VII, Verschiedenes 2, 50ster Geburtstag, Seite 127

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in Berlin, Budapest, Chicago, Christiania, Genf, Kopen¬
hagen, London, Madrid, Mailand, Minneapolis, New-York,
Paris, Rom, San Francisco, Stockholm, St. Petersburg.
(Quellenungabe ehne Gewähs).
Ausschnitt aus:
1011
54041·912 Die Tack
vom:
ARS
„Pan“ (Herausgeber Alfred Kerr, Berlin 22. August),
Der kleine Anti-Schnitzler-:
Karl Kraus „trat“ zum Geburtstag gegen Arthur Schnitzler „an“.
Warum? Aber weil der von der Presse gelobt wurde. Schnitzler sei
ein konzentrierter Schwächezustand. Warum? Weil er nicht kreischt
wie Kraus.
Schnitzler gegen Kraus verteidigen? Inkommensurable Größen.
Der starke Gehalt Schnitzlerischer Werke wird leben, wenn von
Kraus der Urenkel des Piccolo vom Café X. einiges Ueberlieferte weid.
Was bedeutet Karl Kraus? Zum Unterschied von Feuerköpfen
ist er mehr ein Strohfeuerkopf.
Sein prometheischer Trotz ist Krakehlerei gegen den Inseratenteil
der „Neuen Freien Presse“.
Tragikomische Figur: er unterstreicht und brüllt in die Welt: Hier
zerspringe ich, ich kann nicht anders!
Kulturkampf, indem er Banalitäten gegen die Presse brüllt. Niemals
bisher wurden mit einem größeren Triumphgeschrei offenere Türen
eingerannt.
Tragikomisch die Unvereinbarkeit von Ansprüchen und Verdiensten.
Wenn ein Bauernknecht sich als Herkules feiern lassen will, weil auch
er einen Stall ausgemistet.
Was wird von ihm bleiben? Ein paar hübsche Wortspiele, einige
gute Witze, einige Bosheiten.
(Er war der Saphir aus der Zeit des Preßkongresses.)
In einer Gesellschaft, in der von einer neuen Zeitungskorruption
die Rede war, platzte jemand heraus: „Wenn das der Kraus erfährt
bekommt er wieder eine Ohrfeige.“
Aber ist man ein Märtyrer, nur weil man Ohrfeigen empfängt?
Theodor Reik.

Genf, Kopenhagen, London, Madrid, Mailand, Minneapolis,
New-Vork, Paris, Rom, San Francisco, Stockholm, St. Pettts¬
burg, Toronto.
(Quellenangabe ohne Gewähr.)
Ausschntt#
Königsberg i. Pr.
14 70. 1972
vom:
Kunft und Wissenschaft.
Matinee im Neuen Schauspielhaus.
„Die Fünfzigjährigen und der Hundertjährige“
wardas Thema eines Vortrages, den Julius Bab am Sonntag
Vakmittag im Neuen Schauspielhaus hielt. Der Vortrag bezweckte
##6 konnte man nach dem Titel des Themas wenigstens annehmen),
die Beziehungen zwischen jener Dichtergeneration, deren hervor¬
ragendste Führer wie Hauptmann, Schnitzler, Maeterlinck u.s.w. in
diesem Jahre ihren fünfzigsten Geburtstag begehen, und dem Dichter
aufzuzeigen, der in vieler Hinsicht als Vorläufer unserer Modernen
anzusprechen ist: Friedrich Hebbel, dessen hunderster Ge¬
burtstag ins Jahr 1913 fällt.
Wie der Vortragende bemerkte, könne er nicht von sämtlicher
Dichtern sprechen, die in diesem Jahre fünfzig Jahre alt würden
sondern nur von denen, die aus dem Fühlen unserer Zeit heraus ihre¬
Werke geschaffen hätten. Von diesem Gesichtspunkte kämen nur diei
Dichter: Maeterlinck, Hauptmann,
Frage.
Man sollte meinen, daß zwischen Dichtern wie dem Neuromantikkr,
Maeterlinck und dem sogeannten Naturalisten Hauptmann keinir¬
lei Berührungspunkte beständen, und doch sei dem durchaus nicht sso.)
