VII, Verschiedenes 2, 50ster Geburtstag, Seite 142

box 39/1
Soth Birthdar
Klose & Seidel
Bureau für Zeitungsausechnitte.
Bertin NO. 43, Georgenkirebplatz 21!
(Liest die meisten Zeitungen und ist das
besterganisierteste Bureau Deutschlasds.)
Zeitung
Ort: —
Datum: —

(Schnitzlerfeier.) Artur Schnitzler wird heute fünfzig Jahre
alt und Wien erweist sich diesem Dichter gegenüber wahrlich nicht undankbar.
Drei Wiener Theater spielen heute Schnitzler=Stücke und die Literatur ließ
es sich nicht nehmen, Schnitzler auch außerhalb des Theaters herzlich zu feiern.
Am Montag veranstaltete die eifrige Zeitschrift „Der Merier“ einen Schnitzler¬
Abend, in dem der wienerische Schnitzler zu Worte kam, vor allem in dem
reizenden Porträt, das Felix Salten entwarf. Salten sprach eine ganz
unsentimentale Geburtstagsrede, ein charmantes Feuilleton über Schnitzlers
Anfang in der Wiener Literatur, über sein Werden und über die heutige
Zeit, die dem Dichter unterschiedslos Reverenz erweist. Natürlich
fehlte es bei einem Temperament wie Felix Salten nicht an
lustigen Ausfällen gegen die Feindseligkeit, mit der man Schnitzler anfangs
begegnete und das Unverständnis, das die „Aegyptische Königstochter“ be¬
wunderte und die „Erotik“ Schnitzlers verbie wollte. Vor zwanzig Jahren
sind die Anatol=Szenen erschienen und sie haben si# ihr Publikum selbst ge¬
wonnen. Heute findet man sie auf fast allen deutschen ihnen. Salten wußte
manches Interessante über die Wirtung der Schnitzlerschen Liebesdichtung zu
sagen, über sein Verhältnis zur wienerischen Poesie und über die Verwandte
schaft dieses heimischen Poetentypus mit Heuri Murger. Saltens, das Wesen
der Schnitzlerschen Kunst sehr fein charakterisierender Vortrag wurde mit herz¬
lichem Beifall begrüßt. Drei Wiener Künstler, die auf der Bühne schon
oft im Dienste Schnitzlers standen, lasen nun Einiges aus Schnitzlers Werken.
Lili Marberg die ergreifende Geschichte „Der Ehrentag“, die von
dem Schauspieler handelt, der sein Leben mit kleinen Rollen verbringen muß
und an einem grausamen Scherz, den man sich mit seinem Ehrgeiz macht,
zugrunde geht. Lili Marberg wußte aus dieser prachtvollen Geschichte er¬
greifende Wirkung zu holen, ihre Leistung fand herzlichen Beifall. Arnold
Korff brachte „Excentric“, eine der lustigsten Schnitzler=Geschichten mit
viel Humor und Frau Galafrés=Hubermann wußte mit der
Erzählung „Die dreifache Warnung“ viel Interesse zu erregen.
Das Publikum, in dem die Jugend stark vertreten war, dankte allen Mit¬
wirkenden begeistert und in dieser Begeisierung erklang auch der Dank für
Artur Schnitzler.
Artur Schnitzler, dessen 50. Geburtstag auf den heutigen Tag
(15. Mai) fällt, hat schon vergangene Woche mit seiner Gattin eine Reise
nach Brioni angetreten. Er gedenkt erst in zwei Wochen nach Wien zurück¬
zukehren. Mittlerweile sind schon viele Glückwünsche in der Villa des
Dichters in der Sternwartestraße eingetroffen; u. a. vom Direktor Freiherrn
v. Berger und vom artistischen Sekretär des Burgtheaters Dr. Rosenbaum
und von der Grillparzer=Gesellschaft.
Zusschnitt aus:
Neue Freie Presse
5A11912
1
[Der fünfzigste Geburtstag Artur
2
S große Berehrung, die Artur
Schnißter in Oesterreich und vor allem in Wien ge¬
nießt, kommt ietzt, zu seinem 50. Geburtstag, vielfach und
herzlich zum Ausdruck. Und es sind keine bloßen förmlichen
und pflichtschuldigen Jubiläumsveranstaltungen, sondern er¬
wünschte und williommene Anlässe, um dem Dichter dafür
zu danken, was das Publikum in diesen 20 Jahren von
Ihm empfangen hat. Den Beethoven=Saal füllten gestern
abends lauter begeisterte Leser und Verehrer des Dichters.
Die Musik= und Theaterzeitschrift „Der Merker“ veranstaltete
hier eine Schnitzler=Feier, die durch eine Conférence des
Schriftstellers Felix Salten eingeleitet wurde. Er begann
mit Jugendreminisgenzen aus der Zeit, da Schnitzler und
Jungwien noch jung gewesen, und schilderte in drastischer
Fam das geringe Verständnis, die Abneigung, mit der die
Damalige ältere Generation der literarischen Jugend gegen¬
der Consérencier versicherte,
überstand. Es gab damals, wie
nut zwei ästhetische Lager: in dem einen wurden die
„Romane von Georg Ebers. gelesen, in dem anderen Ibsen.
Die Werke der Moderne wurden mit einem falschen morali¬
schen und prüden Maßstab gemessen, und darunter hatten
auch die ersten Bücher Schnitzlers, namentlich sein „Anatol“,
zu leiden. Nur einer setzte sich sofort für ihn ein, und das
war Friedrich Uhl. Hier wäre wohl auch Ludwig Speidel zu
nennen gewesen, der ja als einer der Ersten auf die Be¬
deutung Schnitzlers hingewiesen hat. Der Vortragende suchte
sodann zu zeigen, wodurch sich der Dichter nach und nach
sein Publikum erobert hat, und zwar, wie er meinte, in
perster Linie durch die damals ganz neue Wiener Note, durch
die Schaffung der Gestalt des Wiener Mädchens, das bis
dahin in den Wiener Romanen, Novellen und Stücken über¬
was freilich nur dann
hauptnicht vorgekommen war

