VII, Verschiedenes 2, 50ster Geburtstag, Seite 121

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Ebenso begrüßen wir in Ludwig Fulda jenen hervor¬
daß die Librettisten und Tondichter der gegenwärtigen Wiener
ragendsten Vertreter der literarischen Gegenwart des Deutschen
Operette, zu welcher sich das ganze Behagen der österreichischen
Reiches, welcher die Aufgabe löst, das dichterische Wort des
Gegenwart von den unerquicklichen politischen Verhältnissen
Tages vollinhaltlich auszusprechen. Das wuchtigere Deutsch¬
hinwegflüchten muß, zum allergrößten Teile Juden sind.
tum des Werdens tritt eben in Fuldas Werken zutage, der
Und so wird uns auch jene dichterische Individualität, der
Reichtum des Stimmungsgehaltes bei Schnitzler wird von der
Arzt Dr. Arthur Schnitzler, erklärlich, welche aus der sowohl
Fülle des Gedankeninhaltes bei Fulda aufgewogen. Mehr re¬
materiellen, als auch intellektuellen Uebersättigung der gro߬
flektierend als deskriptiv läßt
bürgerlichen Gesellschaft heraus
Fulda den sittlichen Vollwert nicht
den Anatol=Typus erschuf, um mit
aus der Untadelhaftigkeit des Ge¬
beginnender Regenerierung ihrer
fühles erblühen, sondern aus tief
Umwelt gefestigtere Gestalten mit
begründeten Normen des Rechtes
reiferen, wenn auch weniger
erwachsen. So steht er fest auf
harmlosen Antrieben ins Dasein
dem Boden Molières, dessen treff¬
zu stellen. Schnitzlers Werdegang
lichster Interpret er als sein Ver¬
ist in allen Tages= und Literatur¬
deutscher ist, und sucht gleich
blättern ausführlich zu lesen.
diesem dem Rechte gegen die
Seine wahrhaft vornehme Natur
Uebergriffe des Gefühles zu Hilfe
wird in zahllosen Festartikeln in
zu kommen. Auch diese an¬
das helle Licht gerückt. Seine
scheinend schwerfälligere Auf¬
Sprache, seine Konzeption sind
fassung in das fließende Gewand
als meisterhaft anerkannt. Die
reizvoller Lyrik zu kleiden, kann
Kultur des Wortes, die Ge¬
nur einem echten Dichter gegeben
schliffenheit des Gedamens sind in
sein. So stehen Fuldas drama¬
seinen Werken von einem Hoch¬
tische Werke hoch über dem dichte¬
stande, der weit über dem kul¬
rischen Mittelgut, das die zeit¬
tur len Durchschnitt unserer Tage
genössische Produktion Deutsch¬
sich erhebt. Ein wienerischer
lands bietet. Die Vornehmheit
Ariost, ist er der Dichter des
seiner literarischen Geste stellt sein
reinen, auf sich selbst gestützten Ge¬
Schaffen auf ein weit höheres
fühles, welcher sich seine eigenen
Niveau als das der gleichzeitigen,
Gesetze gibt. Von diesem Gefühl
einem anwidernden Naturalis¬
der Liebe in allen erdenklichen
mus huldigenden deutschen Lite¬
Beziehungen, in allen Arten und
ratur=Erzeugnisse ist. Die Nach¬
Abarten, strömt alle Kraft zum
welt, welche Fuldas Zeit und
Tun und zum Leiden aus. Die
Heimat nach Fuldas Werken be¬
von der
Darstellung der Liebe,
urteilen wird, wird
zartesten Zeichnung
GarachdeuugSeste und E¬
bis zur greifbat dent¬
läutertste als Ma߬
lichen Gravüre läßt
stab zur Hand bekom¬
Se
diesen Forscher der
men. Auch Fulda hat
species hominis im¬
das Beste aus seiner
mer als Psychologen,
Muum Kesc.
Zeit und aus seinem
niemals als Erotiker
Lande geschöpft, er

erscheinen. Von der
hat es mit seinem
gesamten Kritik als
durchaus schönen
der Schöpfer des zeit¬
Dichtertum durchsetzt
genössischen Wiener
und es als ein
GG
Romanes gepriesen,
Reines und Feines an
von den Theaterdirek¬
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die Umwelt wieder
toren als jener Antor
abgegeben. So ist
hochgeschätzt, dessen
auch sein Schaffen
Dramen die reichsten
von dem Gesetze dik¬
an Stimmungsge¬
tiert, das einen Juden anweist, das Beste vom Besten aus
halt und dabei die bühnenfähigsten sind, wird Schnitzler als
Zeit und Raum loszulösen und es für immerdar bestandfähig
Führer und Repräsentant von Jung=Wien in allen Landen
zu machen.
verehrt und gefeiert. Er vergißt darüber jedoch nicht, daß ihm
Fragen wir nicht, welcher von beiden, Schnitzler oder
diese Aufgabe und Bestimmung, der Beste unter jenen zu sein,
Fulda, der größere sei, sondern freuen wir uns, daß wir zwei
welche das zeitgemäße Wort in ihrem Heimatlande zu sprechen
solche Männer als echte und rechte Juden besitzen!
haben, nur deshalb zugefallen ist, weil er als Jnde geboren
1
worden und in den rein monntheistischen Anschanungen des
Judentums das Weltganze zu erfassen gelehrt worden ist. Und
Das jüdische Schulwelen in Bulgarien.
wenn er auch in seinem weiteren Schaffen kein Wort und
Von Rabbiner Dr. Rosenwasser (Sofia.)
keine Zeile schreiben wird, das chauvinistisch=jüdisch gedeutet
Die jüdischen Gemeinden in Bulgarien hatten bis vor
werden und nationale Gemüter befriedigen könnte, so wird
ganz kurzer Zeit keine Schulsorgen. Die Alljance und
doch in ihm jener Jude zu schätzen sein, der für seine Zeit und
in letzter Zeit auch der Hilfsverein der deutschen Juden nahmen
sein Land diese einem Inden zuerteilte Bestimmung erfüllt—
diese Sorgen auf sich. Unsere Gemeinden gewöhnten sich
hat.