Schon der Dichter, der zwischen beiden stände, Schnitzler, strafe dese
Behauptung Lügen. Schnitzler, dessen Begabung im wesentlichen
ekleklischer Natur sei, stehe beiden in gleicher Weise nahe, nähere sich
in einigen Werken dem symbolistischen Stile Maeterlincks, während
andre im Banne des Hauptmannschen Naturalismus ständen. —
Nach diesen einleitenden Worten wandte sich der Redner einer Be¬
sprechung von Hauptmanns dichterischer Persönlichkeit zu. Haupt¬
mann sei kein „sozialer" Dichter, obgleich er oft dafür angesprochen
werde, und könne es seiner ganzen Veranlagung nach auch gar nicht
sein. Ein Dichter, der an die Möglichkeit einer Verbesserung der
sozialen Einrichtungen glaube, müsse auch von dem Glauben an mensch¬
liche Willensfreiheit erfüllt sein. Hauptmann aber lehre uns die Ge¬
bundenheit aller Individuen. Was in seinen sogenannten sozialen
Dramen lebendig sei, sei die leidende Menschheit, das Sehnen von
Menschenseelen, die es aus ihrem Elend heraus nach Lust und Schön¬
heit verlangte. Das soziale Thema sei in ihnen schwach. Was wäre
von sozialen Besonderheiten in „Fuhrmann Henschel" und „Rose
Berndt"? Ihre seelische Veranlagung sei es, an der sie beide zu
Grunde gingen. Nicht soziale, sondern Schicksalstragödien seien es,
die Hauptmann geschrieben habe (wir würden lieber Seelentragödien
sagen). Hauptmann gestalte den Menschen, der nicht freigeboren sei;
das aber sei seine Größe, daß er durch den grauen Hintergrund die
Existenz der Seele hindurchschimmern lasse. Hier sei jedoch ein Punkt,
wo er in Friedrich Hebbel in gewissem Sinne seine Ergänzung finde;
der in mancher Beziehung jünger als Hauptmann sei. Auch Hebbel
kenne die Gebundenheit alles Menschlichen, schon aus dem Werke
Kants, das er eingehend studiert habe. Er wisse aber auch, daß es
nicht nur sollende, sondern auch wollende Wesen gebe. Jeder Mensch
habe nach ihm ein Recht auf Individualität, nur müsse sie in Ein¬
tracht mit der Welt leben. Dies sei der Sinn seines gesamten, dra¬
matischen Schaffens. Neben Gestalten, deren Streben ins Maßlose
ginge, wie Holofernes und Herodes, ständen in seinen Werken stets
— —
Persönlichkeiten wie Gyges und Dietrich von Bern in den „Nibelun¬
gen“, die ihre Individualität in Einklang mit der Welt zu setzen
wüßten, und sie verkörperten in seinem Werk die erhaltenden und auf¬
bauenden Mächte. Hierin stände Hebbel uns näher als Hauptmann,
der nur von der Gebundenheit des Menschlichen zu sprechen wisse, und
darum werde er uns immer moderner erscheinen, je mehr uns die
eute Fünfzigjährigen antiquiert anmuten dürften. Jedoch wäre es
Undank, wenn wir uns gänzlich von Hauptmann wenden würden.)
Er habe eine neue Technik, eine neue Kunst der Menschendarstellung
geschaffen. Bei ihm sei die Idee künstlerisch gestaltet, während bei
Hebbel immer ein Rest von Reflexion übrig bliebe. Seine Menschen
seien in dem Geistigen ergreifender, als im Gefühlsmäßigen; sie
wüßten zu viel um ihre eigene Persönlichkeit. Ein neuer Dichter,
der ein Weltgefühl zum Ausdruck bringen wolle, werde viel von
Hauptmann lernen müssen, wenn er über Hebbel hinauskommen
Der an geistvollen Aperaus reiche Vortrag wurds vorr
walle. —
Püblikum mit lebhaftem Beifall ausgenommen.