richtig wäre, wenn man die Mädchengestalten Saars, Stifters,
„Grillparzers nicht als Wiener Mädchengestalten gelten
und
läßt. ... Das Geheimnis von Schnitzlers großer
intensiver Wirkung liegt aber auch in seiner gütigen edlen
Menschlichkeit, in seiner philosophisch=dichterischen Art, das
Erlebnis des einzelnen mit der Allgemeinheit zu verknüpfen,
in eine geheimnisvolle Beziehung zum Schicksal zu bringen
und derart das Leben tiefer, merkwürdiger, dunkler und
beitnoch heller zu gestalten. Die Conference, die in einen
herzlichen Wunsch für Schnitzlers weiteres Schaffen ausklang,
fand Inieresse und Beifall. Hierauf kam Schnitzler selbst zum
Wort, und zwar durch den Mund dreier Wiener Bülmen¬
„cünstler. Frau Galafrés las „Die dreifache Waritung",
dieses gedankentiefe und formschöne Stück aus dem neuen
Novellenband „Masken und Wunder", sehr verständnisvoll
und mit einer fast dramatischen Wirkung. Darauf folgte eine
Novelle des jungen Schnitzler, „Der Ehrentag“, diese Tragi¬
komödie des kleinen Schauspielers, die von Fräulein Lily
„Marberg in ihrer liebenswürdigen, etwas kühlen Art ge¬
lesen wurde. Zum Schlusse erschien Hosschauspieler Korff.
Die auf dem Programm angekündigte Novelle „Der Tod
des Junggesellen“ mußte mit Rücksicht auf die sehr späte
Stunde wegfallen. Dafür las Herr Korff die lustige Groteske
Exzentrik“ mit glänzender witziger Nuancierung und
die
Charakteristik und mit überaus heiterer Wirkung,
befriedigend abschloß.
und
freundlich
den Abend
Auch die Universitätsjugend hat Artur Schnitzler ge¬
feiert. Der Akademische Verband für Literatur
und Musik beging heute diese Feier im Fesisaale des
Oesterreichischen Ingemeur= und Architektenvereines durch eine
von dem Mitglied des Volkstheaters Herrn Ferdinand
Onno abgehaltene Vorlesung aus dem Renaissancedrama
„Der Schleier der Beatrice". Man erinnert sich wohl noch der
kritischen Proteste, welche die Ablehnung dieses großgedachten,
in klassischen, shalespearischen Formen einherschreitenden
Werles durch das Burgtheater vor einigen Jahren hervorrief.
Unbefangenerweise muß eingeräumt werden, daß ungewöhn¬
liche Komplikationen, nicht bloß der äußeren Inszenierung,
sondern auch des dramatischen Gefüges, der Darstellung dieses
nicht von Handlung zu Handlung, sondern von einer psycho¬
logischen Finesse zur nächsten, noch subtileren, aufwärts¬
wachsenden Trauerspiels im Wege stehen. Um so reiner ge¬
nießt man, dem Vorleser, nicht dem Darsteller gegenüber, die
Schönheiten tiefer, dichterischer Kontemplation, die uns
aus jeder Szene entgegenleuchten. Die Renaissance blüht in
diesen glühend=zarlsinnigen Versen auf, man sieht die be¬
lagerte Stadt, „umloht von roten Fackeln der Gefahr“, in der
bacchantisches Leben und Tod den wilden Reigen schlingen.
Und man merkt in dieser üppigen Renaissancegewandung
überall die heimatliche Schnitzlersche Färbung: der Dichter
Philippo, der mit Menschen wie mit Puppen spielt, ist dem
Schnitzlerschen Typus seit dem „Anatol“ bis zum „Puppen¬
spieler“ verwandt, und Beatrice, die halb Mädchenspiele, halb
frauenhafte Wünsche im Herzen trägt, ist gewiß ein Wiener
#nnalan Sroicher
Ihvn