen haben sich damit begnügt, ein
Schnitzlersches Stück, das sie im Spielplan ganz oder halb
„stehen“ hatten, am Festtag anzusetzen. So spielte das
Burgtheater die Tragikomödie „Das weite Land“, des
Autors letzte dramatische Arbeit und zugleich eines der
erfolgreichsten Dramen des laufenden Burgtheaterjahres,
und, um ein übrigens zu tun, gab man einige Tage vor
dem 15. die dramatische Historie vom „Jungen Me¬
dardus“, eine Vorstellung, die leider von ihrem anfäng¬
lichen Glanz schon recht viel eingebüßt hat und beweist,
daß Baron Berger nicht, wie der von ihm unterschätzte
Laube, auch den abgespielten Werken die erforderliche Auf¬
merksamkeit widmet. Für das Burgtheater hätte es übri¬
gens nur eine Schnitzlerfeier geben dürfen, die Auffüh¬
rung des einzigen in Wien noch nicht zum Bühnenleben
gelangten Dramas des Dichters, der aus dem Jahre 1900
stammenden Renaissancetragödie „Der Schleier der
Beatrice". Die farbenglühende Vers= und Kostüm¬
tragödie verlangt nach dem Burgtheater; sie war dort auch
von Schlenther seinerzeit zur Aufführung angenommen,
und die häßliche Weise, in der sich der vorige Burgtheater¬
leiter dieser Verpflichtung entledigte, hätte für den jetzigen
Direktor ein Ansporn sein können, diese alte Schuld abzu¬
tragen. Hätte sein können! War es aber nicht! Obwohl
Schnitzler nach seinen Erfahrungen, die er bei den Proben
des Dramas in Deutschland gesammelt hat, gewiß das
übermaß der Reflexionen und die überfülle der Vers¬
sprache so gekürzt hat, daß die Tragödie nicht mehr den
Rahmen eines Theaterabends sprengt und auch von dem
gewöhnlichen Publikum gut ausgenommen werden würde.
Denn die Neigung, deren sich Schnitzler heute erfreut, ist
so groß und allgemein, daß die anderen älteren Werke
des Dichters, die einst bei ihrer Uraufführung harte Kämpfe
zu bestehen hatten, wie „Märchen", „Freiwild“, „Der ein¬
same Weg“ und „Der Ruf des Lebens“, allesamt durch
Aufführungen der jüngsten Zeit rehabilitiert wurden; bloß
„Der Schleier der Beatrice“ harrt noch seines Erweckers,
der nicht ausbleiben wird und für den ietzt eine schöne Ge¬
legenheit verpaßt wurde ...
Die zwei Wiener Privattheater, die sich Schnitzlers
erinnerten, das Deutsche Volkstheater und das Josefstädter
Theater, boten Werke, die einstmals, als des Dichters Novi¬
täten noch regelmäßig zuerst im Burgtheater erschienen,
Glanzvorstellungen der Burg waren: die „Liebelei“
den „Grünen Kakadu“ und „Das Vermächtnis“.
Für die „Liebelei“ hat das Volkstheater zwei vollkommene
Interpreten: das schnippische Fräulein Waldow als
Mizzi Schlager und Kutschera als Vater Weiring, der
in dieser Rolle einen Vergleich mit Sonnenthal nicht zu
scheuen braucht; dagegen kann sich Fräulein Ehren, die
neueste Christine, mit ihrer schmerzlich vermißten Vor¬
gängerin Berta Hannemann nicht messen, noch nicht
messen. Weniger als die bürgerliche Wiener Liebesgeschichte
liegt dem Volkstheaterensemble nach seiner gegenwärtigen
Struktur die französische Revolutionsgroteske „Der grüne
Kakadu“, die auch einer ganz besonderen Vorbereitung
bedarf, zu der man sich im Mai nicht mehr recht ent¬
schließt ... Die Toni Weber im „Vermächtnis“ hat Frau
Niese schen vor einigen Jahren von Frau Schratt
übernommin; sie verkörpert auch diese rührende Gestalt
mit der schlichten Innigkeit und ergreifenden Echtheit, mit
der sie stets ihre Kinder aus dem Volke den in salbungs¬
vollen Phrasen und verlogenen Konventionen erstickten
Menschen der guten Gesellschaft gegenüberstellt. Neben ihr
zeichnet Lessen scharf den Hauptgegenspieler, den Moral¬
satzke, der nicht ruht noch rastet, bis er die unglückliche
illegitime Witwe aus dem Elternhaus des jäh verstorbenen
Geliebten, wo sie eine Zuflucht gefunden zu haben hoffte,
wieder hinausgebissen hat, und Maran gibt dem pfeudo¬
liberalen, selbstgefälligen Schwätzer Professor Losatti deut¬
liche Umrisse. Es ist üblich, „Märchen", „Freiwild“ und
„Vermächtnis“ als mißratene „Tendenzdramen“ einer
Übergangszeit Schnitzlers von oben herab zu behandeln.
Ich bin nicht dieser sehr verbreiteten Meinung, sondern
halte das „Vermächtnis“ nicht nur für eines der gelun¬
gensten Dramen des Dichters, sondern überhaupt für ein
deutsches Schauspiel, das ob seiner reinen Menschlichkeit
dauern wird . . . Die Hofoper hat sich die Gelegenheit zu
einem ganz originellen Schnitzler=Abend entgehen lassen.
