VII, Verschiedenes 2, 50ster Geburtstag, Seite 148

Soth Birthdag box 39/1
(Quellenangabe ohne Gewähr.)
Freie Presse, Wien
Ausschnitt aus:
14. JuIi. 19 12
vom:

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[Maifestspiele und Schnitzler=Zyklus in
Prag.] Aus Prag wird #nserichtetDie diesjährigen
Maifestspiele des hiesigen Deutschen Theaters, die ersten, die
unter der neuen Direktion Teweles abgehalten wurden,
haben in jeder Hinsicht bedeutende Erfolge gebracht. Damit ist
ein Beweis für die verständnisvolle Umsicht und künstlerische
Sicherheit der neuen Leitung gegeben, der auch vom Publi¬
kum mit wärmster Dankbarkeit anerkannt wurde. Der Kontakt
der hochkultivierten Prager deutschen Minorität mit ihrem
altehrwürdigen Kunstinstitut hat in dieser letzten Zeit an
Freudigkeit und Innigkeit eher noch gewonnen. Die Höhe¬
punkte der diesjährigen Maifestspiele waren im Schauspiel die
ergreifende und an raffinierten Effekten so reiche Aufführung
von Hoffmannsthals „Jedermann“ und das Gastspiel
des Burgtheater-Ensembles, das den Damen Wohl¬
gemut und Schmittlein, den Herren Reimers, Heine und
Gerasch Gelegenheit bot, in der witzigen Komödie „Die
Sprache der Vögel“ von Adolf Paul alle Noblesse und
stilistische Vollendung der Wiener Burgtheaterkunst vor dem
entzückenden Prager Publikum auszuarbeiten. Von tiefgehender
Wirkung war auch die Darbietung des Lessing=Theaters, das
diesmal Hauptmanns „Die Ratten" (mit der genialen
Else Lehmann in der Hauptrolle) brachte, sowie die von der
Zensur anfänglich bedrohte Aufführung von Tolstois nach¬
gelassenem Drama „Und das Licht scheint in
der
Finsternis“ (Gastspiel des Berliner Kleinen Theaters).
Der musikalische Teil der Maifestspiele brachte zunächst einige
wunderschöne Battistini=Abende, dann als interessante Neuheit
Wolff-Ferraris Oper „Der Schmuck der Madonna“, von1
Regisseur Pringsheim sorgfältig und geschmackvoll in¬
szeniert, von Kapellmeister Stermich mit feinstem künstleri¬
schen Verständnis geleitet. Den Höhepunkt und Abschluß dieser
Festaufführungen bildete dann eine Vorstellung der „Meister¬
singer“ mit Walter Soomer, Knote und Josef Geis als
Gästen. Der Abend wurde zu einem rauschenden Triumph für
die auswärtigen und einheimischen Künstler, insbesondere aber
für Alexander v. Zemlinsky, der als Dirigent dem
ganzen Abend das Gepräge seiner genialen Künstlerherrschaft
aufgedrückt hatte. Das Publikum brach immer wieder in
stürmischer Begeisterung los und wollte sich nicht beruhigen,
ehe nicht — schon nach dem Fallen des eisernen Vorhanges

mit den Künstlern und dem Dirigenten auch Direktor
Teweles erschjenen war und in einigen warmen Worten
dem theaterfreudigen Publikum für die tätige Förderung seiner
Bestrebungen gedankt hatte. Wenn es noch eines Beweises
für die ununterbrochene innige Anteilnahme dieses Publikums
an seinem Theater bedürfte, so wäre es der, daß zur selben,
Zeit wie die Maifestspiele auch ein umjassender Schnitzler¬
Zyklus gegeben wurde und ein lückenloses Interesse fand.
Auch auf diesen Zyklus, der den fünfzigsten Geburtstag des
großen österreichischen Dichters
würdig feierte, kan die
Direktion als auf eine besondere Leistung hinweisen. Kein
anderes Theater hat in dieser splendiden Weise dem be¬
deutendsten heimischen Dramatiker der Gegenwart die Jubi¬
läumsehren erwiesen. Dreizehn Abende sind der Vorführung
seines Gesamtwerkes gewidmet, die in dieser Woche mit einer
Reprise des „Medardus“ und der Erstaufführung von „Der
einsame Weg“ abschließen wird. Die meisten der bisherigen
Vorstellungen im Rahmen dieses Zyklus boten mustergiltige
intime Theaterkunst; die Feinheit des Schnitzlerschen Dialoges,
der Stimmungszauber seiner warmen Menschlichkeit kam allent¬
halben auf der Szene zu seiner vollen Geltung. „Der Zyklus
ist ein neuerliches Zeugnis für das hohe Strebon der Direktion
und für das starke Könnnen des hiesigen Deutschen Theaters.