Soth Birthdar
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Manier nun zeigen, wie sich die Rasse, die Herkunft, die
Erziehung in einzelnen Werken spiegeln, wie Lebensumstände zu
Dichtungselementen geworden sind. Aber das ginge zu weit und
sei den Einzelbetrachtern überlassen. Bemerkenswert ist noch, daß
wir hier einer Reihe von Schriftstellern gegenüberstehen, die im
Dramatischen ihre größten Siege erfochten haben und an deren
Namen sich die Erinnerung an die größten Theatererfolge des
vergangenen Dezenniums knüpfen. Um nur einige Beispiele zu
nennen: Der Probekandidat, Flachsmann als Erzieher, Alt¬
Heidelberg, Der Talismann und Traumulus. Rechnet man noch
die geborenen Dramatiker Hauptmann und Schnitzler dazu, so
könnte man fast glauben, einer lebendigen Theatergeschichte der
jüngeren Vergangenheit gegenüberzustehen. Das ist weiter nicht
verwunderlich. Denn in der Zeit der literarischen Entwicklung
dieser Männer liegt der Siegeszug des Naturalismus, des Tendenz¬
dramas, liegt die Sehnsucht nach einem Theaterstück, nach einer
S
Stildichtung, nach einem neuen psychologischen Drama. Kurz,
liegt alles, was das Theater bewegt und ihm für unsere An¬
schauungen Stoff= und Behandlungsmöglichkeiten bietet.
Trotzdem sind auch die anderen Dichtungsarten nicht zu
kurz gekommen. Wenn wir dessen gedenken wollen, was aus
dieser Jubelreihe abseits vom Dramatischen an Wertvollem und
Bleibendem hervorgegangen ist, dann wird uns Hauptmanns
Emanuel Quint, Schnitzlers wundervolle Novellen, Ernstens
Asmus Semper, Bährs Österreichischer Romanzyklus dankbar
in den Sinn kommen, dann werden wir uns des kecken un¬
gebärdigen Lyrikers Arno Holz und des zierlichen Julda freuen
und daneben noch dessen Übersetzungskünsten, die uns den bühnen¬
mäßigsten Molière schenkten, ein herzhaftes Lob singen. Das sind
so runde, friedvolle Zusammenstellungen, die der gute, fröhliche
Zweck dieser Zeilen und ihre Veranlassung heiligt. Und es ist
fast komisch, daran zu denken, wie um diesen Menschen oder um
jenes Werk ein grimmiger Kampf tobte, Bruderkriege der
Literatur ausgefochten wurden und ernsteste Lebensangelegenheit
war, was heute, von einem Lächeln der Vergänglichkeit behütet,
als Erinnerung im Herzen oder im untersten Fache der Schränke
ruht. Hier heilt die Zeit wirklich die Wunden, die Ideale des
Jugendübermutes geschlagen haben! Man wird älter, reifer, ruhiger,
läßt jedem seine Meinung, und wenn man erst Erfolg gehabt
oder dessen gefährliche Lockungen verspürt hat, dann wird man
beinahe egoistisch. Und man muß nur zurückblicken, um zu sehen,
daß es immer so war, und daß man das Literaturgeschichte nennt.
Deswegen ist die Literatur, wie wir wissen, nicht zu kurz ge¬
kommen. Im Gegenteil.
Ich muß es immer wieder bedauern, daß sich hier, in diesem
engen Rahmen, das Einzelne im Bemerkenswerten der einzelnen
Entwicklungen nicht aufzeigen läßt. Denn diese alle haben, wie
ich schon sagte, die Revolution von 1890 mitgemacht, sind zum
Teil mit ihr zur Herrschaft gelangt, sind dann zum Teil in andere
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Manier nun zeigen, wie sich die Rasse, die Herkunft, die
Erziehung in einzelnen Werken spiegeln, wie Lebensumstände zu
Dichtungselementen geworden sind. Aber das ginge zu weit und
sei den Einzelbetrachtern überlassen. Bemerkenswert ist noch, daß
wir hier einer Reihe von Schriftstellern gegenüberstehen, die im
Dramatischen ihre größten Siege erfochten haben und an deren
Namen sich die Erinnerung an die größten Theatererfolge des
vergangenen Dezenniums knüpfen. Um nur einige Beispiele zu
nennen: Der Probekandidat, Flachsmann als Erzieher, Alt¬
Heidelberg, Der Talismann und Traumulus. Rechnet man noch
die geborenen Dramatiker Hauptmann und Schnitzler dazu, so
könnte man fast glauben, einer lebendigen Theatergeschichte der
jüngeren Vergangenheit gegenüberzustehen. Das ist weiter nicht
verwunderlich. Denn in der Zeit der literarischen Entwicklung
dieser Männer liegt der Siegeszug des Naturalismus, des Tendenz¬
dramas, liegt die Sehnsucht nach einem Theaterstück, nach einer
S
Stildichtung, nach einem neuen psychologischen Drama. Kurz,
liegt alles, was das Theater bewegt und ihm für unsere An¬
schauungen Stoff= und Behandlungsmöglichkeiten bietet.
Trotzdem sind auch die anderen Dichtungsarten nicht zu
kurz gekommen. Wenn wir dessen gedenken wollen, was aus
dieser Jubelreihe abseits vom Dramatischen an Wertvollem und
Bleibendem hervorgegangen ist, dann wird uns Hauptmanns
Emanuel Quint, Schnitzlers wundervolle Novellen, Ernstens
Asmus Semper, Bährs Österreichischer Romanzyklus dankbar
in den Sinn kommen, dann werden wir uns des kecken un¬
gebärdigen Lyrikers Arno Holz und des zierlichen Julda freuen
und daneben noch dessen Übersetzungskünsten, die uns den bühnen¬
mäßigsten Molière schenkten, ein herzhaftes Lob singen. Das sind
so runde, friedvolle Zusammenstellungen, die der gute, fröhliche
Zweck dieser Zeilen und ihre Veranlassung heiligt. Und es ist
fast komisch, daran zu denken, wie um diesen Menschen oder um
jenes Werk ein grimmiger Kampf tobte, Bruderkriege der
Literatur ausgefochten wurden und ernsteste Lebensangelegenheit
war, was heute, von einem Lächeln der Vergänglichkeit behütet,
als Erinnerung im Herzen oder im untersten Fache der Schränke
ruht. Hier heilt die Zeit wirklich die Wunden, die Ideale des
Jugendübermutes geschlagen haben! Man wird älter, reifer, ruhiger,
läßt jedem seine Meinung, und wenn man erst Erfolg gehabt
oder dessen gefährliche Lockungen verspürt hat, dann wird man
beinahe egoistisch. Und man muß nur zurückblicken, um zu sehen,
daß es immer so war, und daß man das Literaturgeschichte nennt.
Deswegen ist die Literatur, wie wir wissen, nicht zu kurz ge¬
kommen. Im Gegenteil.
Ich muß es immer wieder bedauern, daß sich hier, in diesem
engen Rahmen, das Einzelne im Bemerkenswerten der einzelnen
Entwicklungen nicht aufzeigen läßt. Denn diese alle haben, wie
ich schon sagte, die Revolution von 1890 mitgemacht, sind zum
Teil mit ihr zur Herrschaft gelangt, sind dann zum Teil in andere