Daß der gewiegte Geschäftsmann Gregor nicht auf die
Idee kam, dem Ehrentag Schnitzlers und dem liebevollen
Anteil Wiens an diesem Tag — es dürfte wenige aner¬
kannte österreichische Poeten geben, die so wenig Feinde
und Neider haben, wie Schnitzler! — Rechnung zu tragen,
wundert einen eigentlich, Gregor hätte für eine Schnitzler¬
Feier zwei just den Abend füllende Musikwerke nach Texten
unseres Dichters zur Verfügung gehabt: Ernst v. Dohna¬
nyis Pantomime „Der Schleierder Pierrette“ und
Oskar Strausens „Tapferen Kassian“. „Der Schleier
der Pierrette“ ist seinerzeit nur der unglückseligen Zu¬
sammenspannung mit einem Gastspiel Carusos zu* Opfer
gefallen. Seither ruht die wertvolle Ausstattung ungenutzt
im Magazin. Daß die Pantomime lebensfähig ist, hat
vor kurzem eine zu wohltätigem Zweck veranstaltete ein¬
malige Aufführung in der Urania gezeigt, die Dohnanyi
selbst mit lebendigem Feuer dirigierte. Das Tonkünstler¬
orchester folgte ihm auf den leifesten Wink. Auf der Bühne
agierte Elsa Galafres die Pierrette, Ferdinand Onno
den Pierrot, beide im Schauspielerischen prägnanter, im
Tänzerischen schwächer als die Darsteller der Hofoper.
Die völlige Nichteignung der winzigen, aller technischen
Behelfe entbehrenden Bühne der Urania für so prunkvoll
gedachte Bilder, wie das des Hochzeitsfestes im Altwiener,
Hause, erweckte eine fast brennende Sehnsucht, das eigen¬
artige Opus noch einmal in der großen Oper zu genjeßen.
Den „Tapferen Kassian“ aber hat die Hofoper (ihr Or¬
chester, ihr Dirigent Schalk, ihr Oberregisseur Wymetal,
dann Hofbauer, Maikl und Fräulein Francillo=Kaufmann)
vor wenigen Wochen für zwei Concordia=Matineen fixt
und fertig einstudiert. Gregor tat zweifellos recht daran,
einem Oskar Straus daraufhin gleichwohl nicht sofort die
Pforten der Hofoper zu öffnen. Aber bei einer Schnitzler¬
Feier hätte man ihm das nicht nur verziehen, sondern so¬
gat gedankt, er hätte dem Dichter, den zwei Komponisten,
der Presse und dem Publikum Freude bereitet und sich
wahrscheinlich noch dazu ein gutes Geschäft verschafft ....
Auch durch Leseabende ist Schnitzler — nicht eben sonder¬
lich glücklich — gefeiert worden; einen veranstaltete die auf¬
strebende Zeitschrift „Der Merker“ unter Mitwirkung
Saltens, Korffs sowie der Damen Galafres und Marberg)
einen zweiten gab der Akademische Verband für
Literatur und Musik seinen Mitgliedern und Freun¬
den, denen Onno den „Schleier der Beatrice“ vorlas. Beim
ersteren Abend war die Auswahl der vorgetragenen No¬
vellen — warum wurde nicht die wirksame Skizze „Die
Toten schweigen“ gelesen? — unglücklich, an letzterem Abend
jedoch zeigte sich wieder einmal, wie schwer und gefährlich
es für einen Schauspieler ist, auch wenn ihm Intelligenz
und Begabung eignen, ein fünfaktiges, personenreiches
Drama plastisch vorzutragen.
Die schönste Schnitzlerfeier hat — um einen Blick aus
Wiens Mauern hinauszuwerfen — der Verlag S.
Fischer veranstaltet, indem er den Verehrern des Poeten
zu dessen fünfzigstem Geburtstag ein neues Novellenbuch
„Masken und Wunder“, auf den Lesetisch legte.
Neues für die treuesten und aufmerksamsten Leser Schnitz¬
lers enthält freilich dieser Band nicht: die romantische
Phantasie „Die Hirtenflöte“ hat man im Septemberheft
der „Neuen Rundschau“, die Liebes. und Todesgeschichte
„Der Mörder“ in der „Neuen Freien Presse“ die mystische
Träumerei „Das Tagebuch der Redeg
der „Süddeutschen Monatshefte“ un
dreifache Warnung“ im „Jubiläums
lesen; auch die kleine Bosheit „Der #
und die Novelette „Der tote Gabri
gelesen zu haben. In fünf von den
am Schlusse der Tod, und auch in der
flöte“, ist das Ende ein Entfliehen
Versinken, das dem Tode gleichzuoch
daß das Problem des Sterbens un
Todes, die Schnitzlern stets beschäfti
menden Jahren immer stärker sein S
Dabei werden ihm Stil und Sprachs
tender, durchsichtiger, schlackenloser.
gut gemeint war wohl das Buch „
Dr. Julius Kapp (erschienen im
zu Leipzig, 1912). Es ist aber als
graphie über den Dichter — außer
zwei Broschüren, eine von H. Lan
von A. Salkind, über den Dicht
den — herzlich schlecht ausgefallen;
weiliger Feuilletons mit umständliche
ohne tiefer eindringende formale An
lobt Kapp das eine, tadelt er das an
ohne das geistige Band voll zu erfasse
greulich ist, was er auf den acht Seite
das „Literarische Jung=Österreich“
hält Beethoven für einen geborenen
derholt die längst widerlegte Fabe
„Eroica“ sei „dem Hungertode nahe“
Behandlung der deutschen Sprache
Fünfer! (Er verbindet den Kompara
„als“, er stellt in einen „weder¬n
„nicht“ hinein, und was der Fehler
ders komisch bei einem Urteiler wir
und Sprache eines Schnitzler zu Ger
Es ist schade, daß sich kein Berufene
längst fälligen Schnitzlermonograph
socerem Geschwätze kann dem Künf
nich geschabet sein.
Ziemlich gpprovisiert mutete a
WAA