VII, Verschiedenes 2, 50ster Geburtstag, Seite 112

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SethBrinday
eitung, Bertie
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Romanische und germanische Rasse, — viele Forscher sprechen
von starkem keltischen Einfluß — haben sich in Wien zu eigener
r in Wien.
Art gemischt. Und gerade in diesem mixtum compositum des
Wiener Blutes liegt vielleicht seine Stärke, sein Reiz und seine
iner.
Macht. Auch seine Fähigkeit des Gefälligen und der leichten An¬
rihrer Spitze der scheidende
passungen an fremde Art.
ien, um gastfreundlich
Gutes Feld war gegeben in diesem Acker für jäh und üppig auf¬
in der Donaustadt und mit
schießende Kultursaat. Und so kam es im Waffentanz der Jahr¬
rüderlichen Handschlag zu
hunderte dahin, daß, als das friederizianische Berlin gerade schüch¬
i diesen Tagen. Und viele
tern sein junges Haupt zu regen begann, Wien längst Heim= und
ichste Fest aber wird die
Pflegestätte verfeinerter Lebensart, vornehmer Gewohnungen war,
um die der Ring jetzt sein
die schönen Künste hätschelte und für den Genuß des Lebens seine
jede dithyrambische Be#ed¬
Satzungen von der Seine verschrieb. Und so kam es auch, daß
sprache der Verführung, die
diese hochentwickelte, bis an die außersten Grenzen der Leistungs¬
fähigkeit getriebene Kultur vorzeitig ermüdete und nun über
blichen Seele, ist eine Ver¬
all den Dingen und Menschen zu schweben schien, die da unten in
der Hexenküche der Völkermischungen durcheinander schwirrten und
s kann. Weil sie zart und
wie eine
erschwiegen ist —
brodelten. „Es liegt ein Hauch über den Dingen, und der ist das
nd kolen, anziehen und ab¬
Beste an ihnen“, hat Gerhart Hauptmann in den „Einsamen
un — wie eine echte Frau.
Menschen“ gesagt. Dieses Wort trifft das Wesen Wiens und des
so ist, ist sie den Beethoven
Wienertums zu innerst. Und zwar ist es der Schönheitshauch einer
kfeld, Schwindt und Lanner
sterbenden Kultur, der in der pastellgetönten blauen Wiener Luft
nelhochjauchzenden, zu Tode
webt und schwebt. Man hat zuzeiten gemeint, es liege in diesem
Geliebte gewesen. Um die
Anhauch eines großen Sterbens schon ein wenig Verwesungs¬
gejubelt haben. Und wenn
geruch. Dem ist nicht so. Oder wenigstens nur in dem Sinn¬
blühenden Gemeinwesen den
daß aus jeder Verwesung neues Leben sprießt und im Vergehen
inz erweisen, so sind mitten
das neue Werden liegt.
endig, die geholfen haben,
Die Berliner Stadtväter haben Gelegenheit, sich gerade davon
wie durch ihren Haß. Und
überzeugen. Sie genießen den Zauber kultureller Abend¬
zu
ihres Geistes mehr als nur
dämmerung, dürfen aber das Bewußtsein mit forttragen, daß eben
enteil die uralte Kultur und
dieser Abenddämmerung „neue Morgenröten“ folgen werden, „die
weiteus jüngeren nordischen
noch nicht geleuchtet haben“
sing verbinde.
Sie schreiten über die Prunkstraße Europas, den Ring, durch
die alten verwinkelten Gassen der inneren Stadt, und der Pomp
se —, Hauptort und Stütz¬
verschnörkelter Barockpaläste wie die grandseigneurale Pracht des
ien;
schon in Ursprung
Wiener Gartenbaus wird ihnen die Residenz des Feudalstaats offen¬
liegen seine Entwicklungs¬
baren, in dem bei Hof noch spanisches Zeremoniell geübt wird. Dann
wohin immer der römische
aber werden sie der gewaltigen Neubauten am Franz Josephs=Kai
etzte, dahin trug er Kultur
gewahr, und die Wiener „Kollegen“ werden mit Fug darauf hin¬
ben und Ueberfluß, später
weisen, wieviel in der Gegenwart für die Versehönerung des Stadt¬
Sittenlosigkeit und Fäul¬
bildes und die Verbesserung der Hygiene geschieht. Kunstsinnige
ind sie dann dahingebraust,
Besucher werden durch die unerschöpflichen Schatzkammern des kunst¬
ersamsten und geheimnis¬
historischen Museums streifen, worauf man sie in das Haus der
kerwanderung. Und jeder
„Wiener Werkstätten“ führen und ihnen mit Stolz zeigen wird,
dmannen, Langobarden, Ost¬
welch außerordentlichen, marktbeherrschenden Aufschwung das
völkergeißelnden, aber träg
Wiener Kunstgewerbe genommen hat und wie der selbstsichere
inen haben der bildsamen
Wiener Geschmack und die natürliche Wiener Grazie ihre Kreise weit
Mehr als nur Eindrücke
über die schwarz=gelben Grenzpfähle hinaus ziehen. Und — honny
auf dem Volksboden ruhen.
