Soth Birthdar
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Lager übergegangen und sind wo, ja wo? gelandet? In dem
großen, allgemeinen Reiche der Dichtung und Literatur, wo jeder
nun sein Stückchen Erde hat, mancher schon ein Stück, das er
jetzt ganz frei, seiner Heimatsart, seinem Wesen und seinen Lebens¬
anschauungen gemäß bebaut. Denn auch das ist das Bemerkens¬
werte: Mit fünfzig Jahren hat man keine Richtung mehr. Die
läßt man den Jüngeren, die noch leicht und lustig des Weges
Mühe ertragen. Man ist angelangt oder man langt eben nie an.
Ich meine nicht gerade am wärmenden Herde, wo man einschläft,
oder auf den weichen Kissen des Erfolges, aber im schützenden
Haus. Und das haben diese alle wohl erreicht, manchmal vom
Winde zerzaust, mancher vom Schicksal oft genug genarrt. Ich
denke nur an den armen Meyer=Förster, der erblindete, als ihm
mit „Alt=Heidelberg“ das Licht des Ruhmes aufging.
Blickt man zurück, dann scheiden sich leicht manche dieser
zu Feiernden nach Richtungen und Gemeinsamkeiten. Und wie
einst, braucht man nur die Namen Gerhart Hauptmann, Arno
Holz und Johannes Schlaf zusammenzulegen und vor uns steigt
die Erinnerung an die heißen Tage der literarischen Revolution
auf, an die Freie Bühne, an Bjarne P. Holmsen und Familie
Selicke, an die Frühzeit Gerhart Hauptmanns, und seinen be¬
stimmenden Verkehr mit Holz, der ihm etwa wurde, was Herder
dem jungen Goethe war. Jünger und wilder, begehrlicher und
himmelstürmender war eine Jugend nie gewesen, auch die nicht
von 1770 und die nicht von 1810. Blickt man einige Jahre
weiter, dann zweigen sich schon die Wege, ganz wie mehr als
ein Jahrhundert früher. Der eine ist längst anderswo, wohin ihn
die Entwicklung weist, der andere, verbohrt und trotzig, oder
durch das Leben verbittert, bleibt bei sich stehen und beharrt. Und
das Traurige ist, daß sie eigentlich nie wieder recht zusammen¬
kommen. Mit den geistigen Beziehungen welken die menschlichen;
Man kann auch Artur Schnitzler und Hermann Bahr in eine
Richtung bringen, und hat dann einen Blick in den Entwicklungs¬
gang der jungen Kunst in Österreich, und wer will, mag noch
Otto Ernst und Max Dreyer vergleichen und das viele Ahnliche
im Werden und Sein beachten.
Und vergessen wir schließlich beim Gedenken derjenigen
nicht, die heute auch fünfzig alt werden oder wären und denen
es nicht gegönnt war, jetzt in dieser Reihe zu stehen: Jener, die
das Leben abgebogen hat, vielleicht liebend und vorbauend und
jenes, den früh der Tod nahm und der sonst nach menschlichem
Ermessen hier einen Ehrenplatz behauptet hätte. Denken wir heute
Hermann Conradis, des jungen, heißen Lyrikers, dessen Grab¬
hügel in der Reihe der Frühverstorbenen unserer Literatur noch
frisch ist und den wir heute mit Kränzen schmücken wollen. Der
als ein erstes Opfer jener gährenden Zeit fiel und der, wenn ihm
Vollendung geworden wäre, heute sicherlich unter den Vordersten
stünde. Denn zwischen Leben und Sterben ist nur ein Augenblick““
Aber er kann Jahrzehnte währen und aller Möglichkeiten voll sein.
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Lager übergegangen und sind wo, ja wo? gelandet? In dem
großen, allgemeinen Reiche der Dichtung und Literatur, wo jeder
nun sein Stückchen Erde hat, mancher schon ein Stück, das er
jetzt ganz frei, seiner Heimatsart, seinem Wesen und seinen Lebens¬
anschauungen gemäß bebaut. Denn auch das ist das Bemerkens¬
werte: Mit fünfzig Jahren hat man keine Richtung mehr. Die
läßt man den Jüngeren, die noch leicht und lustig des Weges
Mühe ertragen. Man ist angelangt oder man langt eben nie an.
Ich meine nicht gerade am wärmenden Herde, wo man einschläft,
oder auf den weichen Kissen des Erfolges, aber im schützenden
Haus. Und das haben diese alle wohl erreicht, manchmal vom
Winde zerzaust, mancher vom Schicksal oft genug genarrt. Ich
denke nur an den armen Meyer=Förster, der erblindete, als ihm
mit „Alt=Heidelberg“ das Licht des Ruhmes aufging.
Blickt man zurück, dann scheiden sich leicht manche dieser
zu Feiernden nach Richtungen und Gemeinsamkeiten. Und wie
einst, braucht man nur die Namen Gerhart Hauptmann, Arno
Holz und Johannes Schlaf zusammenzulegen und vor uns steigt
die Erinnerung an die heißen Tage der literarischen Revolution
auf, an die Freie Bühne, an Bjarne P. Holmsen und Familie
Selicke, an die Frühzeit Gerhart Hauptmanns, und seinen be¬
stimmenden Verkehr mit Holz, der ihm etwa wurde, was Herder
dem jungen Goethe war. Jünger und wilder, begehrlicher und
himmelstürmender war eine Jugend nie gewesen, auch die nicht
von 1770 und die nicht von 1810. Blickt man einige Jahre
weiter, dann zweigen sich schon die Wege, ganz wie mehr als
ein Jahrhundert früher. Der eine ist längst anderswo, wohin ihn
die Entwicklung weist, der andere, verbohrt und trotzig, oder
durch das Leben verbittert, bleibt bei sich stehen und beharrt. Und
das Traurige ist, daß sie eigentlich nie wieder recht zusammen¬
kommen. Mit den geistigen Beziehungen welken die menschlichen;
Man kann auch Artur Schnitzler und Hermann Bahr in eine
Richtung bringen, und hat dann einen Blick in den Entwicklungs¬
gang der jungen Kunst in Österreich, und wer will, mag noch
Otto Ernst und Max Dreyer vergleichen und das viele Ahnliche
im Werden und Sein beachten.
Und vergessen wir schließlich beim Gedenken derjenigen
nicht, die heute auch fünfzig alt werden oder wären und denen
es nicht gegönnt war, jetzt in dieser Reihe zu stehen: Jener, die
das Leben abgebogen hat, vielleicht liebend und vorbauend und
jenes, den früh der Tod nahm und der sonst nach menschlichem
Ermessen hier einen Ehrenplatz behauptet hätte. Denken wir heute
Hermann Conradis, des jungen, heißen Lyrikers, dessen Grab¬
hügel in der Reihe der Frühverstorbenen unserer Literatur noch
frisch ist und den wir heute mit Kränzen schmücken wollen. Der
als ein erstes Opfer jener gährenden Zeit fiel und der, wenn ihm
Vollendung geworden wäre, heute sicherlich unter den Vordersten
stünde. Denn zwischen Leben und Sterben ist nur ein Augenblick““
Aber er kann Jahrzehnte währen und aller Möglichkeiten voll sein.