soit qui mal y pense — manche von den Berliner Stadtvätern,
sboden. Er kann unendlich
Junggesellen und Epikuräer, werden vielleicht sogar Gelegenheit
ie Gefahren der Finsternis,
nehmen, sich wissenschaftlich, will sagen aus eigener Anschauung
i es ihm plötzlich einfallen,
davon zu überzeugen, daß auch das Wiener Nachtleben ein Opfer
an eine erschreckte Ober¬
der Verleumdung ist, indem es leibhaftig und sogar sehr lebhaft
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existiert und der moralischen Einrichtung des „Sperrsechserls“ sieg¬
reich spottet. Und am Ende wird es dann selbst geschehen, daß die
Wiener und Berliner Stadtparlamentarier nicht mehr bloß Berufs¬
erfahrungen zum besten geben und Interessengemeinschaft pflegen,
und daß sie sich über ganz andere Dinge unterhalten als über Hoch¬
und Tiefbauprobleme, Eingemeindung von Vororten, Untergrund¬
und Schwebebahnen, oder aber über die Personen des vielumstrittenen
verstorbenen Machthabers von Wien, um den schon die Legende
wuchert, und des „neuen Herrn“ von Berlin, des kommenden
Mannes, der vielfach die erwartungsvolle Phantasie beflügelt. Weil
doch nämlich die Rosen in Wien — und nicht zumindest in Wiens
Nachtlokalen — besonders betörend duften und die Wiener Walzer
nirgend so schmeichlerisch klingen wie in der Stadt, von der der
Volksmund singt und lacht: „Es gibt nur a Wean.“
Ein österreichischer Poet hat ein Buch geschrieben unter dem
Titel: „Das österreichische Antlitz.“ Und eben dieses österreichische
Antlitz trägt die leuchtenden Züge Wiens, die vielgeliebten, viel¬
geschmähten Züge, in denen alle Dichter und Künstler der felix
Austria sich gespiegelt haben und aus denen sie immer neue In¬
spirationen und neue Schaffensfreude empfangen. Scharfzüngige
Eiferer, Lästerer, die das Wort gleich einer Toledaner Klinge führten,
sind hervorgegangen aus dieser Stadt und haben oft genug Zeugnis
abgelegt wider sie. Die Kürenberger, Spitzer und Speidel haben
die schneidendsten Waffen ihrer Satire wider das weiche Phaakentum
der Heimat gekehrt. Und vor noch nicht langer Zeit ist ein Mo¬
derner, der vielgewandte Hermann Bahr, mit einer erbitterten
Streitschrift zu Felde gezogen gegen die große Zauberin unter den
Städten. Und doch — ihnen allen dat immer nur eifernde Liebe
Wort und Waffe geführt; jene Liebe, die aus ihrem Gegenstand
einen Inbegriff aller Vollkommenheit machen möchte und die heiß
ergrimmt, wenn sie sieht, daß Fehler und Mängel auch das geliebte
Angesicht entstellen wie jedes andere.
Die Berliner Gäste können einen frohen Blick auf das ihnen zu
Ehren geschmückte österreichische Antlitz werfen und sich überzeugen,
daß, so wenig Alt=Wien nur aus Biedermeierstübchen und schön
gemaltem Porzellan, Musik und Heurigem bestand, ebenso wenig
auch im Wien des zwanzigsten Jahrhunderts viel unbekannte Kräfte
fehlen, die rührig am Werke sind, Kräfte, mit denen es lohnt und
und reizt in ehrenden Wettbewerb zu treten.
Wenn in Wien ein großer Schauspieler stirbt, erscheinen die
Zeitungen mit Trauerrand, und die Stößer der Flaneure auf dem
Graben umfloren sich. Der fünfzigste Geburtstag Arthur Schnitz¬
lers war für das gebildete Wien — obwohl Popularität gewiß
nicht zu den Eigenschaften des individualistischen Dichters gehort —
ein Feiertag. Mit eben dieser impulsiven Herzlichkeit einem ro¬
manischen Geschenk, empfängt Wien seine reichsdeutschen Gäste.
Und zu der Verbrüderung zweier mächtiger Städtekörper flüstern
die Donauwellen süße Harmonien, während die Sonne befriedigt
lächelnd hinter dem Wiener Wald untergeht, mit ihren letzten
Strahlen den ehrwürdigen „Steffel“ umkosend. Und die Sonne
und die Donau, die Stadt und der Steffel, sie alle sind gefällig und
gefallen, weil — es in ihrer Natur liegt, gefallen zu wollen.